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Konstantin Kuhle (FDP) wartet im Bundesverfassungsgericht auf den Beginn der mündlichen Verhandlung.

© dpa/Uli Deck

FDP-Politiker klagt für mehr Transparenz: Sogar bei Geheimdiensten muss nicht alles geheim sein

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt die Klage eines FDP-Politikers gegen die Regierung. Er will wissen, wie viele Verfassungsschützer im Ausland spitzeln.

Der Angriff auf die Ukraine kam so plötzlich, dass selbst der Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND) Bruno Kahl davon überrascht wurde. Von einem Spezialtrupp eskortiert, musste der Geheimdienstchef auf dem Landweg aus Kiew herausgebracht werden. Was machte er dort? Mit wem traf er sich?

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle nutzte diesen Fall am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht als Beispiel dafür, welche Fragen die Regierung dem Parlament als gesamtem Gremium niemals beantworten müsste. Höchstens das eigens für solche Zwecke eingesetzte Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) wäre zu informieren, ein hochgeheimer Zirkel mit abgezählten Mitgliedern. Zu brisant ist solches Wissen über operative Tätigkeiten des BND bei einem aktuellen Geschehen, um es in der Öffentlichkeit auszubreiten.

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Kuhles Fall aber ist ein anderer: Er wollte 2020 wissen, wie viele Mitarbeiter eines anderen Geheimdiensts, des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), in den vorangegangenen Jahren ins Ausland entsandt worden waren, um dort ihrer Beobachtungsarbeit nachzugehen. Auch diese Auskunft verweigerte die Regierung, aus Gründen des Staatswohls, wie es hieß. Daraufhin machte der Politiker ein Organstreitverfahren in Karlsruhe anhängig, das am Dienstag verhandelt wurde.

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Zu oft werden Anfragen abgewimmelt

Als Parlamentarier, der die Regierung kontrollieren müsse, habe er ein Recht auf Auskunft. Er wolle nichts anderes als eine bloße Zahl, erklärte Kuhle bei der Verhandlung seiner Klage vor dem Zweiten Senat. Sie sei ihm wichtig, um Strukturen der Sicherheitsarchitektur erkennen und im Zweifel auch durch Gesetzgebung verbessern zu können.

Nach den NSU-Morden und dem Anschlag vom Breitscheidplatz sei viel über Versagen der Geheimdienste diskutiert worden. Da liege es nahe, sich mit den Größenordnungen zu befassen, mit denen der Inlandsgeheimdienst BfV im Ausland Aufklärung betreibt – eigentlich eher das Betätigungsfeld des Auslandsgeheimdienstes BND.

Ob die Zahl dem Politiker bei seiner Einschätzung wirklich helfen würde, darf bezweifelt werden. Ihm geht es erkennbar darum, dass es sich die Exekutive nicht allzu leicht dabei machen darf, Anfragen aus dem Bundestag abzuwimmeln. Denn das geschieht in der Praxis häufig.

Nicht jeder hat das gleiche Recht auf Auskünfte über Geheimdienste

In der vergangenen Legislaturperiode seien mehr als 4000 Fragen aus dem Bundestag an die Regierung adressiert worden, berichtete der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesinnenministeriums Mahmut Özdemir den Richtern. Auch wenn es um Geheimdienste gehe, werde in jedem Einzelfall abgewogen, was preisgegeben werden dürfe.

Die Möglichkeiten dafür sind gestuft. Üblich sind Antworten, die der Bundestag über die veröffentlichten Drucksachen insgesamt zur Kenntnis nimmt – und mit ihm die interessierte Öffentlichkeit, einschließlich der Medien. Schützenswertes wird in der Geheimschutzstelle des Bundestags hinterlegt. Die Abgeordneten dürfen hier Dokumente einsehen, machen sich aber strafbar, wenn sie Inhalte daraus weitergeben. Top-Secret-Angelegenheiten sind dem Kontrollgremium vorbehalten, das auch nach Darstellung von Özdemir die Kontrolllücke bei operativen Tätigkeiten der Geheimdienste schließen soll.

Aus den Äußerungen von der Richterbank wurde deutlich, dass Geheimhaltung gut begründet werden muss. Sonst lande man, gewollte oder ungewollt, bei einer „Bereichsausnahme“ für Angelegenheiten der Geheimdienste. Die soll es wohl nicht geben, auch wenn die Senatsvorsitzende Doris König in ihrem Eingangsstatement kurz darauf zu sprechen kam.

Nachrichtendienste argumentieren mit „Mosaiktheorie“

Ein Urteil in dem Verfahren könnte gleichwohl über den Fall hinaus bedeutsam werden. Das Gericht will nach den Worten Königs die „Mosaiktheorie“ einem prüfenden Blick unterziehen. Diese besteht in einem nicht nur Parlamentariern, sondern auch Journalisten bekannten Argumentationsmuster, mit dem sich öffentliche Stellen ihren Auskunftspflichten entziehen. Denn hier heißt es häufiger, dass zwar eine einzelne Information über einen Sachverhalt nicht prinzipiell geschützt werden müsse.

[Lesen Sie auch: 968-Seiten-Gutachten über den BND: Das Geheimnis um das geschwärzte Land aus Kapitel 6 (T+)]

In der Zusammenschau mit anderen Fakten aber könne eine Preisgabe eines einzelnen Mosaiksteins feindlichen Mächten ein Gesamtbild über Zustände und Arbeit bei deutschen Geheimdiensten vermitteln. Die Richterinnen und Richter befürchten, die Regierung könne mit dieser Taktik praktisch jede Auskunft aus den Nachrichtendiensten unter Vorbehalt stellen.

Interessant dürfte auch werden, wie das Gericht die Form der Nichtauskunft zu der von Kuhle verlangten Zahl bewertet. Der Politiker erkennt hier nur Floskeln und Standardformulierungen, wie sie oft als Textbaustein in Regierungsantworten zu finden sind. Andererseits steckt die Exekutive hier in dem Dilemma, mit weiteren Argumenten weitere Möglichkeiten für Rückschlüsse zu liefern. Ob und wenn ja wie es aufgelöst werden kann, wird der Zweite Senat in einem Urteil in einigen Monaten entscheiden.

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