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Am Freitag bestätigte US-Außenminister John Kerry, es gäbe „starken Beweisen“ für einen Chemiewaffeneinsatz durch syrische Regierungstruppen gegen die Aufständischen im Land.

© Reuters

Der Syrien-Konflikt: Giftgas - ist die rote Linie überschritten?

Amerikaner und Briten glauben, Anzeichen für den Einsatz von Giftgas durch das Assad-Regime in Syrien entdeckt zu haben. Damit wäre eine "rote Linie" überschritten. Wie brisant ist die Situation?

Die Opfer haben weißen Schaum vor dem Mund, apathisch und mit aufgerissenen Augen liegen sie auf ihren Bahren. Mindestens fünf Menschen sollen nach dem Bericht eines BBC-Reporters aus Aleppo in ihrem Haus mit Nervengas kontaminiert worden sein. Drei starben, das Leben der beiden anderen konnten die Ärzte im Krankenhaus durch ein Gegengift retten. Nicht zuletzt wegen dieser Youtube-Bilder erklärte das Weiße Haus nun erstmals, das Assad-Regime könnte Mitte März nahe Aleppo sowie zuvor in Homs und Damaskus Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben.

Wie verlässlich sind diese Angaben?

Erhärtet wird der Verdacht dadurch, dass nach Angaben der BBC zwölf Mediziner, Schwestern und Sanitäter, die mit den Opfern von Aleppo in Berührung kamen, ebenfalls Vergiftungssymptome zeigten und behandelt werden mussten. Es könne mit „verschiedenen Graden von Sicherheit“ gesagt werden, dass „in kleinem Maßstab“ Giftgas – wahrscheinlich Sarin – eingesetzt worden sei, heißt es in einem Brief des Weißen Hauses an den Kongress in Washington. „Wir glauben, dass jeder Einsatz von Chemiewaffen in Syrien wahrscheinlich vom Assad-Regime ausging.“

Dagegen erklärte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, man habe nach wie vor keine Klarheit, „welche Chemikalie eingesetzt wurde, wo sie eingesetzt wurde und wer sie eingesetzt hat“. Damit ließ Hagel offen, ob nicht auch Rebellen für Angriffe verantwortlich sein könnten, um ein militärisches Eingreifen der USA zu provozieren.

Auch der britische Regierungschef David Cameron erklärte, Großbritannien werde versuchen, nicht den Fehler zu machen, Reaktionen übers Knie zu brechen. Die bisherigen Erkenntnisse in Washington und London beruhen offenbar auf Analysen von Bodenproben und Blut der Verletzten. Bereits am Dienstag hatte der israelische General Itai Brun behauptet, es gebe Beweise, dass Assad mehrfach Giftgas eingesetzt habe. Brun berief sich dabei auf die Auswertung von Opferfotos sowie auf „direkte Erkenntnisse“, die er jedoch nicht näher spezifizierte.

Wie reagierte die internationale Gemeinschaft?

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte Assad auf, umgehend eine Untersuchungskommission ins Land zu lassen und ihr „vollen und uneingeschränkten Zugang“ zu gewähren. Nach seinen Worten steht bereits seit Mitte März ein Team von UN-Spezialisten bereit, um Hinweisen auf Chemiewaffeneinsätze nachzugehen. Ursprünglich hatte das Assad-Regime selbst die Waffenexperten angefordert, um einen angeblichen Giftgasangriff der Rebellen in Aleppo untersuchen zu lassen. Inzwischen jedoch lehnt Damaskus jegliche Zusammenarbeit ab.

Der Giftgasverdacht fachte die westlichen Debatten um Waffenlieferungen und militärisches Eingreifen in Syrien neu an. Präsident Barack Obama hatte zuletzt bei seinem Besuch in Israel den Machthabern in Damaskus mit weit reichenden Konsequenzen gedroht, falls diese die rote Linie überschreiten und Chemiewaffen einsetzen sollten. Londons Premier David Cameron schloss am Freitag einen Einmarsch in Syrien erneut aus, forderte aber, der Westen müsse künftig mehr tun, um der Opposition zu helfen und den Druck auf das Assad-Regime zu erhöhen. Israels Vize-Außenminister Zeev Elkin dagegen erklärte, die internationale Gemeinschaft müsse sich jetzt darauf rüsten, gegen Syrien vorzugehen. „Wenn die internationale Gemeinschaft erkennt, dass Giftgas eingesetzt wurde, wird sie keine andere Wahl mehr haben, als militärisch zu handeln.“ Ein Sprecher des syrischen Oppositionsbündnisses „Nationale Koalition“ forderte den Westen auf, endlich eine Flugverbotszone zu errichten.

