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Politik: Geteilte Fürsorge

Ein Verein pflegt die Gräber der Weltkriegstoten – die Gefallenen der Gegenwart bleiben außen vor

Berlin - Die Erinnerung an die Toten liegt in der Erde, hunderttausendfach. In Westeuropa, in Deutschland, auf dem Balkan, in Polen, der Ukraine, Russland und anderen Schauplätzen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Mehr als 65 Millionen Menschen – Soldaten und Zivilisten – wurden in den beiden Kriegen des 20. Jahrhunderts getötet. Längst nicht jeder von ihnen hat ein Grab. Noch heute stoßen die Lebenden fast täglich irgendwo in Europa auf die unbestatteten sterblichen Überreste von Kriegstoten.

Oberstleutnant Carsten Heldt hat erst im vergangenen Jahr in Kooperation mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) in der Nähe von Sankt Petersburg zusammen mit russischen Kameraden wieder die Gebeine, Erkennungsmarken und Soldbücher von gefallenen Soldaten geborgen – in der Gegend kämpften deutsche Truppen vom September 1941 bis zum Januar 1944 gegen die Rote Armee. „Es ist wirklich erstaunlich, was man da zutage fördert“, sagt Wendt. „Vor allem, wenn wir persönliche Dinge bei den Toten finden, berührt das die Leute sehr.“ Der 48-jährige Offizier war schon zahlreiche Male mit dem Volksbund in Sachen Kriegsgräberpflege unterwegs, das erste Mal 2003 auf einem Soldatenfriedhof in den Ardennen.

Der VDK sucht, sichert und pflegt im Auftrag der Bundesregierung rund 2,3 Millionen Kriegsgräber in 45 Ländern und wird dabei von der Bundeswehr unterstützt. Vor allem junge Wehrpflichtige, aber auch ältere Soldaten und Reservisten reisen auf freiwilliger Basis mit dem Volksbund für die Grabpflege zu Friedhöfen in ganz Europa. Rund 100 solcher Einsätze plant und organisiert der Volksbund, ein gemeinnütziger, von Spenden und einem Bundeszuschuss getragener Verein, pro Jahr. Die Bundeswehr stellt ihre Soldaten für den Zeitraum der Gräberpflege frei.

Im Westen, in Frankreich oder Belgien etwa, geht es bei der Arbeit des Volksbundes vor allem um Bestandsschutz: Die Gräber dort sind zum Teil fast hundert Jahre alt. Grabsteine, Kreuze und Einfriedungen müssen beispielsweise regelmäßig von Wildwuchs befreit werden. Auch an Zäunen und Wegen nagt der Zahn der Zeit. Sie müssen von Rost befreit und neu gepflastert werden.

Während die meisten Kriegsgräber in Westeuropa sich auf großen Zentralfriedhöfen befinden, ist man in den Ländern des ehemaligen Ostblocks erst seit einigen Jahren dabei, solche Stätten einzurichten. Rund drei Millionen deutsche Soldaten ließen auf dem heutigen Staatsgebiet von Polen, der Ukraine, Weißrussland und Russland ihr Leben; der Volksbund konnte seine Arbeit hier erst nach dem Ende des Kalten Krieges aufnehmen. Seitdem ist der VDK vor allem in Russland bemüht, die auf zahlreichen kleinen Soldatenfriedhöfen beigesetzten Toten des Zweiten Weltkrieges auf große Sammelfriedhöfe umzubetten. Das hat vor allem praktische Gründe: Die Toten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg haben nach dem Gräbergesetz ein „dauerhaftes Ruherecht“. Ihre Grabstätten müssen unbegrenzt erhalten bleiben, sofern es sich dabei nicht um Familiengräber handelt. Die Zusammenlegung von Kriegsgräbern und die Errichtung von Zentralfriedhöfen sei notwendig, „da es auf die Dauer nicht möglich ist, Tausende von kleinen Einzelanlagen zu pflegen“, heißt es zur Begründung beim Volksbund.

Im Gegensatz zu den Weltkriegstoten wird den Gefallenen der Gegenwart keine unendliche Fürsorge zuteil. Zwar übernimmt die Bundeswehr die Kosten für die Bestattung und den ersten Grabschmuck, wenn Soldaten beispielsweise beim Einsatz in Afghanistan getötet werden. Auch erweist der Dienstherr, wenn von den Angehörigen gewünscht, den Toten bei der Beerdigung sogenannte militärische Ehren. Dazu gehören je nach Dienstgrad zum Beispiel eine Soldatenabordnung, ein Geleitzug mit Trompeter und Trommler sowie eine Totenwache am Sarg. Die Miete für die Grabstätte des Soldaten trägt die Bundeswehr nur für die „ortsübliche Erstliegezeit“. Sie beträgt in der Regel zwischen 20 und 30 Jahren. Kümmern sich die Angehörigen nicht um eine Verlängerung, werden die Gräber aufgelöst.

Diese Ungleichbehandlung von alten und neuen Kriegstoten beklagt der Volksbund im Verteidigungsministerium seit Jahren und fordert eine entsprechende Änderung des Gräbergesetzes, bislang allerdings ohne Erfolg. „Die Bestattung der Toten wird bewusst den Familien überlassen“, sagt ein Sprecher des Ministeriums mit Verweis auf unterschiedliche nationale Traditionen. „Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Deutschland keine großen Soldatenfriedhöfe.“ Selbst wenn das Verteidigungsministerium eines Tages auch für die dauerhafte Pflege aktueller Kriegstoter aufkommen sollte, könnte es schwierig werden, die in ganz Deutschland bestatteten Bundeswehrsoldaten ausfindig zu machen: Das Ministerium verfügt – sehr zum Unmut des Volksbundes – nicht einmal über eine Liste der Orte, an denen die Toten bestattet wurden.

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