zum Hauptinhalt
JU-Chef Johannes Winkel (r.) hat seine Ablehnung des Rentenpakets von Kanzler Friedrich Merz (l.) schon mitgeteilt.

© Imago/Chris Emil Janßen

Disziplin ist keine Schande: Die Renten-Rebellen sollten sich hinterfragen

Mit Blick auf die Abstimmung über das Rentenpaket von Schwarz-Rot wird viel gegen den „Fraktionszwang“ gewettert, doch den gibt es nicht. Wohl aber eine Fraktionsdisziplin – und die ist berechtigt.

Daniel Friedrich Sturm
Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm

Stand:

Von „Druck“ auf Abgeordnete ist in diesen Tagen die Rede, von „Erpressung“ vor der für Freitag geplanten Abstimmung über das schwarz-rote Rentenpaket. Ein „Fraktionszwang“ wird bemängelt, der die Parlamentarier dazu bringe, gegen ihre eigene Überzeugung, ja sogar gegen ihr Gewissen zu stimmen.

Dieser Begriff suggeriert Verpflichtung, eine Einwirkung von außen unter Drohungen. Im Bundestag aber existiert kein Fraktionszwang. Kein Fraktionsvorsitzender, nicht einmal Jens Spahn, kein Parlamentarischer Geschäftsführer kann Abgeordnete des Deutschen Bundestages dazu zwingen, anders abzustimmen, als er oder sie es für richtig hält.

Ein Parlamentarier kann nicht befehlen, aber „man kann ihm auch nicht befehlen“, schrieb der Politikwissenschaftler und Staatsrechtler Theodor Eschenburg. So ist es.

Die Abgeordneten „sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“, heißt es im Grundgesetz. Der Artikel 38 der Verfassung gilt im Dezember 2025 keinen Deut weniger als in den vorherigen gut 75 Jahren seiner Existenz.

Es ist das naturgemäße Interesse einer Fraktion, möglichst geschlossen aufzutreten. Eine Fraktion, deren Abstimmungsverhalten permanent auseinanderfällt, wäre politisch kaum mehr handlungs- und lebensfähig.

Daniel Friedrich Sturm

Die Freiheit der Abgeordneten geht so weit, dass jeder von ihnen, der sich von seiner Partei und/oder Fraktion entfremdet, diese gar verlässt, sein Mandat weiter behalten kann. Am Ende der letzten Wahlperiode gab es daher mehrere fraktionslose Abgeordnete. Möglich ist ebenfalls ein Fraktionswechsel.

So wenig es einen Fraktionszwang geben kann, muss es aber eine Fraktionsdisziplin geben – und dies aus mehreren guten Gründen. Der Bundestag ist kein Parlament von 630 Einzelkämpfern, auch kein Honoratiorenparlament. Er wäre ohne Ordnung nicht arbeitsfähig. Die Fraktionen, also Organe von Abgeordneten einer politischen Richtung, machen das Parlament erst wirkungsmächtig.

Es ist das naturgemäße Interesse einer Fraktion, möglichst geschlossen aufzutreten. Eine Fraktion, deren Abstimmungsverhalten permanent auseinanderfällt, wäre politisch kaum mehr handlungs- und lebensfähig.

Der FDP schadete im Januar eine einzelne Abstimmung, jene über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union, ganz erheblich. Das Gros ihrer Fraktion stimmte mit Ja, zwei Abgeordnete mit Nein, fünf enthielten sich, und 16 Parlamentarier blieben dem Votum fern. War die FDP nun dafür, dagegen, wusste sie es nicht oder war es ihr gar egal? Vielleicht war diese Unklarheit einer der Gründe für ihr Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Bundestagswahl drei Wochen später.

Der Druck zum Konsens ist bei Regierungsfraktionen größer als bei Oppositionsfraktionen. Knappe Mehrheiten einer Koalition – derzeit hat sie zwölf Abgeordnete mehr als die „Kanzlermehrheit“ – erfordern Disziplin.

Gewählt wegen der Parteilinie

Deutschland ist eine Parteiendemokratie. „Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit“, steht im Grundgesetz. Ja, dieser Artikel 21 und der Artikel 38 stehen in einem Spannungsverhältnis. Vielleicht muss man selbst Abgeordneter (gewesen) sein, um das Ausmaß dieses Spannungsverhältnisses zu ermessen.

Bundestagsabgeordnete gehören fast immer Parteien an, unterliegen Bindungen, sind also keine frei schwebenden Einzelwesen. Die Abgeordneten in Bundestag und Landtagen sowie im Europäischen Parlament haben eine Doppelrolle: Sie sind Abgeordnete, die an Weisungen nicht gebunden sind, und sie sind parteigebundene Inhaber eines Amtes.

Jeder Abgeordnete müsse wissen, „dass er nicht nur seines Charmes wegen gewählt worden ist, sondern vor allem wegen der politischen Linie, die seine Partei vertritt“, argumentierte Eugen Gerstenmaier, der Bundestagspräsident der Bonner Republik.

Dabei ist eines ohnehin klar: Anders als bei Gesetzen zu Abtreibung, Stammzellforschung oder Suizidbeihilfe kann das Votum über das Rentenpaket, bei dem es nur um den Streit über eine Haltelinie nach 2031 geht, kaum als Gewissensentscheidung gelten. Vielmehr sollten sich die Zweifler fragen, ob sie in dieser instabilen Lage eine Koalition am Streit über die Rente guten Gewissens scheitern lassen können.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })