zum Hauptinhalt
Die „balance of power“ ist inzwischen gestört, deshalb hält sich ein Mann mit oft irren Vorstellungen („Desinfektionsmittel injizieren“) weiter an der Macht: Donald Trump.

© imago images

Eine Weltmacht höhlt sich selbst aus: Die USA sind auf dem Weg zu einem „failed state“

Die politische Klasse korrupt, die Wirtschaft herzlos, die Öffentlichkeit gespalten: In den USA hat der Populismus gewonnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Die amerikanische Zeitschrift „The Atlantic“ hat einen für ihre Juni-Ausgabe geplanten Beitrag des Publizisten George Packer jetzt schon online gestellt. Es geht um die USA in den Zeiten von Corona – unter dem Titel „We Are Living in a Failed State“.

Eine deutsche Übersetzung des Texts druckt die jüngste „Zeit“, allerdings ohne den provokanten Originaltitel und den Zusatz: „Das Coronavirus hat Amerika nicht zerstört. Es offenbart, was schon zerstört war.“

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden]

George Packer, vormals Fellow der American Academy in Berlin und Autor einer preisgekrönten „Inner History of the New America“, sagt, die Trump-Regierung habe seit Beginn der Pandemie auf dem Niveau von Staaten wie Pakistan oder Weißrussland agiert.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Packer spricht von einer „korrupten politischen Klasse, einer sklerotischen Bürokratie, einer herzlosen Ökonomie“ und einer „gespaltenen, zerrütteten Öffentlichkeit“. Spätestens nach den beiden ersten Weltkrisen des 21. Jahrhunderts, dem 11. September 2001 und der Finanzkrise 2008, habe in den USA der Populismus gewonnen.

Sarah Palin war die Vorbotin Donald Trumps

Nicht Barack Obama sei der Herold einer neuen Zeit gewesen, sondern die „absurde“ Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, Sarah Palin. Als Vorbotin Donald Trumps.

Sind die Vereinigten Staaten tatsächlich ein „failed state“? Bislang galt diese Zuschreibung nur für ruinöse Staatsgebilde wie Afghanistan oder Somalia.

Noch sind die USA trotz Chinas Aufstieg die führende Weltmacht – aber führend wohin? Als Trump überraschend die Präsidentschaft gewann, war die Hoffnung, der egomanische Amateur könne im politischen Amt womöglich reifen, außerdem existiere durch die Institutionen noch eine „balance of power“. Doch selbst diese Balance ist inzwischen gestört, deshalb hält sich ein Mann mit oft irren Vorstellungen („Desinfektionsmittel injizieren“) weiter an der Macht.

[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]

Wer erwartet hatte, Trumps Unfähigkeit und Zynismus würden ihn politisch selbst zum Corona-Opfer machen, sieht sich enttäuscht. Der demokratische Kandidat Joe Biden ist gegen Trump keineswegs der klare Favorit bei den Präsidentschaftswahlen. Und Biden verkörpert die nächste Enttäuschung. Wohl wäre der Ex-Vizepräsident der Obama-Administration im Vergleich zu vier weiteren Jahren Trump das unendlich viel kleinere Übel. Wäre, was immer man gerade über ihn sagt, also schon ein Gewinn.

Nicht Barack Obama sei der Herold einer neuen Zeit gewesen, sondern Sarah Palin, die Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner (Foto 2009).
Nicht Barack Obama sei der Herold einer neuen Zeit gewesen, sondern Sarah Palin, die Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner (Foto 2009).

© AFP/Jewel Samad

Eine Politikerin mit der Ausstrahlung einer Michelle Obama ist nicht in Sicht

Aber warum überhaupt Joe Biden? Die Demokraten und über ihre Parteigrenzen hinaus alle mitdenkenden, mitfühlenden Amerikaner hatten fast vier Jahre Zeit, sich nach dem Trump-Schock zu besinnen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte.]

Die USA sind von ihrer Größe und ihren Möglichkeiten her wie kein anderes Land mit Begabungen, Pioniergeist (noch immer) und Ideen gesegnet; doch sie wirken als einstiges Vorbild von Freiheit und Demokratie auch wie verflucht: Unsinnige Wahlgesetze, ein nie reformiertes System, das Kandidaten fast nur noch auf der Basis des großen Geldes nach oben bringt, und eine unselige Mischung von irrationalem Populismus und härtestem Kommerz höhlen die Weltmacht von innen aus.

Joe Biden, demokratischer Präsidentschaftsbewerber, im Gespräch mit Co-Moderatorin Brzezinski über die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe eines sexuellen Übergriffs.
Joe Biden, demokratischer Präsidentschaftsbewerber, im Gespräch mit Co-Moderatorin Brzezinski über die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe eines sexuellen Übergriffs.

© dpa

Und sie bringen als Alternative zu einem demnächst 74-jährigen Katastrophalpräsidenten nur einen am Wahltag im November knapp 78-jährigen Mann hervor, in der Dämmerung seines politischen Lebens. Das sind tatsächlich die Anzeichen eines failed state.

Möglich, dass eine etwas charismatischere Frau als Vize-Kandidatin von Biden demnächst noch wie ein Licht am Ende des Tunnels erscheint. Nur, wer wird es sein?

Eine Politikerin mit der Ausstrahlung und Intelligenz einer Michelle Obama, die selbst nicht zur Wahl steht, ist bislang nicht in Sicht.

Zur Startseite