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US-Präsident Donald Trump mit seiner Supreme-Court-Kandidatin Amy Coney Barrett.

© Olivier DOULIERYAFP

Trump nominiert Amy Coney Barrett für den Supreme Court: Eine Richterin als Wahlkampfhilfe - und ein Albtraum für die Demokraten

Sie ist alles, was sich die die republikanische Basis wünscht: konservativ, gläubig, gegen Abtreibungen. Trump punktet mit der Nominierung von Barrett.

Ist die Schlacht vorbei, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat? Das zumindest legte US-Präsident Donald Trump nahe, als er am Samstagabend (Ortszeit) seine Entscheidung verkündete, wer an die Stelle der vor einer Woche verstorbenen Obersten Richterin Ruth Bader Ginsburg treten soll.

Die Bestätigung der konservativen Juristin Amy Coney Barrett im US-Senat werde "sehr unumstritten" sein, sagte Trump in Richtung der anwesenden republikanischen Senatoren. Wenig später erklärte er: "Ich denke, es wird leichter werden, als Sie denken."

Eigentlich gehen Beobachter davon aus, dass die wohl bereits in zwei Wochen beginnenden Anhörungen zu Barretts Überzeugungen, ihrer Einstellung bei Themen wie Abtreibung, der von Trumps Vorgänger Barack Obama eingeführten Gesundheitsreform ("Obamacare") oder der Trennung von Religion und Recht zu einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen den beiden politischen Lagern werden.

In 37 Tagen wird gewählt, da ist Kompromissfähigkeit nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Beide Seiten spekulieren darauf, dass die Richter-Personalie ihre eigene Basis mobilisiert. Für die Republikaner wäre Barrett die sechste Konservative - und damit ein Albtraum für die Demokraten, die dann nur noch auf drei liberale Stimmen im Supreme Court bauen könnten.

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So twitterte Kamala Harris, die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin, der als Senatorin im Bestätigungsverfahren eine entscheidende Rolle zukommen wird, nur Minuten nach der Vorstellung Barretts: Die Entscheidung für Ginsburgs Nachfolgerin verdeutliche, dass die Republikaner Obamacare zerstören und das Grundsatzurteil von 1973 zur weitgehenden Legalisierung von Abtreibungen ("Roe v. Wade") kippen wollten. "Diese Wahl würde das Gericht über Generationen weiter nach rechts rücken und Millionen Amerikanern schaden. Darum bin ich eindeutig gegen die Nominierung von Richterin Barrett", erklärte Harris.

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Die Demokraten fürchten um Obamacare

Die demokratische Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, betonte ebenfalls unmittelbar nach der feierlichen Zeremonie im Rosengarten des Weißen Hauses: Trump versuche seit vier Jahren, Obamacare zu zerstören. Diese Nominierung bedrohe den "lebensnotwendigen" Gesundheitsschutz von 135 Millionen Amerikanern mit Vorerkrankungen.

Und dennoch: Da Trump sich sicher sein kann, die notwendigen Stimmen der republikanischen Senatoren zusammenzuhaben, sieht es derzeit sehr danach aus, dass Barrett die dritte Frau im Kreis der neun Obersten Richter wird. Trumps Partei stellt 53 von 100 Senatoren in dieser Kongresskammer.

51 von ihnen haben zumindest ihre Zustimmung dafür signalisiert, den Nominierungsprozess voranzutreiben und noch vor dem Wahltag am 3. November abzustimmen - obwohl dies Ginsburgs letztem Wunsch widerspricht, dass ein neu gewählter Präsident diese so wichtige Entscheidung treffen solle, nicht einer in den letzten (Wahlkampf-)Wochen seiner Amtszeit.

Die Aussichtslosigkeit ihres Widerstands ist auch den Demokraten klar. Gleichzeitig können sie auf die öffentliche Meinung verweisen: Bei der Bevölkerung kommt der Zeitdruck bei der Nachfolgeregelung von Ginsburgs Sitz mehrheitlich nicht gut an. Nach einer aktuellen Umfrage der "Washington Post" sind fast sechs von zehn Amerikanern (57 Prozent) der Meinung, dass nicht der Amtsinhaber, sondern der Wahlsieger am 3. November die Nachfolgerin nominieren sollte.

Boykottiert die Opposition die Anhörungen?

Die Demokraten stehen nun vor der schwierigen Entscheidung, wie ablehnend sie einer der "brillantesten Rechtsexpertinnen in den USA" (Trump) bei den Anhörungen begegnen, um dem Wunsch beziehungsweise den Sorgen ihrer Anhänger gerecht zu werden. Dazu könnten sie sogar, wie Aktivisten fordern, die Anhörungen boykottieren.

