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Ungarns Regierungschef Viktor Orban reagiert schwerhörig auf EU-Kritik.

© AFP/Frederick Florin

EU-Strafverfahren gegen Ungarn: Zu viel Rabatt für Parteifreund Orban

Europas Konservative gehen zu spät auf Abstand zu Ungarn. Doch die Sozialdemokraten haben das gleiche Problem mit Rumänien. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Krisen wachsen schnell, große Institutionen reagieren langsam. Der aktuelle Fall betrifft den Umgang der EU und der konservativen Parteienfamilie EVP unter Manfred Weber (CSU) mit Ungarn. In der Woche, in der die EU entscheidet, ob sie ein Verfahren gegen Ungarn wegen Verstößen gegen Demokratie und Rechtsstaat einleitet, und Premier Viktor Orban vor dem Europäischen Parlament sprach, um das abzuwenden, ist nicht mehr viel zu retten. Das Verfahren war für den Fall gedacht, dass ein einziges Land die Werte missachtet. Inzwischen sind es mindestens vier: Ungarn, Polen, Italien, Rumänien. Sie schützen sich gegenseitig davor, verurteilt zu werden und Stimmrechte zu verlieren.

Ungarn wurde aus falschen Motiven geschont

Manfred Weber und die EVP müssen sich fragen, ob sie die Bedrohung nicht Jahre zu spät erkannt haben. Ungarn war das erste Land, in dem eine populistische Regierungspartei sich anschickte, ihre Herrschaft durch Eingriffe in Verwaltung, Justiz und Medien dauerhaft zu machen. Polen kam später – mit zwei Unterschieden. Erstens ist Orbans Fidesz-Partei Mitglied in einer großen Parteienfamilie, die polnische PiS nicht. Die EVP zögerte, hart gegen einen der ihren durchzugreifen. So wurde das erste Verfahren gegen Polen eröffnet, nicht gegen Ungarn.

Der zweite Unterschied: Orban ist flexibel. Er geht auf Kritik in der Regel so weit ein, dass scharfe Reaktionen ausbleiben und er doch einen Großteil seiner Ziele erreicht. Die PiS hingegen reagiert ideologisch und trotzig. Sie verweigert Korrekturen und hat den Konflikt mit der EU zugespitzt.

Manfred Weber hat seinen Ambitionen auf die EU-Spitze geschadet

Für Weber ist das Taktieren inzwischen riskant. Er will Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl werden, das Sprungbrett zum Amt des Kommissionspräsidenten. Unklarheiten in Wertefragen können ihm schaden. Sein französischer Konkurrent Michel Barnier sammelt als umsichtiger Brexit-Verhandler Punkte. So geht Weber nun spät auf Abstand zu Orban.

Der Ungar blieb am Dienstag vor dem Parlament bei seiner Mischung aus Abwehr und Begütigung. Der Report enthalte viele Missverständnisse über Ungarn. Einen Teil der beklagten Missstände habe die Regierung abgestellt, über Weiteres könne man reden. Dennoch kam die Zweidrittelmehrheit im Parlament für ein Verfahren gegen Ungarn am Mittwoch zustande. Damit wird der Ausschluss der Fidesz-Partei aus der EVP zwingend.

Lernt Europas Linke aus den Fehlern der Konservativen?

Im Rückblick war die Duldsamkeit der EVP ein Fehler. Aber lernen die Sozialisten, das andere große Lager, daraus? Sie haben das gleiche Problem mit Zeitverzögerung. Die regierenden Sozialdemokraten in Rumänien sind berüchtigt für Korruption, Wahlmanipulation und eine fragwürdige Justizreform. Linkspopulisten sind per se nicht harmloser als Rechtspopulisten. Und wenn sie gemeinsam eine Regierung bilden wie in Italien, ist das auch nicht weniger bedrohlich.

Europas Parteienfamilien hätten zu Beginn prinzipiell sein müssen: kein Rabatt für Parteifreunde. Wer Grundwerte missachtet, wird ausgeschlossen. Heute, nachdem sich die erste Krise vervielfacht hat, ist nur schwer dagegen anzukommen.

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