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„Berufsbildungszentrum“ für Uiguren in Dabancheng in Xinjiang.

© Thomas Peter/Reuters

Grausamer Bericht aus China: Uigure schickt heimlich Nachrichten und ein Video aus der Haft

Die uigurische Minderheit wird in China verfolgt. Auch Merdan Ghappar wurde inhaftiert. Ihm gelang es, seiner Familie extrem bedrückendes Material zu senden.

Merdan Ghappar ist ein erfolgreiches Modell der E-Commerce-Plattform Taobao, verdiente gutes Geld mit Werbevideos für Bekleidungsmarken. Aber der 31-Jährige ist auch Uigure. Und dies wurde ihm zum Verhängnis. Er wurde wie Zehntausende andere der Minderheit festgenommen.

Jetzt veröffentlichte der britische Sender BBC Videos und Textnachrichten, die der Uigure anscheinend heimlich aus einem Gefängnis, das offenbar eine Quarantäne-Einrichtung wegen des Coronavirus ist, senden konnte. Zusammen liefern sie einen erschreckenden und äußerst seltenen Bericht über Chinas hochsicheres und geheimes Inhaftierungssystem für die Uiguren. Sie offenbaren Folter, Misshandlung und unmenschliche Lebensbedingungen.

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In China leben schätzungsweise zehn Millionen Uiguren, die meisten in der Provinz Xinjiang im äußersten Westen des Landes. Sie gelten als ethnisch mit den Türken verwandt und werden von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt. Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.

Seit 2017 sollen mehr als eine Million Uiguren und Angehörige anderer türkisch-muslimischer Minderheiten in einem riesigen Netzwerk von „Umerziehungslagern“ in der Region Xinjiang verschwunden sein. Berichten von Menschenrechtlern zufolge werden die Gefangenen einer politischen Indoktrination unterzogen, zur Aufgabe ihrer Religion und Kultur gezwungen und auch gefoltert.

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Die Uiguren werden digital überwacht, Tausende von Kindern wurden von ihren Eltern getrennt, und jüngste Untersuchungen zeigen, dass Frauen gewaltsam zur Geburtenkontrolle gezwungen worden sollen sein. Zudem sollen zehntausende Uiguren inzwischen in ganz China als Zwangsarbeiter eingesetzt werden, wie im Frühjahr bekannt wurde.

Die Regierung in Peking beharrt darauf, dass es sich bei den Lagern um freiwillige Schulen für die Ausbildung in Anti-Extremismus handelt. Aber zusätzlich zu den klaren Anschuldigungen von Folter und Misshandlung scheint Ghappars Bericht Beweise dafür zu liefern, dass Uiguren trotz Chinas Behauptungen, dass die meisten Umerziehungslager geschlossen wurden, immer noch in beträchtlicher Zahl inhaftiert sind und ohne Anklage festgehalten werden.

Nachdem Ghappar dem BBC-Bericht zufolge bis Ende 2019 bereits eine 16-monatige Haftstrafe wegen einer Anklage wegen eines Drogendelikts verbüßen musste, die erfunden gewesen sein soll, währte die Freude über seine Freiheit nur kurz. Schon im Januar wurde er offenbar wieder festgesetzt und von der Polizei nach Xinjiang zurückgebracht.

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Als Ghappar erkrankt war, wurde er dem Bericht zufolge in ein Krankenhaus und dann in einen isolierten Raum auf einem benachbarten Gelände gebracht, wo ihm seine Habseligkeiten zurückgegeben wurden – darunter offenbar versehentlich auch sein Telefon. So soll es ihm gelungen sein, mit seinen Verwandten Kontakt aufzunehmen.

Ein Video, das Ghappar an seine Familie in Europa schickte, zeigt ihn mit ängstlichem Blick in einem kleinen Raum, während im Hintergrund über eine Lautsprecheranlage Propagandaansagen abgespielt werden. Ghappar hält die Kamera mit der rechten Hand. Man sieht seine schmutzige Kleidung, seine geschwollenen Knöchel und Handschellen, mit denen sein linkes Handgelenk am Metallrahmen des Bettes – dem einzigen Möbelstück im Raum – befestigt ist.