Dagegen spricht zum einen, dass dies Kamala Harris die Möglichkeit nehmen würde, bei der Befragung der Kandidatin ihre Qualitäten als ehemalige Staatsanwältin zu demonstrieren. Harris machte bereits bei der Anhörung von Trumps zweitem Richterkandidaten Brett Kavanaugh von sich reden - erwartet wird, dass sie bei Barretts Anhörung eine entscheidende Rolle spielt.

Aber auch generell würde ein Boykott der Anhörungen die Demokraten einer zusätzlichen Möglichkeit berauben, über die Gefahren einer zweiten Amtszeit Trumps zu sprechen - und ihre Anhänger damit aufzurütteln. Die Anhörungen versprechen, ein gigantisches Medienereignis zu werden - Aufmerksamkeit, die in den letzten, entscheidenden Wahlkampfwochen nicht zu überschätzen ist.

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Auch das Lager des Amtsinhabers nutzt die anstehende Auseinandersetzung für die Mobilisierung der Wähler. So konnten Trump-Fans vor einer Wahlkampf-Rallye am Samstagabend in Middletown (Pennsylvania) auf großen Videoleinwänden live dabei zuschauen, wie ihr Präsident Barrett präsentierte - Trump flog dann kurze Zeit später zu ihnen und ließ sich dafür feiern.

Seine Anhänger lieben Trump - wie hier in Pennsylvania.
Seine Anhänger lieben Trump - wie hier in Pennsylvania.

© Spencer Platt/Getty Images/AFP

Die Spannung hatte er zuvor Tag für Tag gesteigert. In Emails an Unterstützer wurde potenziellen Spendern in Aussicht gestellt, dass sie als erste von der Personalie erfahren würden. Das Weiße Haus forderte noch am Samstag zum Countdown auf: Um 16.39 Uhr (Ortszeit), also 21 Minuten vor dem großen Ereignis, kam die letzte Mail. "In wenigen Minuten", stand da, "wird Präsident Trump seine Nominierung für den 115. Supreme-Court-Richter der Vereinigten Staaten verkünden." Und am Vorabend seiner feierlichen Zeremonie machte der Präsident bei einer Rallye in Newport News im Bundesstaat Virginia noch einmal deutlich, wie wichtig das Thema aus seiner Sicht ist.

Die Kandidatin ist er 48 Jahre alt

Vor geschätzt 4000 auf einem Flugfeld versammelten Anhängern pries er die "unglaubliche Einigkeit" innerhalb der Republikanischen Partei. Die Bestätigung seiner Kandidatin wäre ein "großer Sieg" vor dem 3. November, sagte Trump. "Sie sagen, die größte Sache, die du machen kannst, ist die Ernennung von Richtern, aber ganz besonders die von Supreme-Court-Richtern. Das ist die wichtigste Sache, die ein Präsident machen kann, weil es den Ton im Land für 40, 50 Jahre setzt."

Genau das fürchten die Demokraten - vor allem, da Amy Coney Barrett erst 48 Jahre alt ist. Oberste Richter werden in den USA auf Lebenszeit gewählt und sollen häufig Grundsatzfragen klären. Sie könnte also theoretisch jahrzehntelang die Rechtsprechung ihres Landes prägen - und damit die amerikanische Gesellschaft.

Eine gute Wahl? Trump jedenfalls scheint mehr als zufrieden.
Eine gute Wahl? Trump jedenfalls scheint mehr als zufrieden.

© Olivier DOULIERY / AFP

Die Juraprofessorin an der katholischen Elite-Universität Notre Dame, die seit 2017 als Bundesrichterin am siebten Berufungsgericht in Chicago (Illinois) arbeitet, ist keine Unbekannte. Schon bei der Senats-Anhörung für ihre jetzige Position war sie umstritten. In den vergangenen Tagen, in denen sie neben der 52-jährigen Bundesrichterin Barbara Lagoa bereits als Favoritin gehandelt wurde, ist viel über sie berichtet - und debattiert worden.

Vor allem aus einem Grund: Barrett, die als junge Juristin für den verstorbenen konservativen Obersten Richter Anthony Scalia gearbeitet hatte, gilt als Gegenentwurf zur liberalen Ikone Ginsburg, die ihr Leben lang für Gleichberechtigung kämpfte und vor allem von jungen Frauen verehrt wurde.

Barrett wäre die sechste Katholikin im Supreme Court

Barrett steht wie Scalia für die Denkschule der "Originalisten", die die amerikanische Verfassung von 1787 wortwörtlich im Sinne ihrer Autoren auslegen - ähnlich wie religiöse Fundamentalisten, die die Bibel wortwörtlich nehmen. Die 48-Jährige gehört außerdem den "People of Praise" an, einer charismatischen Erneuerungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche.

