
© dpa/Michael Kappeler
Die Union scheint dazugelernt zu haben : Der Tag, an dem der AfD-Shitstorm einfach verwehte
Monatelang trieb die rechte Empörungsindustrie die demokratischen Parteien vor sich her. Nun hat sich erstmals gezeigt, dass ihr Einfluss begrenzt ist. Das macht Hoffnung.

Stand:
Wendepunkte werden ja oft erst im Rückblick als solche erkennbar. Ich glaube, vor zwei Wochen gab es in Deutschland so einen Wendepunkt, ohne dass davon bislang groß Notiz genommen wurde.
Als der Bundestag am 25. September die drei Richterposten fürs Bundesverfassungsgericht besetzte, war die Erleichterung bei den demokratischen Parteien und in der deutschen Öffentlichkeit spürbar. Das Aufatmen über das Ausbleiben weiterer Katastrophen überschattete allerdings einen zweiten, auf lange Sicht vielleicht noch bedeutsameren Erfolg jenes Tages.
Das Ergebnis der Richterwahl bedeutet nämlich auch, dass die rechte Empörungsindustrie, die seit Monaten Druck auf die Union ausübt, in diesem Fall komplett gescheitert ist. Alle gezielten Versuche, Einfluss zu nehmen, blieben wirkungslos.
Ann-Katrin Kaufhold, die zweite SPD-Kandidatin, sei noch weitaus schlimmer als Frauke Brosius-Gersdorf, hatten die Wortführer der Empörungsindustrie als Narrativ vorgegeben. AfD-Funktionäre mischten bei diesem erneuten Shitstorm-Versuch genauso mit wie die Portale „Nius“, „Apollo-News“ und das gesichert rechtsextreme „Compact-Magazin“. Jeder tobte, so gut er konnte. Die Bundes-AfD beschimpfte die Richterin sogar als „Demokratie-Feind“ und gab als Marschrichtung „Jetzt Kaufhold verhindern!“ aus. Hinzu gesellten sich rechtsextreme Aktivisten in den sozialen Netzwerken, Campaigner und Mitarbeiter von Denkfabriken.
Wenn die AfD und ihr Vorfeld zur Jagd blasen, lohnt es sich, dem Druck eben gerade nicht nachzugeben, und sich erst gar nicht auf ihren Kulturkampf einzulassen.
Ein Bundestagsabgeordneter der CDU
Der vereinte Druck aller dieser Akteure ist am Ende einfach verpufft. Außerhalb der eigenen Echokammer interessierte sich kaum jemand für den inszenierten Lärm. Kein Unionsabgeordneter fiel um. Als dann im September der Name der Ersatzkandidatin Sigrid Emmenegger bekannt wurde, reichte es nicht mal mehr für einen Mini-Shitstorm.
Bei diversen Fraktionskollegen habe diese positive Erfahrung womöglich zu einem Erkenntnisgewinn geführt, hat mir ein Bundestagsabgeordneter der CDU am Telefon erzählt: dass nämlich der Druck, den rechte Kulturkämpfer auf öffentliche Debatten, auf den Berliner Politikbetrieb und insbesondere auf einzelne Parlamentarier der Union ausüben können, endlich sei – und besser auszuhalten als gedacht.
Hoffnung auf einen Lerneffekt
So gesehen ist 25. September ein Beleg dafür, dass die Macht der Empörungsindustrie und seiner Strippenzieher begrenzt ist.
Manche Kollegen, sagt der Unionsmann, hätten womöglich Nachholbedarf darin, Resilienz gegenüber Online-Kampagnen von Rechtsaußen zu entwickeln. Sollte es einen Lerneffekt geben, laute dieser hoffentlich: „Wenn die AfD und ihr Vorfeld zur Jagd blasen, lohnt es sich, dem Druck eben gerade nicht nachzugeben, und sich erst gar nicht auf ihren Kulturkampf einzulassen.“
In den vergangenen Monaten sind noch weitere bislang unbemerkte Schritte in die richtige Richtung passiert. So verliert die AfD zum Beispiel Boden auf TikTok, weil nach dem Erfolg Heidi Reichinneks immer mehr Politiker demokratischer Parteien ihre Hemmungen verlieren und sich selbst auf der Plattform ausprobieren. Der MDR verzichtete 2025 erneut auf die Durchführung eines Sommerinterviews mit Björn Höcke, womit er dem ARD-Hauptstadtstudio um einiges voraus ist. Die betreffende Redaktion habe diese Entscheidung allein gefällt, heißt es beim MDR.
Außerdem hat mir ein Hardliner in der CDU neulich erzählt, selbst er habe inzwischen eingesehen, dass sich die AfD niemals entradikalisieren und ins Spektrum der demokratischen Parteien zurückkehren könne. „Lieber spät als nie“, sagt er.
Es sind die kleinen Dinge, die in diesen Zeiten Hoffnung geben.
P.S.: In meiner letzten Kolumne habe ich Sie gefragt, ob Sie auch schon solche Gespräche geführt haben. Ich bin überwältigt von den zahlreichen Nachrichten, die mich auf unterschiedlichen Wegen erreichten. Einige davon waren sehr berührend, einige überraschend. In einer der kommenden Folgen werde ich ausführlich davon berichten.
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