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Facebook-Gründer Mark Zuckerberg

© AFP/Justin Sullivan

Facebook-Chef im Zwielicht: Wie gefährlich ist Mark Zuckerberg?

Der Facebook-Gründer galt als Genie, als Visionär, er wollte die Welt verändern. Doch nach dem Datenskandal zeigt sich: Das ist nur die eine Seite der Geschichte.

Es ist ein Dienstag im November vor acht Jahren, als Mark Zuckerberg Besuch aus der echten Welt bekommt. Er sitzt mit der Führungsspitze von Facebook in einem Konferenzraum in seiner Firmenzentrale in Palo Alto. Es geht um eine technische Neuerung, die gerade geglückt ist. Der neue Messenger-Dienst läuft reibungslos. Da betritt ein älterer Herr den von drei Seiten verglasten Raum. Vielleicht ist er der einzige Mann im ganzen Gebäude mit grauen Haaren. Ganz sicher der einzige mit Anzug und Krawatte, den Insignien der alten Ordnung.

Der Mann reicht dem überraschten Mark Zuckerberg die Hand und stellt sich vor. Er habe einfach mal vorbei schauen müssen. Er, Robert Mueller, Direktor des FBI. Direktor einer Behörde, die erkannt hat, dass sie über eine weit geringere Datenbasis verfügt als Facebook, deutlich weniger Informationen über ihre Bürger hat, dass überhaupt kein Staat jemals so viel über seine Bevölkerung wusste, wie das Unternehmen des damals 26-Jährigen, der da vor ihm steht.

Heute ist Mueller Sonderermittler und soll die Verwicklungen Russlands in die vergangene US-Präsidentschaftswahl aufklären. Und Mark Zuckerberg findet sich wieder in einem der größten Datenskandale der Geschichte. Die britische Firma Cambridge Analytica ist an Informationen von bis zu 50 Millionen Facebook-Nutzern gekommen und verwendete die Daten offenbar, um die US-Wahl zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen. Digitale und echte Welt sind längst nicht mehr zu trennen.

1,4 Milliarden Menschen nutzen Facebook täglich. Und nur die wenigsten von ihnen können bis heute die Frage beantworten, die auch Robert Mueller damals nach Palo Alto trieb: Wer zur Hölle ist der Mann, der dieses neue Zeitalter des Internets heraufbeschworen hat? Wer ist Mark Zuckerberg?

Seine Privatsphäre ist Zuckerberg wichtig

Man kann ihm keine Freundschaftsanfrage schicken. Aber natürlich hat er eine Facebook-Seite, auf der er verrät, dass er mit Priscilla Chan verheiratet ist und dieses Facebook erfunden hat. 105 177 955 Menschen gefällt das. Wenige Fotos zeigen ihn mit seinen beiden kleinen Töchtern August und Maxima. Das war’s. Und das ist nicht gerade viel Information für einen Mann, dessen Geschäftsmodell es ist, alles über seine Nutzer zu wissen. Facebook erfasst, welche Schuhe wir gern tragen, ob wir auf Tinder nach ein bisschen Nähe suchen oder auf LinkedIn nach einer Beförderung, welche Musik wir mögen, welche Parteien wir wahrscheinlich wählen, wo wir spazieren gehen und bei wem wir uns auf Whatsapp ausheulen. Und zwar weil Kunden gutes Geld dafür bezahlen, Werbung nur den Nutzern anzuzeigen, die sich auch wirklich für ihre Produkte interessieren.

Es ist dagegen vergleichsweise schwierig herauszufinden, was man eigentlich dem Mann verkaufen könnte, der sich mit einem geschätzten Vermögen von 67 Milliarden Dollar fast alles leisten kann. Die eigene Privatsphäre ist ihm wichtig.

Der Autor Lev Grossmann ist einer der wenigen Menschen, denen Zuckerberg einen kleinen Einblick erlaubt hat. In einer großen Reportage für das „Time“-Magazin zeichnet er das Bild eines Genies. Eines Visionärs. Mark Zuckerberg wird 1984 in White Plains im US-Bundesstaat New York geboren. Und sein Vater Ed Zuckerberg ist früh davon überzeugt, sein Sohn werde später einmal Anwalt werden und jede Jury um den Finger wickeln. Es kommt anders. Der junge Zuckerberg interessiert sich mehr für seinen Quantex 486DX Computer auf dem er seine ersten Versuche im Programmieren startet. Als er zwölf ist, soll er sich bereits ein Intranet für zuhause ausgedacht haben. Die Eltern unterstützen ihn, lassen Handwerker kommen, die Kabel und Drähte im Haus verlegen. Seine Bar-Mizwa stellt er unter das Motto „Star Wars“. Später entwickelt er eigene PC-Spiele. Unter anderem eine Version von „Risiko“. Nach den Sternen greifen, Welt erobern, so kann man das wenige, was man aus seiner Jugend weiß, deuten, aber so einfach ist es nicht.