Das sorgt viele Liberale, die fürchten, dass sie diese traditionellen Rollenbilder auf die Rechtsprechung anwendet. Sie wäre, so sie bestätigt würde, bereits die sechste Katholikin im Supreme Court. Ginsburg war jüdischen Glaubens.

Bei ihrer Vorstellung am Samstag im Rosengarten präsentierte Barrett sich als moderne Frau und würdigte explizit die Errungenschaften von Ruth Bader Ginsburg. Sie dankte ihrem Mann Jesse, der sich um "mehr als seinen Teil" in ihrer Partnerschaft kümmere. Der Jurist, der lange Zeit als Staatsanwalt und nun als Anwalt arbeitet, sei laut ihren sieben Kindern auch der bessere Koch, erzählte sie.

Als Vorbild empfindet sie aber nach eigenen Worten weniger die Frau, die sie beerben soll, als ihren einstigen Mentor Scalia, der mit Ginsburg trotz unterschiedlicher Überzeugungen befreundet war. "Seine Rechtsphilosophie ist auch meine", sagte Barrett. "Ein Richter muss das Gesetz so anwenden, wie es geschrieben steht. Richter sind keine politischen Entscheidungsträger."

Sieben Kinder, zwei adoptiert, eins mit Down-Syndrom

Als beeindruckend empfinden es viele, dass zwei ihrer Kinder aus Haiti stammen und von ihr und ihrem Mann adoptiert wurden; außerdem, dass ein Sohn das Down-Syndrom hat. Als sie während der Schwangerschaft von dem Down-Syndrom erfuhr, entschied sie sich dafür, das Kind dennoch zu bekommen. Nicht nur entschiedene Abtreibungsgegner zollen ihr dafür Respekt.

Donald Trump, Melanie Trump, Amy Coney Barrett und ihre Familie.
Donald Trump, Melanie Trump, Amy Coney Barrett und ihre Familie.

© REUTERS/Carlos Barria

Liberale wiederum befürchten, dass mit ihr "Roe v. Wade" kippen könnte. Das muss aber nicht so kommen, beziehungsweise: Es ist unklar, wie weitreichend Barretts Ambitionen in dieser Frage sind. 2016 erklärte sie, sie gehe davon aus, Schwangerschaftsabbrüche würden auch künftig "im Grundsatz" erlaubt bleiben, könnten aber durch Einschränkungen abgeschwächt werden. Ihr geht es um die Frage, ob Leute noch sehr spät abtreiben können und ob Kliniken vorgeschrieben werden kann, welche Eingriffe sie vornehmen.

Wenn "Roe v. Wade" nicht mehr gilt, würde das bedeuten, dass die Einzelstaaten selbst wieder mehr regeln können, also dem Bund Zuständigkeiten entzogen werden. Liberal eingestellte Amerikaner sind alarmiert.

Das Thema Abtreibung mobilisiert

Das Thema Abtreibung mobilisiert in den USA enorm - beide Seiten. Zwar konzentrierte sich der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden bei seiner Warnung vor der von Trump favorisierten Kandidatin bisher nicht auf diese Frage, sondern vor allem auf die Gefahren für Obamacare: Mit der Zukunft der Reform beschäftigt sich der Supreme Court bereits eine Woche nach der Präsidentschaftswahl. Aber die Sorge, dass das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingeschränkt werden könnte, treibt viele Anhänger der Demokraten um.

Umgekehrt hoffen die republikanischen Wähler auf strengere Regeln. Viele von ihnen glauben und verbreiten die - falsche - Unterstellung in rechten Medien, die Demokraten wollten Spätabtreibungen "bis zum Tag der Geburt" ermöglichen.

Angesichts der Tatsache, dass genau das auch der Präsident fast täglich behauptet, verwundert das kaum. Bei seiner Rallye in Newport News am Freitagabend erklärte er sogar, die Demokraten wollten Babys "auch noch nach der Geburt" töten. Das werde er verhindern. Seine Anhänger quittierten dies mit lautstarker Zustimmung.

Mit der Ernennung von Amy Coney Barrett, so hoffen sie, würde eine konservative Mehrheit im Obersten Gericht auf lange Zeit in ihrem Sinne agieren. Trump, der bereits zwei Supreme-Court-Richter ernennen konnte, weiß um diese Hoffnungen - und stellt in Aussicht, in einer zweiten Amtszeit noch weitere Richter auswählen zu können. Aus Wahlkämpfer-Sicht war der Samstag ein guter Tag für ihn. Jetzt ist es an den Demokraten zu zeigen, wie das Thema ihnen nutzen könnte.

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