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Robert Habeck zeigt Mitgefühl mit der Ukraine.

© Annette Riedl/dpa

Er spricht das Offensichtliche aus: Habeck setzt sich mit seiner Aufrichtigkeit vom Ampel-Kabinett ab

In den ersten Kriegstagen fällt Vizekanzler Robert Habeck mit Selbstkritik und Mitgefühl für die Ukraine auf. Das ist keine Schwäche. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Felix Hackenbruch

Die Zerrissenheit ist Robert Habeck anzumerken: „Wäre ich jetzt der Energie- und Wirtschaftsminister der Ukraine würde ich mich wahrscheinlich verraten und verkauft fühlen“, sagt der deutsche Energie- und Wirtschaftsminister am Donnerstagabend im ZDF-Talk „Markus Lanz“.

Seit der Nacht lässt Russlands Präsident Wladimir Putin die Ukraine bombardieren, Truppen stehen zu diesem Zeitpunkt kurz vor Kiew. Doch, obwohl die ukrainische Hauptstadt nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt liegt, kommt aus Deutschland keine Hilfe.

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Er habe Verständnis für die Enttäuschung und Wut der Ukrainer, sagt der Vizekanzler. „Da wird das Land überrannt und wir machen Wirtschaftssanktionen.“ Ein paar Minuten vorher hat Habeck bereits eingeräumt, dass man der Ukraine nicht wirklich helfe. Worte und Taten würden auseinanderklaffen, erklärt der Grünen-Politiker gequält.

„Wir können nicht in einen Krieg mit Russland ziehen. Wir können keinen dritten Weltkrieg auslösen.“ Dem Westen seien die Hände gebunden. „Das ist von großer Tragik.“

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Robert Habeck spricht an diesen ersten Kriegstagen das Offensichtliche aus, während andere im politischen Berlin noch ihre Worthülsen der Solidarität mit der Ukraine wiederholen und in Richtung Putin drohen. Man kann Habecks Mitgefühl im Moment der Krise als Schwäche interpretieren. Doch mit seiner Aufrichtigkeit setzt er sich vom Rest des Ampel-Kabinetts ab.

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Bereits am Donnerstagmorgen räumte Habeck im ZDF ein, dass man Putin falsch eingeschätzt habe. „Rückblickend muss man sagen, wenn man sich die Schriften von Putin aus dem letzten Sommer anschaut, wenn man die Wortbeiträge zusammenschneidet, dass der Westen, Europa, Deutschland zu naiv waren.“

Damit setzt sich der Vizekanzler ein Stück weit vom Kanzler ab. Als sich Olaf Scholz ein paar Stunden später in einer Fernsehansprache an die Nation wendet, setzt der Kanzler auf Stärke. „Putin wird nicht gewinnen“, verspricht Scholz und droht dem russischen Präsidenten für den Fall, dass dieser die Nato-Mitglieder im Baltikum oder im Osten angreifen sollte.

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Selbstzweifel lässt Scholz nicht erkennen. „Wir hatten Hoffnungen, aber wir waren nicht naiv“, sagt der Sozialdemokrat. Dabei hatte er die Gaspipeline Nord Stream 2 noch im Januar als „rein privatwirtschaftliches Projekt“ bezeichnet und vor allem seine Parteifreunde brachten auffällig lange Verständnis für die russischen Aggressionen auf.

Habeck wollte der Ukraine schon im letzten Jahr mit Waffen helfen

Habeck und seine Partei kritisieren Nord Stream 2 schon seit Jahren – weil zum einen die Ukraine damit als Gastransitland mit einsprechenden Einnahmen umgangen wird und zum anderen, weil sonst die Abhängigkeit von Russland noch größer werden würde.

Nach seiner Ansicht wäre es klüger gewesen, die Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland nicht zu bauen, räumte der Wirtschaftsminister nach dem Stopp der Zertifizierung offen ein. Nun wird es seine Aufgabe sein, Deutschland schnell unabhängig zu machen von Putins Kohle, Gas und Öl.

Und noch ein weiterer Fehler seiner Vorgänger holt Habeck nun ein. Im vergangenen Jahr hat er auf Einladung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj das Land besucht. Nach Gesprächen in Kiew machte er sich im Donbass einen Eindruck an der Kontaktlinie, an der sich russisch unterstützte Separatisten und Ukrainer über Jahre blutige Kämpfe lieferten.

Anschließend äußerte er sich erschüttert und brachte Defensivwaffen-Lieferungen für die Ukraine ins Spiel. Es folgte ein Aufschrei in Deutschland, Habeck musste zurückrudern. Am Donnerstag bleibt er in seiner Rolle gefangen. „Wir werden keine Waffen an die Ukraine liefern“, sagt er auf einer Pressekonferenz. Habeck betont aber, heute könne er nur die Position der Bundesregierung wiedergeben. Seine eigene Meinung ist es wohl nicht.

Habecks Empathie ist nicht aufgesetzt

Habeck, der sich in seiner Jugend als Schauspieler ausprobiert hat, wird oft der Vorwurf der Selbstinszenierung gemacht. Doch seine Empathie für die Ukraine ist nicht aufgesetzt.

Als er am Vorabend des Ukraine-Kriegs im ARD-Talk „Maischberger“ sitzt, bebt ihm die Stimme. Stunden bevor Putin den Marschbefehl gibt, warnt er eindringlich vor einem massiven Landkrieg in Europa. „Ich muss da nicht kämpfen und ich werde auch nicht sterben in diesem Krieg“, sagt Habeck aufgekratzt. „Aber wenn es passiert, werden viele Menschen sterben.“

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Zu diesem Zeitpunkt weiß Habeck schon, was in der Ukraine droht. „Wir hatten Informationen“, sagt er einen Abend später bei „Markus Lanz“. Es habe Briefings der Nachrichtendienste gegeben, zudem habe er die amerikanische Handelsministerin getroffen. „Aus deren Umfeld wurde mir ein Briefumschlag zugesteckt. Als ich den gelesen hatte […] war zumindest klar, dass alles abgeschlossen ist.“

Ein bemerkenswerter Einblick für einen Minister, der sich am Ende der Sendung selbstkritisch verabschiedet. Der Krieg in der Ukraine habe schon 2014 begonnen. „Danach ist er nur stillgestellt worden“. Für die Ukrainer, die seit Jahren im Krieg mit Russland sterben würden, müsse die jetzige Überraschung des Westens „zynisch“ vorkommen.

Immerhin: Habeck findet in diesen Tagen, in denen der Westen der Ukraine wenig Taten bieten kann, die richtigen, kritischen Worte. Nun kommt es darauf an, ob aus alldem auch eine neue Russlandpolitik folgt – und ob Habeck bezahlbare Alternativen zu russischem Erdgas findet.

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