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Groß, größer, Bundestag: Nach der Wahl könnten es noch einmal hundert Sitze mehr sein.

© Kay Nietfeld/dpa

Ein Bundestag in ungeahnter Größe?: Warum Bayern zum Problem wird – aber die CSU profitiert

Der Trend geht Richtung 800 Abgeordnete im nächsten Bundestag. Das liegt daran, dass im Süden der Republik die Verhältnisse kippen – mit absurden Folgen.

Das Szenario klang dramatisch. Die Annahme lautete: Könnte es sein, dass die CSU einmal deutlich schwächer abschneidet als sonst? Wenn ja, was würde das in unserem Wahlsystem für die Größe des Bundestags bedeuten? Vor gut drei Jahren wurde dieses Szenario im Tagesspiegel unter der Überschrift „Weiß-blauer Problembär“ beschrieben: Die CSU landet bei 30 Prozent der Stimmen in Bayern, bekommt aber alle Direktmandate. Das Ergebnis war ein Bundestag mit 911 Sitzen. Doch das Szenario galt als weit hergeholt.

Murphys Gesetz lautet: Was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen. Am kommenden Wahlsonntag könnte sich das bestätigen. Nach der Tendenz der Umfragen ist nicht auszuschließen, dass es in Richtung dieses Szenarios geht. In vier Umfragen der Institute GMS und Infratest dimap zu Bayern liegt die CSU im Schnitt bei 28,5 Prozent. Nach der aktuellen Wahlkreisanalyse des Wahlinformationsdienstes „election.de“ wird sie fünf Wahlkreise nicht gewinnen können, in München und Nürnberg. Käme es so, dann hätte die CSU 41 der 46 Direktmandate. Da es knapp ausschaut, können es natürlich weniger oder mehr sein.

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Der Rest ist eine recht simple Angelegenheit, wie der Politikwissenschaftler Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen erklärt. Denn Bayern ist leicht auszurechnen. Die Faustregel Behnkes lautet, dass dort jeder Prozentpunkt der Parteien, die in den Bundestag einziehen, mit dem Anspruch auf ein Mandat gleichzusetzen ist. Bayern hat ein Sitzkontingent von 93, da im Süden aber der Anteil der Parteien, die nicht ins Parlament kommen, traditionell etwas höher ist als im Länderschnitt, kann man problemlos auf 100 aufrunden. Die CSU hätte also einen Anspruch auf 28 oder 29 Sitze. Trotz des beträchtlichen Schwächeanfalls aber hat sie 41 Direktmandate. Macht also einen Überhang von 12 oder 13 Mandaten.

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CSU löst hohen Ausgleichsbedarf aus

Behnke geht davon aus, wie auch Matthias Moehl von „election.de“, dass es bei dieser Wahl die CSU mit ihren Überhangmandaten sein wird, die den Bedarf an Ausgleichsmandaten auslöst. Denn über die anderen Bundesländer hinweg deutet sich eine recht ausgewogene Verteilung der Direktmandate von CDU und SPD an, so dass deren Überhänge wenig ins Gewicht fallen. Union und SPD haben bei ihrer Anpassung des Wahlrechts im vorigen Jahr beschlossen, dass drei Überhangmandate ohne Ausgleich bleiben dürfen. Insbesondere die CDU/CSU-Fraktion hat darauf gedrungen. Diese drei unausgeglichenen Mandate entfallen nun auf die CSU. Es gäbe in Bayern dann also nur neun oder zehn Überhangmandate.

[Lesen Sie zum Thema bei T Plus: Die Macht der Sonntagsfrage: Entscheidet die Demoskopie auch Wahlen?]

So gesehen tritt der Dämpfungseffekt dieses Schritts zwar ein. Er ist auch nicht unbeträchtlich. Aber was hilft es, wenn ausgerechnet die CSU tatsächlich der Problembär ist? Behnke und Moehl gehen davon aus, dass CSU-Überhänge mit 18 bis 20 Ausgleichsmandaten für andere Parteien neutralisiert werden müssen. Diese große Wirkung rührt daher, dass die CSU als Regionalpartei zum einen keine weiteren Landeslisten hat, mit denen Überhänge verrechnet werden können – das macht das Wahlgesetz nach der Änderung 2020 möglich. Und weil sie zum anderen im Bundesmaßstab eine Kleinpartei ist, muss massiv ausgeglichen werden, um den gesamtdeutschen Parteienproporz herzustellen.

