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„Eklatantes Führungsversagen der Union“: Ex-Ministerpräsident Müller geht Spahn wegen Richterwahl-Eklat an
Der CDU-Politiker aus dem Saarland saß jahrelang am Verfassungsgericht in Karlsruhe. Die Vorgänge im Bundestag bereiten dem 69-Jährigen große Sorgen. So etwas dürfe nicht passieren, sagt Müller.
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Deutliche Worte aus den eigenen Reihen: Der CDU-Spitzenpolitiker Peter Müller, früherer Ministerpräsident des Saarlandes und ehemaliger Richter in Karlsruhe, hat das Scheitern der Wahl von neuen Verfassungsrichtern im Bundestag am Freitag scharf kritisiert.
Müller lastete den Eklat um die geplatzte Richterwahl Jens Spahn, dem Fraktionschef von CDU/CSU, an. „So etwas darf nicht passieren“, sagte Müller im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Dies ist ein eklatantes Führungsversagen der Union.“ Der heute 69-Jährige war von 1999 bis 2011 saarländischer Ministerpräsident und von 2011 bis 2023 Richter am Bundesverfassungsgericht.
Für mich dokumentiert dieser Vorgang, dass wir in der politischen Mitte zunehmend unfähig werden, andere Meinungen auszuhalten.
Peter Müller, früherer Ministerpräsident im Saarland und ehemaliger Richter in Karlsruhe
Ihm mache es Sorge, so Müller, „dass die politische Mitte in Deutschland nur noch begrenzt handlungsfähig ist“. Dass es Vorbehalte gegen Personalvorschläge für Karlsruhe gebe, sei zwar „nichts Neues“, sagte Müller: „Nur: Bisher wurde das im Vorfeld geklärt.“
Man könne doch nicht der SPD zusagen, die Wahl einer Richterkandidatin mitzutragen, so Müller, „um später festzustellen, dass die notwendigen Mehrheiten in der eigenen Fraktion dafür nicht vorhanden sind“.
Das Bundesverfassungsgericht brauche „unterschiedliche Persönlichkeiten“, sagte Müller: „Davon lebt es. Und es zählt in den Beratungen dort das juristische Argument, sonst nichts. Wer da versucht, Politik zu machen, ist nicht gesprächsfähig. Für mich dokumentiert dieser Vorgang, dass wir in der politischen Mitte zunehmend unfähig werden, andere Meinungen auszuhalten.“
Der Bundestag hatte am Freitag über die Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht befinden sollen. Die Unionsfraktion forderte aber kurzfristig die Absetzung der Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und verwies auf Plagiatsvorwürfe.
Nach anderthalbstündigen Krisengesprächen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD wurden alle drei geplanten Richterwahlen von der Tagesordnung genommen.
In großen Teilen der Union wird die liberale Haltung der Professorin zu Abtreibungen, aber auch ihre Forderung nach einer Impfpflicht während der Corona-Pandemie kritisch gesehen. Begründet wurde die Ablehnung dann durch den Hinweis des österreichischen Plagiatssuchers Stefan Weber auf Übereinstimmungen zwischen der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns. Weber weist allerdings darauf hin, dass er ausdrücklich nicht von Plagiaten spricht.
Außer Brosius-Gersdorf hatte die SPD noch die Münchner Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold nominiert und die Union den vom Verfassungsgericht empfohlenen Arbeitsrichter Günter Spinner.
Müller fordert umsichtige Suche nach einem Kompromiss
Das Bundesverfassungsgericht sei allerdings arbeitsfähig, stellte Müller klar: „Das Gericht ist weiter handlungsfähig, da die drei Richter, deren Amtszeit zu Ende ist, so lange bleiben, bis die gewählten Nachfolger übernehmen können.“ Nun müsse die politische Mitte „umsichtig“ nach einem neuen Kompromiss suchen.
Ein neuer Anlauf zur Wahl der Verfassungsrichter soll voraussichtlich nach der Sommerpause des Bundestags im September folgen. Nach Informationen des Tagesspiegel will die SPD ihrer Kandidatin keine lange Ungewissheit zumuten. Die Überlegungen gehen in Richtung einer Sondersitzung des Bundestages etwa im August, heißt es.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) widersprach am Samstag Wertungen von SPD und Opposition, dass die geplatzte Richterwahl das Bundesverfassungsgericht beschädigt habe.
„Alles, was nicht zu einem ganz bestimmten Ergebnis führt, ist automatisch eine Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts: Dieser Sichtweise kann ich mich nicht anschließen“, sagte Dobrindt im Deutschlandfunk-„Interview der Woche“. „Ich sehe auch überhaupt ein Bundesverfassungsgericht nicht beschädigt.“ (lem)
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