Facebook gründete er im Studentenwohnheim

In dem Film „The Social Network“ wird Zuckerberg 2009 als einer porträtiert, der emotional behindert ist, Facebook erfand, um endlich Anschluss zu finden, Mädchen rumzukriegen. „Von unserer eigentlichen Motivation hatten sie keine Ahnung – dass wir einfach denken, das ist eine unfassbar irre Geschichte, die wir da machen“, sagt Zuckerberg damals dazu. Tatsächlich hat Zuckerberg sein ganzes Leben in stabilen Beziehungen gelebt. Erst zu seinen Eltern, später zu Frau und Kindern. Freunde an der Universität Havard zählen später zu seinen engsten Mitarbeitern.

Es ist das zweite Jahr im College, als er den Grundstein für Facebook legt. Die Website, die er schreibt, nennt er damals „Facematch“. Aus den Jahrbüchern, die in den USA „Face Books“ heißen, besorgt er sich Fotos von Studenten und lässt immer zwei gegeneinander antreten und andere Nutzer darüber abstimmen, wer attraktiver ist. So ergibt sich ein Ranking der beliebtesten Studenten. Die Seite ist so erfolgreich, das Havard sie vom Netz nehmen muss, weil die Serverkapazitäten nicht ausreichen.

Aus dem Zimmer seines Studentenwohnheims heraus veröffentlicht Zuckerberg am 4. Februar 2004 Facebook. Glaubt man Zuckerberg und seinen Vertrauten, hat er Facebook nicht geschaffen, weil er sich isoliert fühlt. Sondern, weil er will, dass alle ein Leben, eine Vernetzung haben können, wie er es genießt. Zuckerberg selbst sagt einmal dazu: „Wir versuchen die Welt abzubilden, so wie sie ist. Ich glaube, dass wir als menschliche Wesen die Welt über Menschen erkunden, über unsere Beziehungen.“

Über Jahre erzählen Mitarbeiter nur Gutes über ihn

Seine Vision vom Internet steht allem entgegen, was bisher Standard ist. Ist das Internet zuvor ein Netzwerk von Computern, über die niemand die alleinige Kontrolle hat, sieht Zuckerberg darin ein Netzwerk von Menschen. War das Internet zuvor ein Ort der Freiheit, Anonymität, an dem sich jeder neu erfinden konnte, macht Zuckerberg das Netz zum globalen Wohnzimmer. Zuckerberg hat die virtuelle der realen Welt wieder nähergebracht. Er ist überzeugt, dass es das ist, was die Menschen wollen. Und was sie wollen, was in ihren Köpfen vorgeht, hat ihn immer interessiert. „Am College habe ich parallel zum Abschluss in Computerwissenschaft auch einen in Psychologie gemacht“, erzählt er mal.

Über Jahre hört man von Mitarbeitern nur Gutes über Zuckerberg. Ein Mann, der Facebook lebt, der das Motto lebt „Bringing the world closer together“. Ein Philantrop der Milliarden spendet, jahrelang lieber einen Acura fährt als einen Lexus, der mit 22 Jahren ein Milliardenangebot von Yahoo für Facebook ausschlägt, weil er an das Projekt glaubt, an seine Mitarbeiter glaubt, weil er ahnt, dass da keine Revolution im Gang ist, sondern ein Schritt auf eine neue Stufe der Evolution dessen, wie wir uns als Menschen vernetzen, verstehen.

Doch das ist nur die eine Seite der Geschichte.

Die Geschichte von Facebook ist auch die eines Unternehmens, das alles für sein Wachstum tut. „Move fast and break things“ – das war Facebooks Motto, es stand sogar an den Wänden der Zentrale. Schnell sein – und wenn es schief geht, kann man sich immer noch entschuldigen. Das hat Mark Zuckerberg verinnerlicht.