Ein neuer Rekord

Es lässt sich so relativ leicht abschätzen, wie groß der nächste Bundestag sein könnte, wenn Bayern der Treiber ist. Nimmt man einmal zehn CSU-Überhänge an, nach Abzug der drei ausgleichslosen Mandate, dann braucht es 180 bis 200 Ausgleichssitze, um den Bundestag wieder ins Lot zu bringen. Addiert man diese Zahlen auf die Ausgangsgröße von 598 Sitzen hinzu, landet man bei 780 bis 800 Abgeordneten. Das aktuelle Parlament, das gern als „aufgebläht“ bezeichnet wird, hat 709 Sitze. Die Bundestagsverwaltung stellt sich vorsichtshalber auf ein Parlament mit 840 Abgeordneten ein.

Das ist auch klug: Denn je nach Relation von CSU-Zweistimmenergebnis und Direktmandatsgewinnen ist nach Behnkes Berechnungen auch ein Parlament mit deutlich mehr als 800 Sitzen nicht völlig auszuschließen. Ein „Normalparlament“ mit 598 Abgeordneten gäbe es erst, wenn die CSU in Bayern auf 33 bis 35 Prozent käme, aber gleichzeitig weniger als 39 Direktmandate holen würde - ein Ausgang mit geringerer Wahrscheinlichkeit.

Dem Zweitstimmenverhältnis der Parteien wird der nächste Bundestag nicht ganz entsprechen, wenn das skizzierte Szenario eintritt. Wer profitiert? Richtig, die CSU. Dank der drei ausgleichslosen Überhänge wird sie überproportional vertreten sein – als einzige Partei. Was bei CDU oder SPD eine eher kleine Abweichung wäre, wirkt sich bei der bayerischen Staats- und gesamtdeutschen Kleinpartei allerdings gewichtiger aus. Drei Mandate bedeuten nach der Faustregel einen Vorteil in Bayern von immerhin drei Prozentpunkten. Bei 41 Mandaten liefe die Überrepräsentation der CSU-Landesgruppe wegen dieses Ausgleichsvorteils auf fast acht Prozent hinaus.

Unter fünf Prozent, aber im Bundestag

Die aktuellen Prognosen – mit gebotener Vorsicht zu lesen – laufen auf etwas weniger als fünf Prozent bundesweit für die CSU hinaus. In den Bundestag zieht sie aber ein, weil es die Drei-Mandate-Regel gibt – jede Partei, die mindestens drei Wahlkreise gewinnt, hat Anspruch auf Vertretung im Parlament gemäß ihres Zweitstimmenergebnisses. Vor vier Jahren lag die Partei bei 38,8 Prozent in Bayern, das entsprach 6,2 Prozent bundesweit – und sie gewann damals in allen Wahlkreisen das Direktmandat.

So rettet also das geltende Wahlrecht der CSU nicht nur ihr Leben als Bundestagspartei, sie wird zudem noch gegenüber allen anderen Parteien bevorteilt. Und das nicht etwa wegen besonderer Stärke, nein, die „Belohnung“ gibt es, weil die CSU deutlich schwächer abschneidet als in früheren Wahlen.

Für den Steuerzahler wird das ziemlich teuer. Behnkes Rechnung sieht so aus: Ein zusätzliches Mandat kostet etwa 2,2 Millionen Euro über die gesamte Wahlperiode hinweg, bei 200 Mandaten über die Normalgröße hinaus kämen so 440 Millionen Euro an Mehrkosten zusammen. Jedes Überhangmandat der CSU verursacht wegen der vielen Ausgleichsmandate, die es nach sich zieht, Zusatzkosten in Höhe von 40 bis 45 Millionen Euro.

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