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Ein Nationaler Sicherheitsrat hätte womöglich auch hier viel Streit verhindern können. Verlegungsrohr für die Gaspipeline Nord Stream 2 im russischen Tscheljabinsk.

© REUTERS

Plädoyer für einen Nationalen Sicherheitsrat: Früherkennung ist die halbe Miete

Deutschland braucht eine neue außenpolitische Sicherheitsarchitektur. Die künftige Koalition kann sie schaffen. Ein Gastbeitrag.

Stand:

- Rolf Nikel ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und früherer Diplomat mit langjähriger Erfahrung im Bundeskanzleramt.

Eine Außenpolitik „aus einem Guss“, ressortübergreifend gemeinsame Strategien und eine „Nationale Sicherheitsstrategie“: Das kündigen die voraussichtlichen Koalitionäre in ihrem Sondierungspapier an. Damit gehen sie einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur dringend notwendigen Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur. Aber damit kann es nicht getan sein.

Die Herausforderungen, vor denen Deutschland und die Mehrzahl seiner Partnerländer stehen, sind weltweiter wirtschaftlich-technologischer, sicherheitspolitischer und gesundheitspolitischer Art. Dafür brauchen wir eine stärkere zentrale Koordinierung staatlichen Handelns nach außen. Die große Mehrheit der hiesigen außenpolitischen Experten fordert dies seit seit langem. Doch darüber, wie so ein Koordinierungsmechanismus ausgestaltet sein soll, welche Kompetenzen er bräuchte, gehen die Meinungen auseinander.

Deutschland ist reif für eine eigenständige außen- und sicherheitspolitische Interessenbestimmung. Diese sollte an die strategischen Dokumente von EU und Nato anknüpfen, die Deutschland maßgeblich mitgestaltet hat, aber unabhängig von ihnen sein. Die Weißbücher der Vergangenheit haben diese gemeinsame und damit breitere Diskussion der Ressorts nicht geleistet, auch wenn in ihnen das Prinzip des vernetzten Ansatzes fest etabliert wurde.

Erfolglose Anläufe

Nach mehreren erfolglosen Anläufen in der Vergangenheit braucht Deutschland jetzt einen zentralen Koordinierungsmechanismus, der nicht zerrieben wird zwischen der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlerss und den Ministern, die auf das Ressortprinzip pochen. Eine Bündelung von Analysefähigkeit, Strategiebildung und Koordination in einem zentralen Gremium kann zwar mangelnden politischen Willen nicht kompensieren, wohl aber können dort ausgearbeitete Strategien in eine gesellschaftliche Debatte und eine regelmäßige Befassung des Deutschen Bundestags münden und so das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen schärfen, vor denen unser Land steht.

Die Neugründung eines Nationalen Sicherheitsrats wäre eine zeitraubende Angelegenheit. So empfiehlt es sich rechtlich und politisch, den existierenden Bundessicherheitsrat aufzuwerten, der sich derzeit im Wesentlichen auf Rüstungsexportfragen konzentriert. Der Moment ist dafür günstig. Das Ergebnis der Bundestagswahl, die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Ampelparteien und die Bedeutung der Querschnittsthemen werden dazu führen, dass der regierungsinterne Koordinierungsbedarf massiv steigt. Politische Entscheidungen zu den relevanten Themen im Kabinett oder im Koalitionssauschuss könnten von Vorbereitungen durch einen erweiterten Bundessicherheitsrat profitieren.

FDP und Grüne haben sich in ihren Wahlprogrammen für eine stärkere Koordinierung außen- und sicherheitspolitischen Handelns ausgesprochen. Das SPD-Wahlprogramm schweigt dazu. Die Haltung des zukünftigen Bundeskanzlers zu der Frage ist jedoch zentral. Olaf Scholz könnte seinem Satz „Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch“ Taten folgen lassen.

Erweiterter Bundessicherheitsrat

Ein solcher inhaltlich und personell erweiterter Bundessicherheitsrat ist dringend. Wenn die neue Regierung also mit der Überwindung der stets beklagten Strategieunfähigkeit der deutschen Außenpolitik ernst machen will, sollte ihr Koalitionsvertrag das klar benennen.

Dabei muss sich nicht alles ändern. In der täglichen Arbeit der Bundesregierung haben sich effiziente Strukturen der Koordinierung herausgebildet. Die langfristige Strategieplanung dagegen findet in der Regel kaum statt in den vielen Abstimmungsrunden der Bundesregierung. Dabei ist sie wegen der gestiegenen Anforderungen an Deutschland unerlässlich. Es ließe sich gut argumentieren, dass die Entscheidungen zum 5G-Netz und sogar zu Nord Stream 2 von einer frühzeitigen ressortübergreifenden Behandlung stark profitiert hätten.

Der erweiterte Bundessicherheitsrat könnte die angekündigte „Nationale Sicherheitsstrategie“ selbst ausarbeiten, oder die Sicherheitsstrategie könnte im Ergebnis in die Gründung eines solchen Gremiums münden. Sie sollte regelmäßig aktualisiert und in den Folgejahren mit den Arbeiten an den strategischen Dokumenten von EU und NATO zeitlich verzahnt werden.

Im Kern geht es um Analyse, Früherkennung und Prävention von Krisen, Verbesserung der strategischen Entscheidungsfähigkeit deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sowie um bessere Legitimation unseres Handelns nach außen. Dazu sind eine öffentliche Präsentation des Strategiedokuments sowie regelmäßige Debatten im Bundestag unerlässlich. Rein operative Entscheidungen, auch in Krisensituationen, und die komplizierte europapolitische Weisungsgebung sollten den zuständigen Gremien oder dem Krisenstab überlassen bleiben, solange sie sich innerhalb der Vorgaben der Sicherheitsstrategie bzw. der Festlegungen des erweiterten Bundesicherheitsrates bewegen.

Ansiedlung im Bundeskanzleramt

Aus Effizienzgründen sollte das Gremium im Bundeskanzleramt angesiedelt und seine Zusammensetzung flexibel gehandhabt werden. Neben einer Kernmannschaft aus Auswärtigem Amt, Verteidigung, Entwicklung, Wirtschaft/Energie, Finanzen, Innen und Umwelt/Klima könnten je nach Thema andere Ressorts hinzugezogen werden. Ein solches Gremium könnte sich auf den wöchentlichen Lagevortrag der Nachrichtendienste und auf die Mitarbeiter des Bundeskanzleramts stützen, die von den Ressorts auf Rotationsbasis dorthin entsandt werden.

Ein leichter Personalaufwuchs wäre nicht zu vermeiden, eine personelle Aufblähung hingegen aus finanziellen Gründen schwer zu vermitteln.

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Als hilfreich könnte sich dazu ein separater beratender Beirat aus Vertretern der wichtigsten deutschen Denkfabriken erweisen. Ziel wäre es, die Analysefähigkeiten von Nachrichtendiensten und Denkfabriken zu bündeln, aus Vertraulichkeitserwägungen aber nicht im gleichen Gremium.

Man mag einwenden, dass selbst die Staaten, die längst über eine nationale Sicherheitsstrategie und einen nationalen Sicherheitsrat verfügen, leidvolle Erfahrungen wie in Afghanistan nicht verhindern konnten. Aber politische Entscheidungen werden einfach besser, wenn sie in einem strategischen Umfeld in einem systematischen Prozess und unter Beteiligung der gesamten verfügbaren Expertise vorbereitet werden.

Rolf Nikel

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