zum Hauptinhalt
Statistisch gibt es fast jeden Tag ein Todesopfer: Im Jahr 2023 wurden 360 Frauen und Mädchen in Deutschland umgebracht.

© AungMyo - stock.adobe.com

„Die Zahlen sind dramatisch hoch“: Andere Länder schützen Frauen besser vor Gewalt

Das Gewaltschutzgesetz wird nach dem Ampel-Aus voraussichtlich nicht mehr beschlossen. Dabei ist der Handlungsbedarf groß. Deutschland könnte von Europa lernen.

Stand:

Statistisch gibt es fast jeden Tag ein Todesopfer: Im Jahr 2023 wurden 360 Frauen und Mädchen in Deutschland umgebracht. In knapp 70 Prozent der Fälle geht es um häusliche Gewalt, der Täter ist etwa der Partner, der Ex-Partner – oder der eigene Vater.

Diese Zahlen gehen aus einem aktuellen Lagebild des Bundeskriminalamts hervor. „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, sagt Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. „Die Zahlen sind dramatisch hoch.“

Umso größer ist das Entsetzen bei den Fachverbänden, dass die Ampel ihr Versprechen schuldig geblieben ist, ein Gewalthilfegesetz zu beschließen. Damit sollten Rechtsrahmen und Finanzierung für Frauenhäuser bundesweit einheitlich gesichert werden.

Das ist nötig, weil sehr viele Plätze fehlen: Deutschland hat die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen ratifiziert. Ihr zufolge müsste es gut 21.000 Plätze in Frauenhäusern geben, doch es sind nur knapp 8000.

Erst kurz vor dem Bruch der Koalition hat Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) einen Entwurf für das Gewalthilfegesetz vorgelegt. Am Montag übergibt ein zivilgesellschaftliches Bündnis rund 74.000 Unterschriften an Paus, um Druck zu machen. Zwar soll der Entwurf noch vom Kabinett beschlossen werden, doch es ist unwahrscheinlich, dass er noch verabschiedet werden kann.

Damit wird das Thema wohl nach der Wahl neu diskutiert werden müssen. Womöglich wird sich der Blick dann auch aufs Ausland richten, etwa nach Großbritannien und Spanien. Denn dort gibt es Modelle, von denen Deutschland vielleicht lernen kann.

Auskunftsrecht in England

Eine der Ideen ist bekannt unter dem Namen „Clare’s Law“ und wurde in England und Wales zuerst erdacht. Benannt ist die Regel nach Clare Wood. Sie wurde von ihrem einschlägig vorbestraften Ex-Partner ermordet. „Clare’s Law“ gibt Frauen und Angehörigen das Recht, sich zu erkundigen, ob ein Partner oder Ex-Partner früher als gewalttätig aufgefallen ist. Auch kann die Polizei von sich aus auf eine Frau zugehen, um sie zu warnen.

Eine Option für Deutschland? Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sagte dem Tagesspiegel, der dringendste Handlungsbedarf bestehe beim Ausbau der Frauenhäuser und Beratungsstellen. Sie ist aber für eine Regel wie „Clare’s Law“ offen. Deutschland solle sich die Erfahrungen aus England anschauen und diskutieren. „Durch ein solches Gesetz könnte auch in Deutschland noch mehr Bewusstsein für die Gefahren von häuslicher Gewalt geschaffen werden.“

Das sieht man bei der Union ähnlich: Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, sagt: „Die Opfer müssen alle erforderlichen Daten zu ihrem Schutz erhalten können.“ Krings plädiert aber dafür, die Auskunftsmöglichkeit auf das (potenzielle) Opfer selbst zu beschränken.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Skeptisch ist man bei der FDP. „Eine Übernahme des ‘Clare’s Law’ dürfte rechtlich kaum haltbar sein“, sagt die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, Katrin Helling-Plahr. Es gehe um grundlegende datenschutzrechtliche Fragen. Auch sei in England umstritten, ob die Maßnahme überhaupt eine präventive Wirkung entfalte.

Je nachdem, wer künftig regiert, ist aber durchaus denkbar, dass sich Befürworter zusammenfinden. Denn nicht nur SPD und Union, sondern auch die Grünen sind nicht abgeneigt. „Für ein solches Modell sind wir Grüne grundsätzlich offen, aber nur mit richterlicher Kontrolle und genau definierten Regeln“, sagt Rechtspolitiker Limburg.

Fußfessel in Spanien

Er lenkt den Blick zudem auf einen weiteren Vorschlag: „Noch mehr verspreche ich mir von einer Fußfessel nach spanischem Modell.“ In Spanien können Gerichte Gewalttäter verpflichten, eine Fußfessel zu tragen. Das Gewaltopfer bekommt, wenn es das möchte, einen Sensor, durch den es gewarnt wird, wenn der Täter ein Annäherungsverbot verletzt.

„Die Fußfessel kann sehr konkret Gewalttaten verhindern und hilft den betroffenen Frauen unmittelbar“, sagt Limburg. Das sieht man bei der Union genauso. Krings verweist auf eigene Initiativen mit verschiedenen Vorschlägen, um Frauen besser zu schützen. Die Fußfessel ist ein Teil davon.

„Dabei können wir uns auch vorstellen, dass wir das spanische Modell übernehmen, bei dem auch das Opfer über GPS gewarnt wird, wenn der Täter sich nähert“, sagte Krings dem Tagesspiegel. Für potenziell sinnvoll hält diese Idee auch die Liberale Helling-Plahr.

In drei Jahren Ampel und in den Jahren davor, als die Sache ebenfalls schon diskutiert wurde, hat sich beim Thema Fußfessel aber nichts Konkretes getan. In Spanien wurde das Modell 2009 eingeführt. Fünfzehn Jahre später wartet Deutschland erst einmal den nächsten Wahltermin ab.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })