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Die "Pille danach" kann ungewollte Schwangerschaft verhindern - doch aus Sicht der Frauenärzte fehlt es an guter Beratung.

© imago/sepp spiegl

Frauenärzte kritisieren Umgang mit "Pille danach": Plötzlich wieder mehr Abtreibungen

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen. Frauenärzte machen dafür auch schlechte Beratung durch Apotheker verantwortlich.

Der Knick in der Zahlenreihe ist unübersehbar. Seit dem Jahr 2001 sank die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland kontinuierlich, im vergangenen Jahr stieg sie aber plötzlich wieder an.

Das Statistische Bundesamt registrierte für 2016 bundesweit nur noch 98.721 Abtreibungen, im Jahr darauf waren es mit einem Mal wieder 101.209. Das ist ein Plus von 2,5 Prozent. Im vierten Quartal betrug die Steigerung gar 4,3 Prozent. Und besonders augenfällig ist sie bei Frauen zwischen 40 und 45: Hier betrug der Anstieg binnen eines Jahres sieben Prozent. Berlin liegt im Schnitt, Brandenburg dagegen hatte mit einem Plus von 8,4 Prozent den höchsten Zuwachs aller Bundesländer.

Zufall kann das nicht sein, meinen Experten. Aus der Sicht des Berufsverbands der Frauenärzte könnte für die Zunahme ungewollter Schwangerschaften, die den Abbrüchen zugrunde liegt, hierzulande gleich dreierlei beigetragen haben. Erstens die Entscheidung, die sogenannten „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht zu nehmen und ohne ärztliche Beratung in Apotheken zu verkaufen. Zweitens die Zunahme dubioser Verhütungs-Apps im Netz, bei denen es den Anbietern stärker um das Abgreifen persönlicher Daten als um seriöse Hilfe bei natürlicher Empfängnisverhütung geht. Und drittens ein aufsehenerregender Prozess samt Medienberichterstattung um gefährliche Nebenwirkungen der Antibabypille. Es liege nahe, so Verbandspräsident Christian Albring, hier Zusammenhänge herzustellen.

Frauenärzte ärgern sich über "fachlich ungenügende Beratung"

Bei der Kritik an der rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“ spielen natürlich auch Standesinteressen eine Rolle. Die Ärzte hat es schwer erbost, dass ihr medizinischer Rat bei diesem Medikament nicht mehr gefragt und verpflichtend vorgeschaltet sein sollte. Seit März 2015 können alle über 14-Jährigen das Mittel direkt in der Apotheke kaufen. Das Problem daran: Die Pille verschiebt zwar den Eisprung, bewirkt allerdings nichts, wenn dieser bereits stattgefunden hat.

Albring diagnostiziert mit Bezug darauf eine „fachlich ungenügende Beratung“ in den Apotheken. Diese führe, so sagte er dem Tagesspiegel, „sicherlich öfters zu unnötiger Abgabe der Pille danach beziehungsweise in anderen Fällen zu einer Unterversorgung, die dann in unerwünschte Schwangerschaften und in Schwangerschaftsabbrüche hineinführen kann“. Apotheker erhielten „wenn überhaupt über ihre Landesapothekerkammern eine vierstündige Ausbildung mit noch kürzerem medizinischen Teil, um die gesamte hormonelle Situation der Frau, den Zyklus, Verhütungsmethoden und die Möglichkeiten der Notfallverhütung zu lernen“.

Zudem fehlten in den Unterlagen, die den Apothekern von ihren Kammern für die Beratung zur Verfügung gestellt würden, wesentliche Aspekte, schimpfte der Ärztefunktionär. Manche Informationen seien sogar rundweg falsch, behauptet er – obwohl sein Verband dies mehrfach moniert habe. Erst am Mittwoch habe die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände überarbeitete Curricula und Handlungsempfehlungen publiziert, die „erneut grobe Fehler“ enthielten.

Jens Spahn warnte vor rezeptfreier Abgabe: "Keine Smarties"

Das Gesundheitsministerium habe bei der Rezeptfreigabe für die „Pille danach“ angekündigt, eine nachträgliche Evaluation angekündigt, erinnerte Albring. Er gehe davon aus, dass der neue Minister diese Zusage einlösen und die Qualität der Apothekenberatung kritisch überprüfe. Der damalige Gesundheitsexperte Jens Spahn hatte sich vor Jahren gegen die rezeptfreie Abgabe der „Pille danach“ gewehrt. Schließlich, so der CDU-Politiker, handle es sich bei dem Medikament um „kein Smartie“.

Eine wichtige Rolle für den Anstieg ungewollter Schwangerschaften dürfte nach Meinung des Frauenärzteverbandes aber auch der im Jahr 2015 begonnene Prozess von zwei Frauen gegen den Pharmakonzern Bayer gespielt haben, die mit dessen Antibabypille verhütet und eine Lungenembolie erlitten hatte. Dass es sich dabei um eine Nebenwirkung handeln könne, sei von der Herstellerfirma auf dem Beipackzettel nicht ausreichend deutlich gemacht worden, so ihre Klage.

Seither sei der Verkauf hormoneller Verhütungsmittel um mehr als vier Prozent pro Jahr zurückgegangen, rechnete Albring vor. „Selbst wenn zwei Prozent davon dem demographischen Wandel geschuldet sind, ist zu fragen, wie die Frauen, die keine hormonelle Antikonzeption mehr verwenden, heute ungewünschte Schwangerschaften verhindern“, so der Ärztefunktionär. Seine Vermutung: Viele versuchten dies mit Hilfe von im Netz offerierten Zyklus-Apps. Jedoch legten diese meist unzureichende Berechnungen zugrunde, um fruchtbare von unfruchtbaren Tagen zu unterscheiden.

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