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Aktivisten haben sich auf eine Berliner Straße geklebt.

© snapshot-photography / snapshot-photography/T.Seeliger

„Das sind Reflex-Handlungen“: Ehemaliger BGH-Richter spricht sich gegen Strafverschärfungen für Klimaaktivisten aus

Am Donnerstag berät der Bundestag über einen Antrag der Union, die härtere Strafen für „Straßenblockierer“ will. Experten und Ampel-Politiker sind skeptisch.

Seit Monaten erhitzen die Aktionen der Klima-Aktivist:innen der „Letzten Generation“ die Gemüter. Besonders hoch kocht die Debatte seit dem Tod einer Radfahrerin, die vergangene Woche Montag in Berlin von einem Betonmischer überrollt worden war. Eine Aktion der „Letzten Generation“ hat womöglich verhindert, dass ein Bergungsfahrzeug rechtzeitig vor Ort sein konnte.

Selbst Grünen-Politikerin Renate Künast sagte dem Tagesspiegel, dass die „Letzte Generation“ durch den Vorfall „ihre Unschuld verloren habe“. Und die Union fordert nun, Klimaaktivist:innen für Gesetzesverstöße härter zu bestrafen.

Sie hat einen Antrag ausgearbeitet, der im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung Maßnahmen vorsieht, nach denen „Straßenblockierer und Museumsrandalierer“ effektiver belangt werden können.

Am Donnerstag soll über diesen im Bundestag beraten werden. Ginge es nach der Union, würden Blockaden künftig als besonders schwerer Fall einer Nötigung gewertet – und mit mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren Haft bestraft, sofern die Ak­ti­vis­t:in­nen billigend in Kauf nähmen, dass Polizei- und Rettungsfahrzeuge blockiert würden oder auch nur eine „große Zahl“ an Verkehrsteilnehmern.

Außerdem spricht sich die Union dafür aus, dass der Paragraf der Gefährdung des Straßenverkehrs auf die Blockaden Anwendung findet, sofern die Blockaden dazu geeignet sind, Menschenleben zu gefährden. Aktivist:innen, die sich auf Straßen oder Gemälden festkleben, sollen bei Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft genommen werden können.

Schon am Donnerstag soll über den Antrag im Bundestag beraten werden. „Die bisher verhängten Geldstrafen von 20 bis 30 Tagessätzen entfalten nicht die erforderliche Abschreckung“, rechtfertigt Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Union, den Vorstoß.

In unserer Rechtsordnung ist kein Platz für Selbstjustiz, auch nicht von selbst ernannten Klimaschützern

Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

„Die Straßenblockierer und Kunstschänder erfüllen mit ihren Taten verschiedene Straftatbestände. Sie instrumentalisieren und schädigen dabei Tausende von Unbeteiligten. Ihrem Drang nach Aufmerksamkeit ordnen sie alles andere unter“, sagte er dem Tagesspiegel.

Der Rechtsstaat müsse auf diese Straftaten konsequent antworten. „Auch ein guter Zweck heiligt keine kriminellen Mittel. In unserer Rechtsordnung ist kein Platz für Selbstjustiz, auch nicht von selbst ernannten Klimaschützern.“

Hessens Justizminister Roman Poseck will sogar noch einen Schritt weitergehen: Eine Diskussion über härtere Strafen gegen die Aktionen reicht ihm nicht, „unter Umständen“ hält er es sogar für möglich, die Aktivisten als Terroristen zu bestrafen.

Der Strafrechtler und frühere BGH-Richter Thomas Fischer hält die Forderungen der Union für eher unsachlich: „Das sind Reflex-Handlungen. Die Strafrahmen sind völlig ausreichend“, sagte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Auch die Forderung nach Untersuchungshaft bei Wiederholungsgefahr sei weit hergeholt.

Wer am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, wird ständig zu Handlungen oder Unterlassungen gezwungen.

Thomas Fischer, Strafrechtler und ehemaliger BGH-Richter.

„Das ist ein Haftgrund, der nur in besonders schwerwiegenden Fällen angewandt wird.“ Wer am gesellschaftlichen Leben teilnehme, werde ständig zu Handlungen oder Unterlassungen gezwungen, gab Fischer zur strafrechtlichen „Verwerflichkeit“ zu bedenken. „Das ist in den meisten Fällen sozialadäquat.“

Er kritisierte die Widersprüchlichkeit der Debatte: „Wenn man die Forderungen nach hartem Strafrecht gegen blockierende Klima-Aktivisten verfassungsgemäß umsetzen wollte, müssten die Maßstäbe natürlich auch für alle anderen gelten, die – aus welchen Gründen auch immer – unbeteiligte dritte Personen als Mittel zum demonstrativen Zweck missbrauchen. Das will aber offenbar niemand.“

Ampelpolitiker:innen werfen der Union Populismus vor

Ampel-Politiker:innen haben die Klimaproteste zwar verurteilt, die geforderten Strafverschärfungen jedoch vehement abgelehnt. „Das Tatziel der Behinderung des Straßenverkehrs kann nicht durch das angegebene Fernziel des Klimaschutzes gerechtfertigt werden“, sagte Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD, dem Tagesspiegel.

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„Was wir nicht brauchen, ist der populistische Ruf nach strafrechtlichen Verschärfungen Seitens der Union.“ Anstatt des Rufes nach höheren Strafen, solle die CDU/CSU lieber ihre politische Blockadehaltung der letzten Jahre beim Ausbau der Erneuerbaren Energien aufgeben.

Wer die Proteste und Aktionen mit denen der RAF gleichsetzt, hat einfach jeden Kompass in der Diskussion verloren.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, wirft der Union ebenfalls Populismus vor. Dieser mache die innenpolitische Konzeptlosigkeit der Union deutlich, sagte er dem Tagesspiegel.

„Wer die Proteste und Aktionen, die ich explizit nicht gutheiße, mit denen der RAF, die für die Ermordung von zahlreichen Menschen verantwortlich ist, gleichsetzt, hat einfach jeden Kompass in der Diskussion verloren.“

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