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Überforderter Staat. Flüchtlinge im Zentrum von Athen.

© AFP

Flüchtlinge: Griechenland kommt nicht mit den Massen aus Afrika klar

Neue Konfusion um die griechische Flüchtlingspolitik: Innenminister Nikos Voutsis will massenhaft Migranten in andere EU-Länder weiterschicken. Der griechische Regierungssprecher bestätigte die Pläne zunächst – um sie dann wieder fallen zu lassen.

Schon mehrfach drohte die neue griechische Regierung damit, Migranten weiterzuschicken – offenbar um Druck in den Verhandlungen über weitere Finanzhilfen zu machen. Jetzt will Innenminister Voutsis diesen Plan in die Tat umsetzen. „Die Flüchtlinge haben Anspruch auf ein Schnellverfahren, damit sie in die von ihnen bevorzugten Länder weiterreisen können“, sagte Voutsis am Dienstag vor einem Parlamentsausschuss in Athen. Den „Ländern des Nordens“ warf der Minister vor, sie wollten Griechenland in ein „Massenlager“ für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge verwandeln.

Griechenland erlebt seit Wochen einen ständig steigenden Zustrom von Einwanderern. Sie kommen vor allem von der türkischen Küste über die Ägäis zu den griechischen Inseln. In den ersten drei Monaten wurden bereits 10.445 Migranten ohne gültige Papiere von der griechischen Küstenwache und Polizei aufgegriffen, fast vier Mal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Es handelt sich überwiegend um Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.

Schuldzuweisung der Opposition

Oppositionspolitiker werfen der Regierung vor, sie habe mit ihrer Ankündigung, die Flüchtlinge in andere Länder weiterreisen zu lassen, selbst den Anstieg ausgelöst. Viele Migranten berichteten tatsächlich, die Schlepper, die in der Türkei die Überfahrten zu den griechischen Inseln organisieren, hätten ihnen versichert, sie könnten nun von Griechenland aus in Länder ihrer Wahl weiterreisen.

Bereits im Februar hatte der für den Bürgerschutz zuständige Vizeminister Giannis Panoussis angekündigt, Griechenland werde hunderttausende Migranten in andere EU-Länder schicken. „Wenn die Europäer nicht verstehen, was wir ihnen sagen, werde ich 300 000 Migranten mit Reisedokumenten versehen, die dann Europa überfluten“, drohte Panoussis. Wenig später kündigte der rechtspopulistische Verteidigungsminister Panos Kammenos an, man werde zehntausende Flüchtlinge nach Berlin schicken. Wenn sich darunter auch Kämpfer der IS-Terrormiliz befänden, habe Deutschland sich das selbst zuzuschreiben.

Griechenland ist offenbar überfordert

Der Flüchtlingsansturm war am Dienstagabend Gegenstand einer Krisensitzung unter Vorsitz von Ministerpräsident Alexis Tsipras. Man beschloss, die Migranten vorübergehend in ungenutzten Kasernen und anderen leer stehenden Gebäuden unterzubringen. Syrische Flüchtlinge sollen sofort Asyl erhalten und in andere Länder weiterreisen können, kündigte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis an. In einer wenig später herausgegebenen zweiten Erklärung fehlt allerdings die Passage zur Weiterreise. Offen bleibt, was nun gilt: die widersprüchlichen Erklärungen des Regierungssprechers oder die Ankündigung des Innenministers.

Auf den Ägäisinseln wie Kos, Lesbos, Samos und Chios herrscht inzwischen ein Flüchtlings-Notstand. Die örtlichen Gemeinden sind mit der Unterbringung und Versorgung der Ankömmlinge völlig überfordert und fühlen sich von der Regierung in Athen im Stich gelassen. Auf der Insel Leros kamen im ersten Quartal des vergangenen Jahres 15 Flüchtlinge an. In diesem Jahr waren es bereits 1260. Auf Samos hat sich die Zahl von 744 im Vorjahr auf jetzt 3303 mehr als vervierfacht. Auf der Insel Kos waren es 518, gegenüber 154 im vergangenen Jahr.

Verdoppelte Einwohnerzahl in kleinster Gemeinde

Gavdos ist eine kleine Insel südlich von Kreta. Der geografisch südlichste Punkt Europas ist zugleich die kleinste Gemeinde Griechenlands: Etwa 80 Menschen leben auf dem 33 Quadratkilometer großen Eiland. Jetzt hat sich die Zahl der Bewohner über Nacht verdreifacht: Am Donnerstag strandete vor der Südküste von Gavdos ein morscher Fischkutter. An Bord des Bootes, das offenbar aus Nordafrika kam, waren 157 Männer, Frauen und Kinder. Wie durch ein Wunder konnten sich alle trotz hoher Wellen an den Strand retten, wo sie von Fischern entdeckt wurden.

Die Flüchtlinge sind nun provisorisch in der Grundschule der Inselgemeinde untergebracht. „Die ganze Insel ist auf den Beinen, um für die Menschen zu kochen und sie zu versorgen“, berichtet die Bürgermeisterin Evangelia Kallinikou. Manche der Flüchtlinge brauchen ärztliche Hilfe. Aber auf Gavdos gibt es nur eine Krankenschwester. Mit einem Patrouillenboot der Küstenwache wurden mehrere erkrankte Menschen nach Kreta gebracht.

Nicht immer erreichen die Migranten eine rettende Küste. Am Dienstag sank ein Boot, das von der türkischen Küste zur griechischen Insel Kos unterwegs war. Sieben Menschen ertranken. Nach Geheimdiensterkenntnissen warten an den türkischen Küsten etwa zwei Millionen Menschen auf eine Gelegenheit, zu einer der griechischen Inseln überzusetzen.

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