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Politik: „Entweder Nachhilfe oder Klappe halten“ Ex-DDR-Oppositionelle sind über FDP verärgert

Berlin - Mit kühnen Vergleichen und gewagten historischen Parallelen ist das so eine Sache. Für die Chance einer gewissen medialen Aufmerksamkeit erliegt der eine oder andere schnell einmal der Versuchung, tief in die rhetorische Kiste zu greifen – und daraus zum Beispiel die Nationale Front der DDR als begriffliche Folie für die derzeitige große Koalition oder die Rechenschaftsberichte des SED-Politbüros als Vergleichsmaterial zur jüngsten Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin hervorzuholen.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Mit kühnen Vergleichen und gewagten historischen Parallelen ist das so eine Sache. Für die Chance einer gewissen medialen Aufmerksamkeit erliegt der eine oder andere schnell einmal der Versuchung, tief in die rhetorische Kiste zu greifen – und daraus zum Beispiel die Nationale Front der DDR als begriffliche Folie für die derzeitige große Koalition oder die Rechenschaftsberichte des SED-Politbüros als Vergleichsmaterial zur jüngsten Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin hervorzuholen. Und so hat denn FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, als er solches und Ähnliches im Tagesspiegel tat, viel Schelte aus seiner eigenen Partei einstecken müssen. Und das nicht nur von seiner Vorgängerin im Amt und freidemokratischen Vorzeigeostfrau Cornelia Pieper, sondern auch von überaus ernst zu nehmenden liberalen Institutionen wie Ex-Innenminister Gerhart Baum (der Niebels Rücktritt forderte) und Ex- Außenminister Hans-Dietrich Genscher (der die Vergleiche seines Parteifreundes als „ungehörig“ bezeichnete).

Aber auch außerhalb der FDP kommen solcherlei Worte nicht gut an – erst recht nicht bei denen, die die DDR erlebt und erlitten haben, ganz gleich, welchem politischen Lager sie heute zuzuordnen sind. Niebels Vergleiche seien schlicht und einfach „Diffamierung einer gewählten Regierung“, sagt etwa der frühere Pfarrer und langjährige Studienleiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Schorlemmer. Zwar müsse man die Dinge kritisch benennen, aber unsinnige Vergleiche vermeiden. „Das ist die Kalte- Kriegs-Wortkeule, die man im Sack lassen sollte“, sagt der 63-Jährige, der schon vor 40 Jahren in der DDR gegen die damalige neue Verfassung und gegen den Einmarsch des Militärs in die Tschechoslowakei demonstriert hatte. Auch er habe in der Neujahrsansprache der Kanzlerin vermisst, dass sie Probleme und Defizite anspricht. „Das war ein positiver Weichspüler“, sagt Schorlemmer. Doch Aufgabe der Opposition sei es, die Fehler konkret zu benennen.

Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz spricht von einer „Masche der FDP“, die „weit unter dem intellektuellen Niveau der FDP liege“. Das sei ähnlich wie bei Westerwelles 18-Prozent-Aktion: „Die Partei macht sich dabei selbst zur Karikatur“, sagt Schulz, der in der DDR seit den 70er Jahren in der kirchlichen Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsbewegung aktiv war und 1989 zu den Mitbegründern des Neuen Forums gehörte. Solche Äußerungen „verharmlosen das totalitäre System der DDR und schaden der Ernsthaftigkeit der FDP“, sagt Schulz.

Der Bündnisgrüne hält auch nichts davon, der Kanzlerin indirekt ihre DDR-Sozialisation vorzuhalten. Die DDR habe sie wohl eher zu einer „umsichtigen, behutsamen Politikerin“ werden lassen. „Sie war gewiss keine Widerstandskämpferin, aber sie war auch nicht nur angepasst“, meint er. Ihr Versuch eines moderierenden Politikstils könne man „nicht als unangenehm bezeichnen“ – auch wenn die große Koalition „nicht der große Wurf, sondern das große Tauziehen“ sei.

Was für einen Grünen wohl der Grenzwert eines Lobes für die christdemokratische Kanzlerin ist, kommt CDU-Mitglied Ehrhart Neubert leichter über die Lippen. DDR-Sozialisation reiche von Krenz bis Eppelmann, sagt der Theologe und Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs. Merkel habe sich mit ihrer Herkunft aus einem evangelischen Pfarrhaus „ständig durchsetzen und klug wie eine Schlange sein müssen“. Ihre politische Begabung sei die Suche nach Kompromissen. Sie handhabe die „Moderation der Gegensätze“: „Schröder oder Kohl könnte man sich kaum als Kanzler in einer großen Koalition vorstellen“, sagt Neubert, der Vorsitzender des Berliner „Bürgerbüro e. V., Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur“, ist. Vergleiche mit der DDR hält er für „Unsinn“: „Das ist nur für historisch Unkundige griffig.“

Reinhard Schult, der schon zu DDR-Zeiten in der kirchlichen Friedensbewegung arbeitete, in Haft saß und 1989 Mitbegründer des Neuen Forums war, formuliert das deutlicher: Auch wenn viel an der Politik – „im Übrigen auch in den 16 Jahren der FDP-Regierungsbeteiligung“ – zu kritisieren sei: Solche Vergleiche seien „so daneben, dass man keine Worte findet“. Und dann findet der 56-Jährige doch noch sechs: „Nachhilfe in Geschichte oder Klappe halten.“Matthias Schlegel

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