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Innenministerin Nancy Faeser redet bei der Autaktveranstaltungsreihe Einwanderungsland Deutschland. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war dabei.

© ullstein bild/Frank Ossenbrink

Fachkräfte, Chancen, Pässe: So baut die Ampel das Migrationssystem um

Die Regierung plant einen Neuanfang in der Migrationspolitik. Diese Woche beschäftigen wichtige Vorhaben den Bundestag und das Kabinett. Doch es gibt Kritik.

Eigentlich sind sie sich in der Ampel einig. Die Koalition will einen „Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik“. So steht es im Koalitionsvertrag, den SPD, Grüne und FDP vor einem Jahr vereinbart haben. Doch trotzdem gibt es immer wieder Streit.

Zuletzt beschwerte sich die FDP, weil sie befürchtet, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht die richtigen Prioritäten setzt. Faeser hatte eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts angekündigt – Einbürgerungen sollen schneller möglich sein.

Generalsekretär Bjian Djir-Sarai erklärte, die Ampel dürfe den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen. Die FDP drängt auf bessere Förderung der Arbeitsmigration und eine stärkere Durchsetzung von Abschiebungen. Doch tatsächlich gehört auch das zum Umbau des Migrationssystems, den die Ampel plant. Ein Überblick.

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Mehr Fachkräfte

Das Fachkräfteeinwanderungsrecht ist für die FDP besonders wichtig. Die Liberalen wünschen sich schon seit Jahren ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. An diesem Mittwoch nun sollen die Eckpunkte für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Kabinett beschlossen werden. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor. Es sieht drei Säulen vor. Die „Fachkräfte-Säule“, die „Erfahrungs-Säule“ und die „Potenzial-Säule“.

Fachkräfte sollen weiterhin das „Rückgrat der Erwerbsmigration“ nach Deutschland bilden. Abschlüsse aus dem Ausland sollen künftig leichter anerkannt werden können. Aber auch ohne formale Anerkennung ihres Abschlusses sollen Menschen nach Deutschland zuwandern können – wenn sie eine zweijährige Berufserfahrung mitbringen und einen Berufs- oder Hochschulabschluss haben, der im Herkunftsland gültig ist.

Mit „Potenzial-Säule“ ist gemeint, dass Menschen mit gutem Potenzial – also etwa sehr guten Deutschkenntnissen – der Aufenthalt zur Suche eines Arbeitsplatzes ermöglicht werden soll.


Chancenaufenthalt

Noch in dieser Woche soll neben einem Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren das Chancenaufenthaltsgesetz im Bundestag verabschiedet werden. Ende Dezember 2021 befanden sich laut Gesetzesentwurf 242.029 geduldete Ausländer in Deutschland. Gut 136.000 lebten seit mehr als fünf Jahren hier.

Ihnen soll eine Chance eingeräumt werden, die Voraussetzung für einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu erfüllen – sie müssen also Sprachkenntnisse erwerben, ihren Lebensunterhalt sichern und einen Identitätsnachweis erbringen. Dann können sie dauerhaft in der Bundesrepublik bleiben. Um die Details wurde innerhalb der Ampel bis zuletzt noch gerungen.

Die Reform unseres Staatsangehörigkeitsrechts ist lange überfällig.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)

Besonders die Union attackiert das Vorhaben scharf. Das geplante Chancenaufenthaltsrecht bedeute die Abschaffung der Duldungsregeln und eine pauschale Umwandlung in ein Bleiberecht, sagt etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Bei der Anhörung am Montag zum neuen Gesetz gab es auch unter Experten Kritik. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag etwa äußerte die Befürchtung, Ausländer würden ermutigt, illegal und ohne Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht nach Deutschland einzureisen oder ihrer Ausreisepflicht nicht nachzukommen.


Rückführungsoffensive

Mit dem Chancenaufenthaltsrecht verknüpft die Ampel aber auch das Vorhaben, konsequenter als bisher Straftäter und Gefährder abzuschieben. Vorgesehen ist, für diese Personen die Ausweisung und die Anordnung von Abschiebungshaft zu erleichtern. Im Koalitionsvertrag der Ampel ist sogar von einer „Rückführungsoffensive“ die Rede.

„Die Ampel hat großspurig eine Rückführungsoffensive versprochen – und wieder nichts davon umgesetzt“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm. Dass es hier nicht stark genug vorangehe, moniert auch die FDP.

Eine Hürde ist, dass viele Gefährder aus Staaten stammen, in die die Bundesrepublik derzeit nicht abschiebt – etwa Syrien, Afghanistan oder Russland. Bis Mitte November wurden in diesem Jahr laut Bundesinnenministerium nur 23 Personen aus dem islamistisch-terroristischem Spektrum abgeschoben, deren Fälle zuvor im „Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum“ behandelt wurden.

Aus der FDP gibt es Kritik daran, dass noch immer der Sonderbevollmächtigte Migration nicht eingesetzt ist, den die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat. Dieser soll Abkommen mit Herkunftsländern schließen, die sowohl legale Migration, aber auch Rückführungen ausreisepflichtiger Migranten möglich machen. Schon seit Längerem ist für den Posten der frühere NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) im Gespräch. Doch innerhalb der Ampel hakt es noch – vor allem für die Grünen ist das Thema Rückführungen heikel.


Einbürgerung

Zudem plant die Ampel einen Paradigmenwechsel bei den Einbürgerungen. Zu den wesentlichen Änderungen, die der Entwurf von Nancy Faeser vorsieht, gehört: Die Mindestaufenthaltsdauer für Einbürgerungen soll von acht auf fünf Jahre verkürzt werden, bei besonderen Integrationsleistungen auf drei Jahre. Wer Deutscher oder Deutsche werden will, muss die alte Staatsbürgerschaft dafür nicht mehr aufgeben.

Die FDP hatte das Vorhaben nicht in der Sache kritisiert, aber darauf gepocht, dass Fachkräfteeinwanderung und Rückführungen Priorität haben sollen. Tatsächlich soll das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nun aber in jedem Fall vor oder zeitgleich mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts verabschiedet werden.

Auch Kinder von Ausländern, die seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland leben und bisher nur bis zum 23. Geburtstag beide Pässe behalten durften, müssten sich dann künftig nicht mehr zwischen Deutschland und dem Herkunftsland der Eltern entscheiden.

„Die Reform unseres Staatsangehörigkeitsrechts ist lange überfällig und eine große Chance, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken“, verteidigte Faeser in dieser Woche ihre Pläne in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel.

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