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Boris Johnson verkündet am 30. Juni 2016, dass er nicht als Kandidat für die Cameron-Nachfolge zur Verfügung steht.

© AFP

Boris Johnsons Rückzieher nach dem Brexit: Et tu, Michael Gove?

Boris Johnson war fast am Ziel. Dann wurde er von einem Parteifreund verraten. Mit Johnsons Sprachlosigkeit verschwand auch sein Charisma. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Atemberaubend, welches Schauspiel das politische Leben Großbritanniens bietet. Was bei Shakespeare noch Königsdrama war, kehrte als Farce wieder. Soeben wurde einer gemeuchelt, der noch nicht einmal König war und schon gar kein Cäsar, es aber gerne geworden wäre, und dessen über Jahre sorgsam gebaute Karriere binnen einer Woche zerfiel, bis ihr am Donnerstagmorgen der letzte, tödliche Stoß versetzt wurde – und, wie es sich im Drama und also auch dessen farcenhafter Neuauflage gehört, von dessen engstem Verbündeten.

Max-Weber-Fans können ihre Freude haben an Johnsons Schicksal

In der Rückschau wird man wohl erkennen – wird er selbst erkennen -, dass Boris Johnsons Untergang in dem Moment begann, als er zu den höchsten Höhen aufbrach und bald auch getragen zu werden schien. In dem Moment, als das prototypische Upper-Class-Gewächs Johnson, zu Hause in der Weltmetropole London, geistreich, weltoffen, wohlhabend, den Brexit zu seiner Sache machte, bis er ihn schließlich – seht her, was ich kann! – tatsächlich zum Sieg führte. Nicht, dass nicht auch geistreiche, weltoffene, wohlhabende Menschen im Vereinigten Königreich für den Ausstieg aus der EU gestimmt hätten.

Es gehört schließlich zu den eilig ausgestreuten Legenden, dass nur arme Schlucker in den hässlichen Ecken des Königreichs dafür gewesen seien; was, nebenbei, sehr entlarvend den Klassendünkel kennzeichnet, der dort noch immer zuhause ist. Nur gerade Johnson konnte man das Engagement für den Ausstieg nicht wirklich glauben. Er selbst am allerwenigsten, wie sich zeigte, als das unerwartete Ergebnis vorlag. Da hatte Johnson keinen Plan, verzog sich eilends aus der Öffentlichkeit und sah untätig zu, wie sein Charisma durch schiere Sprachlosigkeit zerstob. Ja, die Max-Weber-Fans können ihre Freude haben an Johnsons Schicksal, zeigt es doch idealtypisch, wie Charisma erst wirkt und dann ganz schnell wieder vergeht, wenn den Gläubigen der Glaube genommen wird, weil der Prophet sprachlos bleibt.

Das Cäsar-Drama kehrte als Farce zurück

Und das ging bei Boris eben ganz schnell. Als die Nation auf gewichtige Worte wartete, gab er nichtssagende Floskeln von sich, und dann wandte sich sein engster Unterstützer Michael Gove ab, stieß ihm buchstäblich den Dolch in den Rücken und ernannte sich selbst zum Prätendenten.

Et tu, Brute? Ja, der Brutus stand bereit, das hatte Johnson nicht geahnt; aber dass er wenige Minuten nach dessen Verrat so ganz gelassen, beinahe heiter seinen Rückzug aus dem Wettlauf ums mächtigste Amt verkündete, ließ seine nun ihrerseits betrogenen Anhänger ahnen, dass der bewunderte Mann nichts ernst gemeint hatte und nur mehr den Ausgang suchte. Eben noch hatte Johnson eine Churchill-Biografie verfasst, an keinem Geringeren wollte er sich messen lassen; und dann versagte er binnen Tagen jämmerlich, nur eine Karikatur des unverwüstlichen Vorbilds. Allein der Verrat des Parteifreundes gibt ihm noch den Anschein tragischer Größe. Doch das Cäsar-Drama, das Shakespeare auf die Bühne brachte, das kehrte – wie gesagt – nur mehr als Farce zurück.

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