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Von der ISS aus betrachtet wirken die Raketen über Gaza und Israel wie kleine flackernde Lichter.

© dpa

Konflikte überall: Fern der Erdenschwere

Im Weltraum gelingt, wofür die ganze Welt nicht groß genug zu sein scheint: die Zusammenarbeit der Nationen. Angesichts der Hölle auf Erden ist es Zeit für einen Perspektivwechsel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Der Weltraum. Unendliche Weiten. So beschrieb einst der Visionär Gene Roddenberry das große Unbekannte, das unseren kleinen Planeten umgibt. Ein Raum so weit, dass er einen Perspektivwechsel erlaubt, einen Blick mit Distanz auf das, was auf der Erde geschieht. Und was für ein Anblick das ist.

Alexander Gerst hat es gesehen. Er ist deutscher Astronaut auf der Internationalen Raumstation ISS. Aus 400 Kilometer Höhe sah er die Raketen auf Gaza und Israel fliegen. Aus dem All betrachtet nur kleine flackernde Lichter auf einer großen Kugel, während unten Menschen zerfetzt, Familien zerrissen wurden. Die Sinnlosigkeit der Gewalt, sie wird aus der Distanz nur noch deutlicher. Oft ist sie nicht einmal mehr auszumachen. Nicht das Schlachten in Syrien, der Terror der Boko Haram in Nigeria, des „Islamischen Staates“ (IS) im Irak. Nicht die Kriege und Krisen in Libyen, Afghanistan, Sudan oder die brutale Gewalt in Mexiko, Brasilien, Pakistan und Indien. Noch das aufziehende Unheil direkt in Europa: die Ukraine im Bürgerkrieg, Russlands Militär marschiert auf an der Grenze.

Ein Astronaut, sagte Gerst im Juli, hat eine einzigartige Sicht auf unseren Planeten: „Wir sehen keine Grenzen.“ In der ISS, auf der Gerst alle eineinhalb Stunden die Erde umrundet, gelingt auf der Fläche eines Passagierflugzeugs, wofür die ganze Welt nicht groß genug zu sein scheint: eine Kooperation der Staaten zum Wohle des Fortschritts der Menschheit. Befreit von der erdrückenden Anziehungskraft der Erde, reichen sich in der Schwerelosigkeit des Alls Amerikaner und Russen die Hand, arbeiten Nationen fast aller Kontinente am gemeinsamen Projekt.

Sicher, ganz harmonisch geht es auch dort nicht zu, die USA haben China eine Beteiligung verweigert, auch Afrika ist außen vor. Aber die Lehre aus der ISS ist doch unbestritten. Nämlich die Möglichkeiten dessen zu erkennen, was die Menschheit in der Lage ist zu tun, wenn sie zusammenarbeitet – grenzenlos.

Das zeigt sich auch auf der Erde. So in der Forschungseinrichtung Cern, wo seit mehr als 60 Jahren mittlerweile 85 Nationen gemeinsam den Kern allen Seins erforschen, den Aufbau der Materie. Auch das Ökostromprojekt Desertec ist ohne supranationale Kooperationen undenkbar. Und der Klimawandel wird einige Nationen früher treffen als andere und am Ende doch alle mit sich reißen. Ihn zu stoppen ist eines der größten Projekte der Menschheit. Ist die eine Bedrohung, die alle angeht, die alle einen müsste.

Doch wer denkt daran, angesichts des Schlachtfelds, das wir Erde nennen? Deswegen richtet sich der Blick sehnsüchtig gen Himmel, wo alles fern und ruhig scheint. 400 Millionen Kilometer von der Erde entfernt kreist die Raumsonde Rosetta um einen Eisblock. Fast eine Milliarde Euro hat es gekostet. Schon in den 2030er Jahren sollen Menschen zum Mars fliegen. Unvorstellbar teuer, unvorstellbar weit weg. Ob die wissenschaftliche Erkenntnis den Aufwand lohnt, darf bezweifelt werden. Und doch ist der Nutzen unbezahlbar. Diese großen Projekte geben Hoffnung. Hoffnung, dass das hier nicht alles ist, dass die Menschheit alles schaffen kann, wenn sie es will. Dass die Hölle, die wir uns auf Erden bereitet haben, überwindbar ist.

Vielleicht reicht es nicht, nur von einer Krise zur nächsten zu eilen, einen Brand nach dem anderen zu löschen. Vielleicht muss man in einer solchen Situation, wenn Ruhe und Frieden auf der Erde unerreichbar erscheinen, auch mal nach den Sternen greifen.

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