
© dpa/Michael Kappeler
„Eine Staatskrise sehe ich da nicht“: Für Juso-Chef Türmer wäre ein Nein der SPD zum Koalitionsvertrag kein Drama
Der SPD-Nachwuchs kritisiert den Koalitionsvertrag heftig. Sollten die Parteimitglieder die Vereinbarung ablehnen, hindere niemand Union und SPD daran, sich neu zu verständigen, so Juso-Chef Türmer.
Stand:
Die SPD-Nachwuchsorganisation hatte bereits zu Beginn des Mitgliedervotums der SPD vor mehr als einer Woche die Ablehnung des Koalitionsvertrags durch die Jusos angekündigt. Diese kritisieren unter anderem die Vereinbarungen mit der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik und die geplante Sozialpolitik. Juso-Chef Philipp Türmer nannte zudem den für alle Maßnahmen im Koalitionsvertrag vereinbarten Finanzierungsvorbehalt „eine tickende Zeitbombe“.
Aus Sicht Türmers wäre es kein Drama, wenn die SPD-Mitglieder den schwarz-roten Koalitionsvertrag ablehnen sollten. „Niemand hindert Union und Sozialdemokraten daran, sich nochmal neu zu verständigen“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Koalitionsvereinbarung sei Arbeitsgrundlage für vier Regierungsjahre, bei der man gründlich sein und nichts überstürzen sollte. „Eine Staatskrise sehe ich da nicht“, betonte er.
Eine Neuausrichtung der Partei wird sich auch in frischen Gesichtern auf relevanten Posten widerspiegeln müssen
Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jusos
Die zweiwöchige Abstimmung läuft noch bis zum 29. April, das Ergebnis soll am folgenden Tag bekannt gegeben werden. Das Votum ist für die Parteispitze bindend, wenn sich mindestens ein Fünftel der Mitglieder an der Abstimmung beteiligt.
Zu möglichen Neuwahlen im Falle der ausbleibenden SPD-Zustimmung zum Koalitionsvertrag äußerte sich Türmer skeptisch. Für Neuwahlen gebe es „nicht ohne Grund hohe verfassungsrechtliche Hürden, die kann man nicht einfach so anordnen“, sagte der Juso-Chef. Das Grundgesetz lege großen Wert auf Stabilität.
Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung sieht Türmer angesichts des historisch schlechten Wahlergebnisses der SPD und aktuell noch schlechterer Umfragewerte für die Partei die Notwendigkeit einer Erneuerung. „Es braucht eine programmatische Neuausrichtung als Partei, die ohne Wenn und Aber die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeiterinnen vertritt“, sagte Türmer.
„Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten viel Vertrauen verloren – auch wenn wir Teil einer Bundesregierung waren, auch unabhängig davon, wer an der Spitze der Partei stand. Wir haben mit vielen verschiedenen Gesichtern verloren. Die Probleme der Sozialdemokratie gehen also tiefer“, sagte Türmer.
Den Sozialdemokraten seien „die glaubhaften Visionen für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft abhandengekommen“. „Das muss sich wieder ändern.“ Türmer weiter: „Und eine Neuausrichtung der Partei wird sich auch in frischen Gesichtern auf relevanten Posten widerspiegeln müssen.“
SPD-Chef Lars Klingbeil wirbt seit Beginn des Votums vehement für den Koalitionsvertrag. „Es steht verdammt viel auf dem Spiel. Und deswegen geht es darum, die Frage zu beantworten, ob wir es hinbekommen, eine stabile Regierung in diesem Land zu bilden“, sagte er zu Beginn der Abstimmung.
Der Vertrag sei nicht SPD pur, aber es gebe gute Kompromisse. „Wenn wir das jetzt verbocken, wer weiß, was das für die Bundestagswahl 2029 oder 2033 in diesem Land bedeutet.“ Klingbeil sagte dazu, es werde organisatorische, programmatische und auch personelle Konsequenzen aus dem schlechten Wahlergebnis der Partei geben.
Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze appellierte an die SPD-Mitglieder, dem Koalitionsvertrag mit der Union zuzustimmen. Darin sei zwar nicht 100 Prozent SPD, „kann es aber auch nicht, denn wir sind der kleinere Partner in dieser Koalition“, sagte die SPD-Politikerin in Washington der Nachrichtenagentur Reuters.
Giffey hofft auf Mehrheit in SPD für Koalitionsvertrag
„Und dafür haben wir eine ganze Menge der Punkte im Koalitionsvertrag verankert, die der SPD wichtig sind, die reale Verbesserungen für das Leben der Menschen in Deutschland bieten.“
Die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey hält eine Mehrheit bei der Abstimmung der SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag mit der CDU im Bund für realistisch. „Ich denke schon, dass es gelingen kann, eine Mehrheit dafür zu bekommen“, sagte die SPD-Politikerin im ARD-„Morgenmagazin“.
Die Stimmung bei den Genossinnen und Genossinnen müsse man aber ernst nehmen – und die sei nicht überall „hochjauchzend“. „Das ist ein gemischtes Gefühl und auch eine gemischte Haltung dazu“, sagte Giffey.
„Aber ich glaube schon, dass es sehr, sehr vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehr klar ist, welche Verantwortung wir haben.“ Es müsse darum gehen, gerade angesichts der schwierigen Weltlage jetzt schnell eine verlässliche und stabile Bundesregierung zu bekommen. (lem)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: