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Coronaweihnachten in Berlin.

© dpa

Fehler in Zeiten von Corona: Manches wird nur schwer zu verzeihen sein

In der Pandemie können Ignoranz und Unvorsichtigkeit andere das Leben kosten. Das könnte die Spaltung der Gesellschaft noch vertiefen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Maria Fiedler

Der Satz hatte etwas Rätselhaftes. „Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen“, hatte Gesundheitsminister Jens Spahn im April gesagt. Was genau dieses zu Verzeihende denn sein könnte, erklärte er zunächst nicht.

Dennoch wurde der Satz seitdem oft zitiert. Vor allem wenn es um die Fehler der politisch Verantwortlichen in der Coronakrise ging. Zuletzt bat der Minister selbst um Verzeihung: Die Bundesregierung hätte früher Masken besorgen sollen, gestand Spahn in der „Zeit“.

Doch je länger die Pandemie dauert, je höher die Infiziertenzahlen steigen, umso deutlicher wird, dass es nicht nur die Politiker sind, denen wir Fehler verzeihen müssen – sondern auch unsere Mitmenschen.

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Und es stellt sich die Frage, wie viel man verzeihen kann in einer Zeit, in der persönliche Unvorsichtigkeit leicht das Leben anderer kosten kann.

Die Risse waren ohnehin tief in der deutschen Gesellschaft, der Ton in der politischen Auseinandersetzung hart. Die Spaltung verlief entlang identitätspolitischer Bruchlinien. Flüchtlingspolitik, Verzicht dem Klima zuliebe, politische Korrektheit – das hat schon in jeder durchschnittlichen Familie für die eine oder andere erbitterte Diskussion gesorgt.

Die Maske ablehnen - das ist nicht einfach eine politische Meinung

Mit Corona und der Haltung zu den Pandemiemaßnahmen ist nicht einfach ein weiteres Polarisierungsthema dazugekommen. Denn der Dissens bezieht sich nun auf Fragen, die über Leben oder Tod entscheiden können.

Es ist nicht nur eine politische Meinung, wenn man die Maske ablehnt. Wer sie nicht trägt, wo er sie tragen soll, kann im schlimmsten Fall das Leben eines anderen auf dem Gewissen haben.

Jens Spahn im Bundestag.
Jens Spahn im Bundestag.

© dpa

Für Menschen, deren Angehörige auf einer überfüllten Intensivstation um ihr Leben kämpfen, müssen die Demonstrationen der selbst ernannten Querdenker auf der Straße schier unerträglich sein. Oder dass die AfD im Bundestag von einer angeblichen „Corona-Diktatur“ schwadroniert und bei ihren Anhängern diesen Verschwörungsglauben schürt.

Jeder kann Überträger sein, jeder kann andere gefährden

Doch es geht nicht nur um jene, die aus Kalkül oder Überzeugung die Gefährlichkeit des Virus herunterspielen und andere aus Ignoranz gefährden. Jeder kann Überträger sein, jeder kann andere in Lebensgefahr bringen.

Der britische Gesundheitsminister gab am Wochenende die Maxime aus, jeder solle sich so verhalten, als ob er selbst infiziert sei. Wer kann schon von sich behaupten, jederzeit nach diesem Grundsatz zu handeln?

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Wie schwierig die Situation sein kann, zeigt sich auch bei den Diskussionen vor Weihnachten – wenn die Sorge aufkommt, ein Familienmitglied habe es mit der vorsorglichen Quarantäne vor dem Fest nicht ganz so genau genommen. Wenn das persönliche Verhalten jedes Einzelnen die Gesundheit seines Nächsten unmittelbar beeinträchtigen kann, birgt das ein ungeheures Konfliktpotenzial. Dann betrifft die Frage, ob sich die Tochter noch einmal in ein überfülltes Geschäft begibt, plötzlich die ganze Familie.

Wenn diese Pandemie vorbei ist, werden wir uns viel zu verzeihen haben, das stimmt. Die großen Dinge, aber auch die kleinen.

Gesundheitsminister Spahn plädiert dafür, dass wir miteinander nicht zu unerbittlich umgehen. Doch je größer der Schmerz, je größer der Verlust, desto schwieriger wird es sein, einem anderen Menschen, der Politik oder einem Teil der Gesellschaft zu verzeihen.

Es wird Zeit brauchen. Auch für jene, die Fehler gemacht haben, das einzugestehen.

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