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Nicht alle Kinder sind mit Homeschooling gut zurechtgekommen.

© Image Source/Mauritius Images/Bonfanti Diego

Essstörungen, Depressionssymptome, Fettleibigkeit: Regierungsexperten legen verheerende Folgen der Pandemie für Kinder offen

Eine Expertengruppe zweier Bundesministerien hat analysiert, welchen Belastungen Kinder während der Pandemie ausgesetzt waren. Und was jetzt für sie getan werden muss.

Es brauche „ein ganzes Land“, heißt es in dem Schriftstück, doch steht das ganze Land bereit? Eine interministerielle Arbeitsgruppe von Familien- und Gesundheitsministerium, besetzt mit 25 Expertinnen und Experten, hat einen Bericht zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder und Jugendliche vorgelegt.

Er zeichnet ein Bild der entstandenen Belastungen und enthält Empfehlungen, was dagegen zu tun sei. Der Bericht wurde am Mittwoch vom Kabinett beschlossen und anschließend von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellt. Lauterbach sprach von Schäden, die nicht bleiben müssen, aber bleiben können. „Wir müssen jetzt sehr viel machen“, sagte er. Und Ministerin Paus zitierte eine Zahl aus einer anderen Untersuchung, derzufolge 73 Prozent der Kinder und Jugendlichen sich von der Pandemie bis heute psychisch belastet fühlen. 

In der Präambel des Berichts heißt es: „Besonders hart traf es diejenigen, deren Aufwachsen schon vorher von Belastungen geprägt war.“ Konkret genannt werden etwa folgende Erkenntnisse:

  • „Kinder und Jugendliche wiesen während der Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger Depressionssymptome auf als vor der Pandemie. Im Vergleich erhöhte sich die Häufigkeit für solche Depressionssymptome im Zeitraum ohne Schulschließungen nur um 27 Prozent.“
  • Der Anteil an Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren mit einer diagnostizierten Essstörung lag im Jahr 2021 um 54 Prozent höher als noch 2019.
  • Bei Depressionen und Angststörungen wird von einem Anstieg der Zahlen bei Mädchen, aber von einem Rückgang der Zahlen bei Jungen berichtet.
  • Bei Adipositas (Fettleibigkeit) sind die Zahlen bei beiden Geschlechtern gestiegen.
  • Viele Jugendliche und junge Erwachsene erlebten „teils erhebliche Brüche“ in ihrer Biografie, etwa weil sie ein Auslandsjahr nicht antreten oder nicht aus dem Elternhaus ausziehen konnten.
  • „Teilweise erheblich gestiegene Förderbedarfe in den Bereichen Sprache, Motorik und sozial-emotionale Entwicklung“ wird für Kinder im Alter vor der Einschulung festgestellt. Soziale Benachteiligung ist ein Risikofaktor.

Dabei stützen sich die Expertinnen und Experten, darunter etwa Jörg Dötsch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, und Susanne Kuger vom Deutschen Jugendinstitut, auf bereits veröffentlichte einzelne Studien, die sie für den Bericht zusammenfassend bewertet haben.

Sie machen klar, die sozialen Systeme seien auch vor Ausbruch der Pandemie „teilweise kaum in der Lage“ gewesen, „auf psychosoziale Beeinträchtigungen junger Menschen zeitnah zu reagieren“. Die Pandemie traf also eine Gesellschaft, in der für die Bedürfnisse Heranwachsender schon vorher nicht gut gesorgt war.

Den Ergebnissen entsprechend war das Echo aus der Politik am Mittwoch. Vertreterinnen und Vertreter der Ampelparteien zeigten sich bestürzt. „Zu wenig im Blick war uns die seelische und physische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen. Gerade diejenigen, die nicht immer auf der Sonnenseite groß werden, haben besonders gelitten“, sagte Dagmar Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

Von „dramatischen Auswirkungen“ der Pandemie sprach Johannes Wagner, Gesundheitspolitiker in der Grünen-Fraktion. Und die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen forderte einen Mental-Health-Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen.

Kurz zuschließen und danach normal weiterlaufen lassen: Das wäre nicht gegangen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach über Schulschließungen in der Pandemie

Minister Lauterbach sagte am Mittwoch erneut, die Schulen so lange zu schließen, sei rückblickend ein Fehler gewesen. Auf Nachfrage stellte er aber klar, es sei auch der Fehler gemacht worden, die Schulen nicht pandemiesicher zu machen. „Nur unter bestimmten Voraussetzungen“ wie Wechselunterricht und qualitativ hochwertigem Digitalunterricht hätten sie damals früher wieder geöffnet werden können, sagte Lauterbach. „Kurz zuschließen und danach normal weiterlaufen lassen: Das wäre nicht gegangen.“

Im Bericht stellen die Ministerien dar, was schon getan wird: vom Modellprogramm „Mental Health Coaches“ für Schulen bis zu Ideen gegen Medikamentenengpässe. Vor allem aber geben die Expertinnen und Experten Empfehlungen, und zwar für fünf Bereiche. Dabei geht es etwa um mehr „frühe Hilfen“ rund um Schwangerschaft und Geburt, um einen größeren Stellenwert des Themas Gesundheit in der Schule und um eine „breit angelegte Initiative zur Bindung von Fachkräften an das System Jugendhilfe“.

Alle, wirklich alle Fachkräfte haben vor genau diesen Folgen gewarnt, und schlappe drei Jahre später wird eine Expertengruppe gebildet.

Schreibt Community-Mitglied Offenbach-am-Meer

Zudem stellt das Gremium fest, dass es für Eltern „oft eine Herausforderung“ ist, „den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem ersten Lebensjahr für das eigene Kind praktisch durchzusetzen“. Gefordert wird Abhilfe gerade für sozial benachteiligte Familien etwa durch aktive Unterstützung bei der Suche nach einem Kitaplatz. Die Vorschläge wurden am Nachmittag auf einer Konferenz im Familienministerium erörtert.

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