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Grenzkontrollen der Bayerischen Grenzpolizei am Grenzübergang Kiefersfelden / Inntal Ost am 15.05.2025

© imago/Sven Simon/IMAGO/Frank Hoermann / SVEN SIMON

„Wir halten an den Zurückweisungen fest“: Dobrindt will trotz Gerichtsentscheidung harten Migrationskurs fortsetzen

Drei Somalier haben erfolgreich gegen ihre Zurückweisung an der deutsch-polnischen Grenze geklagt. Das war zu erwarten. Was die Entscheidung für die Pläne des Innenministers nun bedeutet.

Stand:

Asylsuchende dürfen an deutschen Grenzen nicht abgewiesen werden, ohne dass ein sogenanntes Dublin-Verfahren durchgeführt wird. Das hat heute ein Berliner Verwaltungsgericht entschieden.

Konkret waren drei Somalier am 9. Mai von Frankfurt (Oder) nach Polen zurückgeschickt worden und hatten von dort aus dagegen geklagt. Das Vorgehen der Polizei sei rechtswidrig gewesen, so das Gericht. Die Bundesrepublik könne sich nicht darauf berufen, dass eine Notlage herrsche und die Dublin-Verordnung daher nicht angewendet werden müsse.

Das Bundesinnenministerium hatte sich auf eine Ausnahmeregelung, den Artikel 72 des sogenannten Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), berufen. Allerdings greife dieser nicht, so das Gericht. Es fehle dafür an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung.

Kam die Entscheidung überraschend?

Nein. Beobachter hatten erwartet, dass früher oder später Zurückgewiesene – gegebenenfalls mithilfe von Menschenrechtsorganisationen – klagen würden. Von Anfang an war unklar, inwieweit die Zurückweisungen rechtlich haltbar sein würden. Viele Rechtsexperten hatten bezweifelt, dass der Notstand, auf den sich der Innenminister berufen hatte, tatsächlich nachweisbar sei. So wie es das Gericht nun auch erklärte.

Was bedeutet die Entscheidung für Dobrindts Pläne in Sachen Migration?

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts gilt grundsätzlich nur für den konkreten Fall – hier also die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Berliner Bundespolizeidirektion auf der einen Seite und die von den Zurückweisungen betroffenen Personen auf der anderen Seite. Nur für sie wurde ein Anspruch auf einen Grenzübertritt festgestellt, verbunden mit einem Verfahren zur Bestimmung des für ihr Asylgesuch zuständigen EU-Mitgliedstaats.

Allerdings sind die im Beschluss getroffenen Aussagen über die Rechtslage inhaltlich auch auf andere, gleich oder ähnlich gelagerte Fälle übertragbar. Zumindest dieselbe Kammer dürfte weiterhin so entscheiden wie jetzt. Gegenläufige Entscheidungen werden sich zumindest mit den Beschlussgründen auseinandersetzen müssen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kann das abwarten – oder er passt seine Praxis frühzeitig so an, dass sie nicht weiter beanstandet wird.

Danach sieht es allerdings nicht aus. „Wir halten an den Zurückweisungen fest“, sagte Dobrindt am Montagabend in einem Pressestatement. „Wir sehen, dass die Rechtsgrundlage gegeben ist, ganz unabhängig von dieser Einzelfallenscheidung.“ Der Beschluss des Verwaltungsgerichts sage lediglich aus, dass eine Dublin-Prüfung durchzuführen sei.

Deutschland müsse prüfen, welcher Mitgliedstaat zuständig sei. Dieser Forderung wolle man nachkommen. Zudem habe das Gericht ausführlichere Begründungen für die Zurückweisungen verlangt. Diese werde man liefern. An seinem Migrationskurs will Dobrindt aber weiter festhalten. „Es gibt keinen Grund, unsere Praxis zu ändern“, sagte der CSU-Politiker.

Wichtig: Bei den Grenzkontrollen ging es der Bundesregierung weniger um eine realistische Senkung der Fallzahlen, als um ein Signal. Die schwarz-rote Koalition will klarstellen, dass unrechtmäßige Einreisen nicht mehr toleriert werden, dass Migration stärker gesteuert werden soll. Es war absehbar, dass das konkrete Vorgehen früher oder später kassiert werden könnte. Rückweisungen sind nun als Instrument vorerst nicht mehr nutzbar. Allerdings kann Deutschland zusammen mit seinen europäischen Nachbarn und auf EU-Ebene weitere Vorstöße unternehmen, um die Situation zu verändern.

Darf nun jeder, der angibt, Asyl beantragen zu wollen, nach Deutschland einreisen?

In diesem Punkt ist die Gerichtsentscheidung besonders interessant. Das Berliner Verwaltungsgericht erklärte, die betroffenen Somalier könnten „nicht verlangen, über den Grenzübertritt hinaus in das Bundesgebiet einzureisen“. Nach der Dublin-Verordnung sei es möglich, das Dublin-Verfahren an der Grenze oder im grenznahen Bereich durchzuführen, ohne dass damit zwangsläufig eine Einreisegestattung verbunden sein müsse.

Heißt: Die Bundesrepublik muss zwar sicherstellen, dass der Anspruch der Somalier geprüft wird. Eine unkontrollierte Einreise muss Deutschland aber nicht tolerieren. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Polen gerade ein neuer, rechtsnationalistischer Präsident gewählt wurde, dürfte spannend werden, wie die beiden Länder in diesem Punkt miteinander umgehen – ob Polen etwa toleriert, dass Deutschland prüft, während sich die Somalier auf polnischem Gebiet befinden. Polen argumentiert eher, dass die Menschen sowieso nach Deutschland wollten, und will keine Asylbewerber aufnehmen.

Was wird nun aus den Grenzkontrollen?

Von vornherein war klar, dass die Bundespolizei die knapp 4000 Kilometer lange deutsche Außengrenze nicht komplett würde kontrollieren können. Viele hatten das Vorgehen als Symbolpolitik kritisiert. Das ist allerdings nicht erst seit Dobrindt so.
Bereits unter Dobrindts Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) waren 2023 Grenzkontrollen an mehreren Außengrenzen eingeführt und im September 2024 auf alle Außengrenzen ausgeweitet worden.

Die Kontrollen selbst hat das Gericht nicht beanstandet. Und auch andere Personen, die kein Asyl beantragen wollten, hatte die Bundespolizei zurückgewiesen. Dobrindt machte am Montag ebenfalls keine Anstalten, von diesem Vorgehen abzuweichen.

Was bedeutet das für die Polizei?

Polizeivertreter hatten im Zusammenhang mit den Grenzkontrollen wiederholt Überlastung kritisiert. Personal sei nicht mehr abgezogen worden, lange Schichten zehrten an den Nerven. Dobrindt könnte an ihrem Einsatz festhalten, um weiter Stärke zu demonstrieren und ein Signal an all diejenigen zu senden, die es in die Bundesrepublik zieht. Es könnte aber auch sein, dass der Innenminister dem Druck der Gewerkschaften nachgibt und die Kontrollen wieder lockert.

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