Kopieren und zerstören

Seit Jahren ist ihm die Privatsphäre der Nutzer weniger wichtig als der wirtschaftliche Erfolg. Das Geschäft mit der Werbung steht stets an erster Stelle. Bereits 2010 geriet Facebook wegen der Weitergabe von Nutzerdaten an Dritte in die Kritik. 2014 wurde bekannt, dass Facebook zwei Jahre zuvor Hunderttausende seiner Nutzer zu Versuchspersonen gemacht hatte, um in einer Studie herauszufinden, wie sich positive und negative Emotionen in Netzwerken verbreiten.

Die Nutzer kümmerte das wenig. Es wurden immer mehr.

Zuckerberg hat es geschafft alle Konkurrenten, die Facebook gefährlich werden könnten, unschädlich zu machen. „Copy and Crush“, kopieren und zerstören, nennt sich das. Als etwa „Periscope“ aufkam – eine App für Videoübertragungen in Echtzeit – baute Zuckerberg eine ähnliche Funktion einfach bei Facebook ein. User nutzen ihren Facebook-Zugang mittlerweile, um sich auf anderen Webseiten anzumelden, teilen ihren Freunden bei einem Terroranschlag mit, dass sie in Sicherheit sind und schreiben Nachrichten über den Facebook-Messenger, wenn sie früher eine SMS getippt hätten. Zu Facebook gehören heute Whatsapp und Instagram, die wohl populärste Seite zum Teilen von Fotos.

Facebook ist ohne Zweifel einer der mächtigsten Konzerne der Welt. Nur ist daraus bei Mark Zuckerberg nicht das Gefühl erwachsen, Verantwortung zu tragen.

Er ist der Meinung, dass Facebook die Information demokratisiert hat. Hier kann jeder sagen, was er will. Was auch immer auf Interesse stößt, verteilt sich schneller als anderes. Lange unterschied Facebook nicht zwischen Fakenews, Satire und echten Nachrichten, tut es in Deutschland bis heute weitgehend nicht. Der Politik suggerierte Zuckerberg stets: Vertraut uns, reguliert uns nicht, wir wissen, was wir tun.

Wissen sie es?

Facebook befindet sich in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Möglicherweise ist der sagenhafte Aufstieg des Unternehmens bald vorbei.

Zuckerbergs Dilemma beginnt 2016. Damals kommt heraus, dass im US-Präsidentschaftswahlkampf offenbar russische Akteure mit Kreml-Verbindungen Berichte über gehackte E-Mails der US-Demokraten lancierten und Facebook nutzten, um Stimmung für Donald Trump zu machen. Sie veröffentlichten Artikel mit erfundenen Aussagen, die Trumps Gegner zu Waffenbesitz, Abtreibung oder Terror angeblich gemacht hätten. Facebooks Sicherheitschef Alex Stamos soll das intern auch gemeldet haben, doch Zuckerberg nennt die Vorstellung, Falschnachrichten hätten den Wahlausgang beeinflusst, „ziemlich verrückt“.

Angriff auf sein Lebenswerk

Im September 2017 sitzt Zuckerberg dann im T-Shirt vor einer Sofa-Ecke im Hauptquartier, schaut direkt in die Kamera und sagt, Facebook könne nicht alle schlechten Inhalte verhindern. „Freiheit bedeutet, dass du nicht zuerst um Erlaubnis fragen musst. Das heißt, du kannst sagen, was du willst. Aber wenn du unsere Community Standards oder das Gesetz brichst, wirst du Konsequenzen spüren.“

Wenig später stellt sich heraus, dass 80 000 Beiträge der russischen Fake-News-Kampagne potenziell 126 Millionen Nutzern angezeigt wurden. Im jüngsten Skandal um Cambridge Analytica wusste Zuckerberg offenbar seit Jahren von der illegalen Datenbeschaffung. Und tat – nichts.

Seit Beginn der Woche hat Facebook Milliarden Dollar an Börsenwert verloren, die britische Datenschutzbehörde ermittelt gegen Cambridge Analytica, auch Staatsanwälte in den USA haben Ermittlungen eingeleitet. Aktionäre verklagen Facebook.

Falls ihn der Angriff auf sein Lebenswerk berührt, lässt Zuckerberg es sich nicht anmerken. Er steht zu seiner Vision. Er will die Welt verbessern. Doch er sieht die Nebenwirkungen nicht. Oder will sie nicht sehen.

Als vor acht Jahren FBI-Chef Robert Mueller in seinen Konferenzraum kommt, ist ihm das jedenfalls keine Warnung. Nur Stunden nach dem Treffen, erzählen sich Mitarbeiter später, muss Zuckerberg daran erinnert werden, wer der Mann überhaupt war.

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