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Angela Merkel und Donald Trump haben sich beim Klimaschutz darauf geeinigt, anderer Meinung zu sein.

© AFP

Gipfel-Bilanz: G20 oder: "Alle gegen die USA"

Unversöhnlich standen sie sich gegenüber. Politik und Protestler, Donald Trump - und der Rest der Welt. Dennoch steckt im Gipfel auch ein Sieg. Eine Bilanz.

Von Robert Birnbaum

Gleich zu Beginn hatte man ahnen können, dass dies ein besonders schwieriger G20-Gipfel werden würde: Ausgerechnet Beethoven. Ausgerechnet die Neunte. Die Ode an die Freude. „Alle Menschen werden Brüder.“ Muss man es also politisch verstehen, dass sich Recep Tayyip Erdogan das Konzert in der Elbphilharmonie gespart hat? Wladimir Putin kommt bloß etwas zu spät. Vielleicht brauchte der Russe nach mehr als zwei Stunden Zwiegespräch mit Donald Trump eine kleine Pause. Aber der Türke nimmt die Dinge ja gerne persönlich. Dass ihn Angela Merkel erst nicht in Deutschland vor Landsleuten Reden schwingen lässt und er dann stattdessen die Europahymne beklatschen soll … also jedenfalls, Erdogan lässt den kulturellen Höhepunkt des G-20-Gipfels in Hamburg ausfallen.

Dabei ist er unter den schwierigen Gästen der Bundeskanzlerin noch einer der einfacheren. Von den ungebetenen Gästen in den schwarzen Kapuzenpullis ganz zu schweigen, die auch in dieser Nacht ihren Protest gegen den Kapitalismus wieder dadurch kundtun, dass sie kleinen Ladenbesitzern die Scheiben einschmeißen. Das sonore Knattern des Polizeihubschraubers über dem Schanzenviertel hört man bis zur Freihafenspitze.

Ein "Fest der Demokratie"? Von wegen ...

Samstagfrüh fegt die Stadtreinigung an der Kreuzung „Schulterblatt“ die Scherben der Nacht zusammen. Die Ureinwohner des Szeneviertels schütteln die Köpfe. Es sieht hier mit den Graffiti-Wänden, Esoterikläden und Galerien für gesinnungsfeste Kunst noch so aus wie Kreuzberg vor der Rollkoffer-Ära. Man kennt dort die eigenen Autonomen.

Aber das Volk, das da seit zwei Nächten tobt, das sei von anderer Art. Über der Schanze schaltet der Hubschrauber erst nachts um drei seine Suchscheinwerfer ab und rattert davon. „Unser Bürgermeister muss sich ja wohl mal Gedanken über seine Zukunft machen“, fasst am nächsten Morgen die Hotelconcierge die lokale Stimmung zusammen. Der Regierende Bürgermeister Olaf Scholz hatte seiner Stadt ein „Fest der Demokratie“ versprochen. Das klingt im Nachhinein jetzt doch etwas kühn.

Die eingeladenen Gäste kriegen vom steinewerfenden Begleitprogramm wenig mit, wenn man davon absieht, dass Melania Trump sicherheitshalber einen halben Tag im Hotel bleiben und der eine oder andere mit seiner Kolonne Umwege bis zur Messehalle A fahren muss. Am Samstagvormittag sind aber alle wieder da, auch Erdogan. Man sieht ihn neben Putin in weißen Sesseln sitzen. Putin liest von Din-A-5-großen Zetteln ab.

Weil ins Pressezentrum nur die Bilder ohne Ton übertragen werden, ist man als Beobachter auf die unzuverlässige Kunst des Gesichterlesens angewiesen. Die Herren wirken müde oder angestrengt oder beides. Die Lage in Erdogans Nachbarschaft ist ja auch bitter ernst. Die neue Partnerschaft, die der Sultan vom Bosporus mit dem Mann in Moskau sucht, kommt ebenfalls nicht von Herzen.

Russlands Präsident Wladimir Putin und Donald Trump sprachen auch über eine Waffenruhe in Syrien.
Russlands Präsident Wladimir Putin und Donald Trump sprachen auch über eine Waffenruhe in Syrien.

© imago/ITAR-TASS

Diese Zweier-Treffen, im Konferenz-Englisch „Bilaterals“ genannt, sind eins der spannenden Elemente solcher Großgipfel. Man setzt sich am Rande zusammen, ohne großes Aufheben und quasi auf neutralem Grund. Das erleichtert manches, was bei Beachtung aller protokollarischen Regeln sehr viel komplizierter werden kann. Merkel holt am Samstag nach dem Frühstück Putin und den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einer Ukraine-Besprechung zusammen. Macron ist hier auf internationaler Vorstellungstour. Er sitzt oft neben Trump.

Weltpolitisch wichtiger war natürlich die erste Begegnung Trumps mit Putin. Der Amerikaner und der Russe schwänzen dafür am Freitagabend den Großteil der Klima-Themensitzung. Dafür gaben sie nach mehr als zwei Stunden eine Waffenruhe für den Südwesten Syriens bekannt. Die ist genau für diese Region zwar schon seit Längerem vereinbart. Aber vielleicht hält sie ja diesmal.

Außerdem haben berufsmäßige Trump-Beobachter sorgsam vermerkt, dass der US-Präsident auf seinen ersten Auslandsreisen vom geliebten Twitter weitgehend die Finger lässt – aber wenn, dann lässt er sein heimisches Publikum wissen, wie großartig seine Gespräche verlaufen und wie viel Milliarden Dollar, hunderttausende amerikanische Arbeitsplätze oder eben auch mal Frieden er dabei sichere. An diesen Willen zur Erfolgsmeldung lässt sich womöglich anknüpfen.

120 Millionen Euro für zweieinhalb Tage - muss das sein?

Fragt man in diesen Hamburger Tagen erfahrene Unterhändler, ob sie schon einmal ein derart kompliziertes Treffen der großen zwanzig erlebt haben, schweigen sie erst kurz und erläutern dann wortreich, dass es immer schwierig sei, die Interessen von Industrie- und Schwellenstaaten, Ost und West, Nord und Süd zusammenzubekommen. Die echte Antwort liegt aber in der kurzen Schweigepause. Nein, so schwierig war es noch nie.

Womit wir bei der Frage wären, die im Vorfeld dieses Gipfels überall rauf und runter debattiert wurde: Muss das denn überhaupt sein? Mindestens 120 Millionen Euro für zweieinhalb Tage, in denen zwei Dutzend VIPs mit einem Tross von hunderten Mitarbeitern und Journalisten eine Großstadt lahmlegen, tausende Randalierer anziehen, die halbe Bereitschaftspolizei der Republik zum Schutz brauchen und hinterher nichts als unverständliche Formelkompromisse produzieren – muss das sein?

Die vielen Protestierer haben diese Frage aufgeworfen, deren Anliegen jetzt ganz im Chaotenkrawall unterzugehen droht. Die vielen Umwelt- und Entwicklungs- und Menschenrechtsgruppen werfen sie auf, die von den großen zwanzig mehr Mut und Engagement für ihr jeweiliges Anliegen verlangen.

Und natürlich werfen sie auch viele ganz normale Menschen auf. Kann man das nicht, fragt ein Tourist aus dem Süddeutschen, der in der weiteren Sperrzone rund um die Hamburger Messehallen vergebens auf den Bus wartet – kann man den ganzen Zirkus nicht in eine abgelegene Gegend schicken oder am besten gleich auf einen Flugzeugträger? „Wieso müssen die das bequem haben!“ schimpft der Mann. Martin Schulz hat so etwas Ähnliches ja auch gerade erst verlangt. Der SPD-Kanzlerkandidat hat eigens eine Pressekonferenz veranstaltet und vorgeschlagen, dass sich die G20 künftig nur noch bei den UN in New York treffen.

Die Proteste in Hamburg sind eskaliert. Merkel sieht keine Fehler der im Vorgehen der Polizei.
Die Proteste in Hamburg sind eskaliert. Merkel sieht keine Fehler der im Vorgehen der Polizei.

© imago/xim.gs

Die Pressekonferenz ist bei seinem Parteifreund Scholz aber gar nicht gut angekommen, weil sich der Vorschlag unschwer als Kritik am Veranstaltungsort an der Elbe lesen ließ. Richtig durchdacht ist er auch nicht, weil die formale Weltregierung nicht gut Gastgeber einer Gruppe der Mächtigsten sein kann, ohne ihren eigenen Anspruch aufzugeben, diese Mächtigsten aber umgekehrt Wert darauf legen, dass sie keine heimliche Weltregierung sind.

In Hamburg ist über Fragen wie die Raketen-Provokationen Nordkoreas natürlich geredet worden. Aber es gibt dazu mit gutem Grund keinen Satz in der Abschlusserklärung. „Wir würden uns völlig überfrachten“, sagt ein Diplomat. Handelsfragen, Finanzfragen, das Weltklima – okay. Außenpolitik im klassischen Sinne ist kein Thema für diesen Bund.

Schulz wollte wohl einfach bloß auch mal vorkommen zwischen den vielen Bildern, die die Frau Kanzlerin mit den Mächtigen und ihren Mann, den Professor Joachim Sauer, im Partnerprogramm mit der einen oder anderen Schönen dieser Welt zeigen. Ob die Bilder vom brennenden Schanzenviertel nicht am Ende die schönen überdecken, ist übrigens nicht ausgemacht. Aber dazu später noch etwas.

Am Samstagnachmittag hallt durch die Messehalle B ein regelrechtes Kameraverschlussfeuerwerk. Im Pressezentrum sind alle Weltsprachen vertreten, der Gipfel wird rund um den Globus beachtet. Angela Merkel marschiert im grünen Kostüm zum Rednerpult. Als Gastgeberin stellt sie die Ergebnisse der zweieinhalb Tage vor.

Das selbst Ölstaat Saudi-Arabien mitziehen würde, war nicht klar

Das Auffälligste fasst Merkel in dem knappen Satz zusammen: „Alle gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Keine Einigung im Klimastreit. Trump hat bekräftigt, dass er aus dem Pariser Klimavertrag aussteigen will. Alle 19 anderen nehmen das „zur Kenntnis“ und bekräftigen ihrerseits, dass für sie der Klimapakt „unumkehrbar“ ist. „Da wo es keinen Konsens gibt, muss im Papier auch der Dissens erscheinen“, sagt die Kanzlerin.

Hinter den Sätzen stecken eine Niederlage und ein Sieg. Natürlich war immer klar, dass der US-Präsident nicht mit großem Pomp im Rosengarten des Weißen Hauses aus der Weltklimarettung aussteigt und nach gütlichem Zureden jetzt hier eine Wende hinlegt. Die britische Premierministerin Theresa May hat zwischendurch die These vertreten, dass die Amerikaner vielleicht in den Vertrag zurückkehren wollten. Mit Entscheidungen, die man bereut, sollte sich die Britin eigentlich besser auskennen. „Diesen Optimismus teile ich zur Zeit nicht“, sagt Merkel. Denn gescheitert ist der Versuch, die Amerikaner zu einer Art Paris-Verpflichtung light zu bewegen. Die Positionen Washingtons und der übrigen Welt stehen unversöhnlich gegeneinander.

Der Sieg steckt aber genau darin – in der Zahl 19. Dass wirklich alle anderen an Bord bleiben würden, auch der Ölstaat Saudi-Arabien, war nicht von vornherein sicher. Auch ein Land wie Erdogans Türkei hat im Kleingedruckten eingewandt, dass es den Pariser Vertrag zwar wolle, ihn aber noch nicht formal ratifiziert habe. Deshalb steht in dem Abschlussdokument jetzt nicht, dass die übrigen 19 den Vertrag zügig umsetzen, sondern etwas von zügigem Hinbewegen auf eine Umsetzung. Internationale Diplomatie kann eine sehr ziselierte Sache sein. Man mag so was für Wortspiele halten, aber auf Worten ist die Welt der Verträge und Verpflichtungen nun mal gebaut.

Nach dem g20-Gipfel wollte Merkel ein Zeichen setzen und bedankte sich bei den Einsatzkräften.
Nach dem g20-Gipfel wollte Merkel ein Zeichen setzen und bedankte sich bei den Einsatzkräften.

© AFP

Bleibt noch die Frage nach den Krawallen. Merkel hat die Gefahr erkannt, die darin auch für sie steckt. Später in der Fragerunde muss sie sich anhören, dass schon von Staatsversagen die Rede sei und davon, dass es unverantwortlich sei, solch einen Gipfel praktisch in direkter Nachbarschaft zu einem Szeneviertel abzuhalten. Die CDU-Chefin entscheidet sich für die Vorwärtsverteidigung: Der Staat, die Polizei, Hamburg und der Bund, alle haben richtig gehandelt. „Auf das Schärfste“ verurteilt sie die „entfesselte Gewalt“: „Wer so handelt, dem geht es nicht um politische Kritik oder um ein besseres Leben für die Menschen auf der Erde.“

Gipfel habe es auch in anderen Großstädten gegeben, anderswo stünden gar nicht genug Hotelzimmer zur Verfügung.

Kritik am Einsatz? Keine Spur

Und dann dankt sie allen, die in Sachen Sicherheit irgendeine Verantwortung haben, ausdrücklich auch im Namen der anderen Gipfelgäste: den Polizisten natürlich zuerst, dann dem Hamburger Polizeichef. Mit Einsatzleiter Hartmut Dudde hat sie sich kurz vor der Pressekonferenz extra getroffen. „Es war mir ein Bedürfnis“, sagt Merkel. Kritik an dem Einsatz? Keine Spur. „Hier wurde exzellente Arbeit geleistet.“ Mit dem Ersten Bürgermeister Scholz will sie später auch noch sprechen.

Kein Blatt Papier soll zwischen die CDU-Kanzlerin und den SPD-Bürgermeister passen. Sollten die Strategen des Martin Schulz Lust verspürt haben, ihren Kandidaten ein paar kritische Töne sagen zu lassen, wäre die Absetzbewegung jetzt abrupt gestoppt. Den Rest muss Wolfgang Schäuble regeln. Der Finanzminister, sagt die Kanzlerin, solle prüfen, wie den geschädigten Bürgern ihr Verlust ersetzt werden könne. „Wir prüfen ,wie’ und nicht ,ob’“, fügt Merkel noch an. Auch Innenpolitik kann eine Sache sein, in der jedes Wort zählt.

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