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Der Austritt Großbritanniens aus der EU hat große Folgen für ganz Europa.

© Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Europa vor dem Brexit: Lasst die Briten nicht einfach gehen!

Der Brexit trifft die Europäische Union ins Mark. Ein Europa ohne Großbritannien ist kein globaler Faktor mehr. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Briten haben schon mal Fähren gechartert. Sicherheitshalber, für den Fall, dass es nach dem 29.März zu einem harten Brexit kommt, zu einer schmutzigen Scheidung. Die Fähren sollen Waren auf die Insel bringen, wenn Dover durch tausende, auf Abfertigung wartende Lastwagen blockiert ist. Man könnte das eine pragmatische Lösung nennen, spielerisch, sehr britisch.

Aber das ist kein Spiel. Egal, ob das Parlament in London am 15. Januar dem Austrittsvertrag zustimmt oder nicht, wird alles, was danach kommt, nicht nur für die Briten vermutlich schlechter sein, als das, was sie jetzt haben, sondern auch für den Kontinent, für das verbleibende Europa der 27.

In dessen „Hauptstadt“, Brüssel, scheint man bis heute zu verdrängen, was der Brexit wirklich bedeutet. Die EU und ihre Verhandler sprechen immer nur von dem wirtschaftlichen Kraftpaket, das Europa sei. Vor dem sich Britannien künftig fürchten müsse, wenn es nicht endlich die ausgehandelten Regeln übernehme. Alles andere aber will Brüssel nicht begreifen. Fakt ist: Der Austritt Englands trifft die Europäische Union ins Mark. Europa ohne Großbritannien ist kein globaler Faktor mehr.

Dabei kann die Rechnung jeder aufmachen. Die wirtschaftliche Kraft eines Staates wird ohne den Rückhalt militärischer Stärke am Ende zur Durchsetzung alleine nicht genügen, wenn sie einen Gegenspieler hat, der nicht regelkonform handelt. Der Punkt des möglichen Scheiterns ist erreicht, wenn das Land auf ein Gegenüber trifft, das militärische mit ökonomischer Potenz verbindet.

Gespaltenes Denken

USA, China, Russland sind nur drei Beispiele. Dabei zeigt der Fall Russland, dass militärische Potenz auch ohne wirtschaftliche Dynamik zumindest eine gewisse Zeit erfolgreich agieren kann. Aber eine Europäische Union ohne die Militärmacht Großbritannien, ohne das weltweite Gewicht der britischen Diplomatie und der ungebrochenen Traditionen, ist eben keine Powerbank mehr. Europa mit Großbritannien, das ist ein Gegner, der auf Sieg spielen kann, weil er auf vielen Positionen gut besetzt ist. Europa ohne Großbritannien ist wie eine Fußballmannschaft, die nicht anzugreifen wagt, weil sie der Stabilität der eigenen Verteidigung nie sicher sein kann.

Die europäische Illusion über das, was wirklich ist, resultiert vermutlich aus einem gespaltenen Denken. Für Sicherheit sei die Nato zuständig, meint man in Brüssel. Aber das stimmt nur noch bedingt. Seit Donald Trump ist das sogar eine gefährliche Vorstellung geworden. Alles Nachdenken über die Notwendigkeit einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ im militärischen Bereich, über gemeinsame Rüstungsprojekte und eine Art militärischen Schengen-Raum in Europa ist über Reden nicht hinausgekommen. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die der Vertrag von Maastricht beschreibt – wo ist sie?

Die Europäische Union von heute hat die einstige Dynamik verloren. Sie ist zu schnell gewachsen, sich selbst fremd und risikoscheu geworden. Sie hat Selbstbewusstsein verloren und lässt sich von Populisten auf der Nase herumtanzen. Was sie dringender denn je zum Überleben suchen muss, sind Pragmatiker der Macht, die auf der Welt ernst genommen werden. Europa braucht mehr England und nicht weniger. Dessen Politiker mögen derzeit etwas chaotisch wirken. Aber geben wir ihnen eine Chance – und wenn’s aus purem Egoismus ist.

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