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VW in Wolfsburg 1972, Ankunft einer italienischen Familie. Frauen migrierten aber auch allein.

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Italienerinnen in Deutschland: "Ein Akt der Unabhängigkeit"

Italiener waren ab 1955 die ersten "Gastarbeiter" - Italienerinnen aber auch. Ein Buch erzählt etwa 150 Jahre weibliche Migration von Italien nach Deutschland.

La donna è mobile“, wankelmütig ist sie, die Frau, „wie eine Feder im Wind“ – so behauptet es eine der berühmtesten Opernarien. Dass sie in Wirklichkeit „mobile“ in einem ganz andern Sinne ist, lässt sich in Lisa Mazzis Buch über die Geschichte der italienischen Frauenmigration nach Deutschland nachlesen.

Elend und Emanzipation

„Donne mobili“, so der Buchtitel, die es wie die Männer ins Land der größeren Möglichkeiten zog, gab es immer. Doch seit Ende des 19. Jahrhunderts, nach der Einigung Italiens wie Deutschlands, wuchs ihre Zahl. Damals verelendete das italienische Land nach Missernten, durch überseeische Konkurrenz, die Steuern im neuen Königreich und eine Wehrpflicht, die die jungen Bauern vom Acker weg in die Kasernen zwang. Die Frauen gingen aber nicht nur deshalb, und viele folgten auch nicht einfach ihren Männern. Oft sei die Entscheidung zur Migration auch für sie „ein Akt der Unabhängigkeit“, stellte schon 1911 der Wirtschaftswissenschaftler und Migrationsfachmann Francesco Coletti fest.

Die größte Gruppe der Gastarbeiterinnen

Der endete freilich oft in neuem Elend. Italienische Journalisten und Abgeordnete berichteten von verdreckten Schlafsälen der Arbeiterinnen, die in den Industriezentren keine Unterkunft fanden, von Schwerkranken, denen das Geld für den Arzt fehlte. Die spezifische Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft tat ein Übriges; Frauen bekamen bestenfalls die Hälfte des Männerlohns, was wiederum das Interesse der Industrie an ihnen hochhielt und noch während der Anwerbung von Landarbeiterinnen durch NS-Deutschland eine Rolle spielte – bis das NS-Regime ab 1943 Männer wie Frauen zur Zwangsarbeit verschleppte. Erst im Wirtschaftswunder stieß das System der Lohndiskriminierung an erste Grenzen: Informierte Italienerinnen zogen bereits Ende der 1950er Jahre gern nach Frankreich und in die Schweiz, wo es Lohnlücken von 30 bis 40 Prozent wie in Deutschland nicht gab. Italienerinnen stellten dennoch bis Anfang der 1960er Jahre und noch einmal 1968 die meisten „Gastarbeiterinnen“. Als Niedriglöhnerinnen halfen sie wie die südeuropäischen Kolleginnen jene deutschen Frauen ersetzen, die die Bonner Politik lieber in der Hausfrauenrolle festhalten wollte.

Filmstars und die Frau auf dem Bau

Schlechte Bezahlung, Diskriminierung als Frauen und Fremde – für viele Italienerinnen wurde der Traum vom besseren Leben in Deutschland aber auch wahr, ob sie am Band standen, auf dem Bau schufteten – wie Emilia Ginolfi 1972 auf dem Titel des Buchs – Eisdielen gründeten wie Flavia Lazzarin in Freiburg oder im wilhelminischen Deutschland in zahlungskräftigen Bürgerfamilien Sprachunterricht gaben. Mazzi – die selbst migrierte – erzählt auch von weiblichen (Stumm-)Filmstars wie Maria Jacobini, Marcella Albani oder Carmen Boni, die nach Berlin gingen, als Italiens Kino nach dem Ersten Weltkrieg abbaute.

Warum die „mobilen Frauen“ dennoch so selten auffallen? Im 19. Jahrhundert wurden sie sogar statistisch oft verschwiegen. Migrant ist Mann – das ist, sieht man den Fokus auf männliche Flüchtlinge aktuell, bis heute so.

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