Militärisch herrscht sein Monaten ein Patt

Am Freitag bestätigte US-Außenminister John Kerry, es gäbe „starken Beweisen“ für einen Chemiewaffeneinsatz durch syrische Regierungstruppen gegen die Aufständischen im Land.
Am Freitag bestätigte US-Außenminister John Kerry, es gäbe „starken Beweisen“ für einen Chemiewaffeneinsatz durch syrische Regierungstruppen gegen die Aufständischen im Land.

© Reuters

Wie ist die militärische Lage in Syrien?

Im syrischen Bürgerkrieg ist die bestialische Gewalt inzwischen allgegenwärtig und droht die ganze Region mit in den Abgrund zu reißen. Im Libanon rief ein militanter Scheich, der 18 Jahre in Berlin gelebt hatte und ausgewiesen wurde, junge Sunniten zum Dschihad gegen Präsident Assad auf. Hunderte Elitekämpfer der Hisbollah dagegen helfen dem alawitischen Regime, sich in Damaskus einzuigeln und einen Korridor von der Hauptstadt bis zu den Siedlungsgebieten der schiitischen Präsidentensekte am Mittelmeer freizukämpfen. Denn nach zwei Jahren Bürgerkrieg scheint das Assad-Regime den Plan aufgegeben zu haben, die abtrünnigen Regionen im Norden und Osten Syriens zurückzuerobern. Stattdessen konzentriert sich der Diktator darauf, für sich und seine Getreuen ein alawitisches Restsyrien zu schaffen. „Mit Milizionären und Terroristen gibt es keinen Waffenstillstand“, erklärte er. Er setze nur auf eine Option – den Sieg.

Militärisch herrscht seit Monaten ein Patt. Assads Luftwaffe bombardiert Orte der Regimegegner, um die Einrichtung von Sicherheitszonen und Interim-Verwaltungen zu verhindern. Die Armee konzentriert ihre Angriffe auf Rebellenviertel am Rand von Damaskus sowie die Korridorstädte Homs und Qusair, ohne die eine Verbindung von der Hauptstadt zu der alawitischen Küstenregion um Tartus und Lattakia nicht möglich wäre. Zahlreiche Dörfer im Grenzgebiet zum Libanon wurden in den letzten Tagen mit Hilfe von Hisbollah-Kriegern zurückerobert, in Qusair toben heftige Kämpfe. Im Gegenzug drohten die syrischen Aufständischen, die blutigen Gefechte „in das Herz des Libanon“ zu tragen und die Bastionen der Hisbollah in der Bekaa-Ebene anzugreifen. Die „Partei Gottes“ verspotteten sie als „Partei des Teufels“.

Wie ist die Lage der Christen im Land?

Entführungen und Geiselnahmen durch bewaffnete Banden und ihre Warlords sind in Syrien inzwischen an der Tagesordnung. Sie treffen immer häufiger auch Angehörige der christlichen Minderheit, zu der acht bis zehn Prozent der 23 Millionen Einwohner gehören. Meistens gelingt es den Verwandten, die Opfer mit hohen Lösegeldern freizukaufen. Von den beiden Anfang der Woche entführten Erzbischöfen aus Aleppo jedoch fehlt bisher jede Spur. Zwei weitere Priester sind seit mehr als drei Monaten verschleppt. Die Christen haben lange versucht, sich aus dem blutigen Machtkampf herauszuhalten. Viele von ihnen fürchten, Syrien könnte nach dem Fall von Assad zu einem islamitisch-sunnitischen Staat werden, in dem ihre Minderheitenrechte nicht mehr garantiert sind. Als warnendes Beispiel gilt ihnen der Massenexodus der irakischen Christen nach dem Sturz von Saddam Hussein, ausgelöst durch den Mord an Bischof Paulos Faraj Rahho aus Mossul im März 2008 sowie dem Massaker in der Sayidat-al-Nejat-Kathedrale von Bagdad im November 2010. In Ägypten haben in den beiden Jahren nach dem Sturz von Hosni Mubarak die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen koptischen Christen und salafistischen Radikalen bisher mehrere Dutzend Tote gefordert.

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