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Schon 2007 hatten die Behörden das Szenario mit einem asiatischen Virus durchgespielt.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Überlastete Kliniken und ein kollabierender Handel: Diese Schwächen offenbarte eine Pandemie-Übung schon 2007

Deutschland spielt alle zwei Jahre Krisenszenarien durch. 2007 wurde eine weltweite Pandemie geprobt - mit erschreckenden Ergebnissen, wie ein Bericht zeigt.

Am 7. November 2007 passiert in Deutschland das, was uns rückblickend erschreckend bekannt vorkommt: Ein asiatisches Virus breitet sich aus, 27 Millionen Menschen in der Bundesrepublik erkranken, 400.000 müssen ins Krankenhaus, 100.000 sterben. Die Supermärkte sind leergefegt, es gibt Schlägereien um Lebensmittel und Streit um Schulschließungen. Es ist die Rede von einer Influenza-Pandemie mit „schwerwiegenden gesamtgesellschaften und gesamtstaatlichen Auswirkungen.“

Was aktuell in Deutschland geschieht - die Ausbreitung des Coronavirus - wurde vor 13 Jahren in ähnlicher Weise schon einmal durchgespielt. 2007 nämlich probte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe an zwei Tagen den Ausbruch einer weltweiten Influenza-Pandemie.

Alle zwei Jahre führt die Behörde wechselnde Krisenszenarien durch. Sie werden unter dem Namen Lükex durchgeführt, eine Abkürzung für „Länder - und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (Exercise)“. Von großflächigem Stromausfall über Terror-Anschläge bis hin zu Cyber-Attacken war schon jede Extremsituation dabei.

Liest man das „Drehbuch“ für Lükex 07, dann findet man vieles von dem, was sich heute tatsächlich ereignet, dort wieder. Vom Robert-Koch-Institut hieß es damals, dass der Ausbruch eines solchen Virus „keine Frage des Ob, sondern des Wann“ sei.

Man könnte daher annehmen, dass die deutschen Behörden angesichts einer solchen Übung bestens auf einen Ausbruch wie das Coronavirus vorbereitet hätten sein müssen. Bei der damaligen Pandemie-Übung sollen allerdings diverse Schwächen aufgefallen sein.

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Es war ein riesiges Spektakel, das das Katastrophenamt im Herbst 2007 veranstaltete: Rund 3000 Personen, sieben Bundesländer, 50 Unternehmen, Hilfsorganisationen und Verbände nahmen an der Übung teil. Es fiel in die erste Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel.

Geprüft werden sollte: Wie gut ist das Gesundheitswesen, die Infrastruktur und die Verwaltung auf den Ernstfall vorbereitet? Ist die Versorgung der Bürger sichergestellt? Wie funktioniert die Zusammenarbeit von Bund und Ländern? Kurz: Schafft Deutschland es, ein solches Virus zu bewältigen?

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Im Gegensatz zu anderen Lükex-Übungen lässt sich beim Bundesamt für Katastrophenschutz kein Auswertungsbericht für das Pandemie-Szenario abrufen. Teile des Berichtes wurden als „Verschlusssache“ eingestuft.

Wenige Monate nach der Übung berichtete allerdings der „Focus“ unter dem Titel „Grippe-Gau“ von einem internen Bericht des Thüringer Innenministeriums, der Erkenntnisse zu den Ergebnissen der Übung lieferte. Thüringen war eines der Bundesländer, die damals an dem Szenario teilnahmen.

Das erschreckende Fazit damals: Deutschland wäre alles andere als pandemietauglich. Medikamente könnten nicht schnell genug beschafft werden, es käme daher zu Übergriffen auf Apotheken; die Sterberate steige rapide.

Kliniken überlasst, medizinische Versorgung zusammengebrochen

Die Polizei werde arbeitsunfähig, weil sich reihenweise Polizisten krank meldeten; Kliniken seien überlastet, in einigen Landkreisen würde die medizinische Versorgung komplett zusammenbrechen; der Handel kollabiere, weil Lieferfahrer und Supermarkt-Personal fehle, es komme folglich zu Plünderungen.

Bei dem Szenario in Thüringen sei laut internem Bericht ein Viertel der Bemühungen, Schaden für die Bevölkerung abzuwenden, daneben gegangen. Zusätzlich wurde eine „fehlende bzw. unzureichende Kommunikation“ unter den Entscheidungsträgern. Weiter ist die Rede von „Zweifeln an der Kompetenz der Verantwortlichen.“ Die Fehler hätten „im Realfall schwerwiegende Folgen nach sich gezogen“.

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Wolfgang Wagner, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin, machte damals in einem Bericht darauf aufmerksam, dass die Übung „essentielle Schwachstellen für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Krisensituationen“ deutlich gemacht habe. Es werde „zu einem Zusammenbruch der Arzneimittelversorgung kommen“, zu Personalausfällen, es gebe zu wenige Lagerbestände und es fehlten Notfallvorräte. Es bestehe ein erheblicher Beratungsbedarf.

Auch Großbritannien übte einen Pandemie-Fall

Hat die Bundesregierung aus diesen Versäumnissen gelernt? Der nationale Pandemieplan wurde in den Folgejahren auf jeden Fall mehrfach verändert. Wie die „Welt“ berichtet, ist aber heute nicht mehr nachzuvollziehen, welche Passagen konkret nach der Übung verändert wurde. Die Zeitung zitiert einen Sprecher des Bundesamtes für Katastrophenschutz so: „Welche Maßnahmen die Beteiligten von 2007 im Anschluss an die Übung ergriffen haben, wird im BBK nicht zentral erfasst“.

Auch Großbritannien soll einen solchen Pandemie-Fall geübt haben - und zwar 2016 mit der „Operation Sternbild Schwan“. Davon berichtete jetzt bei Twitter der britische Abgeordnete Phillip Lee. 2016 war der Politiker Staatssekretär für Justiz unter Premierministerin Theresa May. Auch das Ergebnis dieser Übung ist alarmierend: Das Gesundheitssystem NHS könne einen Ansturm von Patienten nicht verkraften, es fehlten Beatmungsgeräte.

Bleibt zu hoffen, dass die heutige Krise Lükex 07 nur ähnelt und wir von einem „Horrorszenario“, wie einige Medien damals schrieben, noch verschont bleiben.

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