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Orban und Medwedew zu Gast: Für Gorbatschows Trauerfeier ist Putin zu beschäftigt
Tausende Russen nahmen Abschied von Michail Gorbatschow. Auch Ungarns Präsident Orban erwies dem früheren Sowjet-Präsidenten in Moskau die letzte Ehre.
Stand:
Tausende Russen haben am Samstag Abschied von Michail Gorbatschow genommen. Die Trauerfeier für den früheren sowjetischen Präsidenten in Moskau fand ohne großen Pomp statt - und auch ohne Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieser hatte im Vorfeld Terminschwierigkeiten geltend gemacht.
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Dafür vor Ort war der frühere russische Präsident Dmitrij Medwedew. Auch Ungarns Regierungschef Viktor Orban nahm an der Gedenkfeier teil. Beide legten Blumen am Sarg nieder. Putin hatte bereits am Donnerstag am Sarg Gorbatschows Abschied genommen und dort rote Rosen abgelegt.
Bei der Trauerfeier fehlten weitere offizielle Vertreter des Staates. Dagegen waren einige Oppositionsvertreter, die noch im Land sind, in Moskau präsent.
Kein nationaler Trauertag für Gorbatschow
Gorbatschow, der als wichtiger Wegbereiter der deutschen Einheit gilt, war am Dienstag nach schwerer und langer Krankheit im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben. Er hatte die Sowjetunion als deren letzter Präsident von 1985 bis 1991 geführt.
In Russland wird Gorbatschow von vielen für den Zerfall der Sowjetunion und damit für den Niedergang der Größe Russlands verantwortlich gemacht. Entsprechend wurde für Gorbatschow auch kein nationaler Trauertag ausgerufen.

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Dessen ungeachtet reihten sich Tausende Russen am Samstag in die Schlange vor dem Gewerkschaftshaus in Moskau ein, um Abschied vom früheren Sowjet-Präsidenten zu nehmen. Nach Angaben des Bürgerrechtsportals OWD-Info kamen mindestens vier Menschen vorübergehend in Polizeigewahrsam. Die Hintergründe dafür waren am Nachmittag unklar. Im Inneren war Gorbatschows Leichnam im Säulensaal aufgebahrt, über dem Sarg hing ein großes Foto des Verstorbenen.
Westliche Staaten schickten ihre Botschafter
Angesichts der Repressionen inmitten von Russlands Militäreinsatz in der Ukraine sehnten am Samstag manche die Aufbruchstimmung unter Gorbatschow zurück. „Wir haben einen Windhauch Freiheit erlebt, er hat uns Transparenz und Pluralismus gegeben“, erinnerte sich die 60-jährige Lehrerin Natalia Leleko an Gorbatschows Aufbahrungsstätte an seine Zeit an der Staatsspitze.
Die 41-jährige Übersetzerin Ksenia Jupanowa pflichtete ihr bei: Unter Gorbatschow habe es erstmals seit langer Zeit einen „Anschein von Freiheit“ und keine Angst mehr gegeben. „Ich bin dagegen, sich vom Rest der Welt abzuschneiden, ich bin für Öffnung, für Dialog“, fügte sie hinzu.
Viele Trauernde brachten Blumen mit und legten sie vor dem offenen Sarg nieder. Unter den Trauergästen waren auch Gorbatschows Tochter und weitere Familienmitglieder. Deutschland sollte bei der Trauerfeier durch den Geschäftsträger der Botschaft in Moskau vertreten werden. Auch andere westliche Staaten schickten ihre Botschafter.

© IMAGO/ITAR-TASS/Sergei Savostyanov
Nach mehreren Stunden wurde Gorbatschows Sarg geschlossen, mit einer russischen Flagge bedeckt und in einer Prozession aus dem Saal getragen. Sie wurde vom Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow angeführt, dem Chefredakteur der von Gorbatschow unterstützten unabhängigen Zeitung „Nowaja Gaseta“.
Auf dem Nowodijwitschi-Friedhof wurde der Sarg zu den Klängen der russischen Nationalhymne und einem Salutschuss ins Grab herabgelassen. Seine letzte Ruhestätte fand Gorbatschow neben seiner 1999 verstorbenen Frau Raissa. Anders als nach dem Tod von Boris Jelzin gibt es für den ehemaligen Staats- und Parteichef kein Staatsbegräbnis.
Trauer um Gorbatschow: Auch andernorts wurde an den ehemaligen Staatschef gedacht
Andernorts wurde am Samstag ebenfalls Gorbatschows gedacht. In Berlin etwa wehten die Flaggen auf Halbmast. Vor dem Kanzleramt hingen am Samstag, dem Tag der Trauerfeier und Beerdigung in Moskau, Bundesflagge und Europafahne in Trauerbeflaggung.
In Erinnerung an Gorbatschow als Ehrenbürger Berlins hatte auch das Bundesland Trauerbeflaggung angeordnet. Damit sollten nach Angaben von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) die Verdienste Gorbatschows „für die politische Wende in der DDR“ angemessen gewürdigt werden.
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„Er hat mit der Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrags den Weg zur Deutschen Wiedervereinigung und einem geeinten Berlin mitbereitet.“ Auch in mehreren anderen Bundesländern wehten am Samstag Flaggen auf halbmast.
Erdogan würdigt Gorbatschow in Telefonat mit Putin
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat in einem Telefonat mit Kremlchef Wladimir Putin am Samstag den verstorbenen ehemaligen sowjetischen Präsidenten gewürdigt. Nach Angaben des Kremls verwies Erdogan in dem Gespräch auf dessen „bedeutende Rolle“ in Russlands jüngster Geschichte und in der Welt.
Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine blieben westliche Spitzenpolitiker der Zeremonie fern. Die beiden Präsidenten sprachen dem Kreml zudem auch über die Lage im Krieg und insbesondere über die Mission von Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA im von Russland besetzten Atomkraftwerk Saporischschja. Putin und Erdogan hatten sich erst vor gut einem Monat in der Schwarzmeer-Stadt Sotschi getroffen. (Tsp, AFP, dpa)
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