Ghappar berichtete der BBC zufolge im chinesischen Social-Media-Kanal WeChat über seine traumatischen Erlebnisse. Seine Nachrichten wurde nach Angaben des Senders von James Millward, einem Geschichtsprofessor an der Georgetown University in Washington DC, übersetzt.

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Über seine Zeit in der Polizeizelle schrieb er demnach: „Ich sah 50 bis 60 Personen, die in einem kleinen Raum von nicht mehr als 50 Quadratmetern festgehalten wurden, Männer auf der rechten, Frauen auf der linken Seite.“ Und weiter: „Alle trugen einen so genannten ,vierteiligen Anzug', einen schwarzen Sack über dem Kopf, Handschellen, Beinfesseln und eine Eisenkette, die die Handschellen mit den Fesseln verband.“ Diese Art Gefangene zu fesseln, wird von Menschenrechtlern immer wieder scharf kritisiert.

Auch Ghappar wurde eigenen Angaben zufolge gezwungen, den „vierteiligen Anzug“ zu tragen. Dann sei er mit Mitgefangenen in eine Art Käfig in der Zelle gezwungen worden, in der es keinen Platz zum Schlafen oder auch nur Liegen gegeben habe. „Ich hob den Sack auf meinen Kopf und sagte dem Polizeibeamten, dass die Handschellen so eng seien, dass sie meine Handgelenke verletzten“, schreibt er in einer der Textnachrichten. „Er schrie mich heftig an und sagte: ,Wenn du die Kapuze wieder abnimmst, werde ich dich zu Tode prügeln.' Und danach traute ich mich nicht mehr zu sprechen“, fügte Ghappar hinzu. „Hier zu sterben ist das Letzte, was ich will.“

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Ghappar beschreibt weiter, dass die Gefangenen von Läusen befallen seien, sich dreckiges Geschirr teilen und die Reste der Mahlzeiten der Polizisten nach Essbarem durchwühlen mussten. Als er für mehrere Tage in eine isolierte Zelle verlegt wurde, habe er die Schreie von Menschen hören können, die in der Nähe verhört worden seien. „Einmal hörte ich von morgens bis abends einen Mann schreien. Das war eine psychologische Folter für mich – ich hatte Angst, dass ich der nächste sein würde.“

Video und Textnachrichten zeigen auch den enormen psychologischen Druck, der auf uigurische Gemeinschaften ausgeübt wird. Darunter ein von ihm fotografiertes Dokument, in dem Kinder im Alter von 13 Jahren aufgefordert werden, „Buße zu tun und sich zu ergeben“.

Zudem steige die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Xinjiang derzeit sprunghaft an, wie BBC berichtet. Die beschriebenen Lebensbedingungen der Gefangenen verdeutlichten die ernste Ansteckungsgefahr in der Pandemie.

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Die Situation in Xinjiang ist zwar in den vergangenen Monaten stärker in den Fokus gerückt. So gibt es von etlichen Seiten die Forderung an Chinas Präsidenten Xi Jinping, unabhängige Ermittler zuzulassen.

Zudem haben die USA gegen China Sanktionen wegen der Behandlung der Uiguren und anderer türkisch-muslimischer Minderheiten verhängt und andere Staaten erwägen ähnliche Schritte. Menschenrechtler bezweifeln aber, dass dies ausreicht, um Peking wirklich zum Einlenken zu bewegen.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.

© Ng Han Guan/AP/dpa

Die BBC hat nach eigenen Angaben in detaillierten Anfragen an das chinesische Außenministerium und die Behörden in Xinjiang um Stellungnahmen gebeten. Antworten habe es nicht gegeben.

Ghappars Onkel, Abdulhakim Ghappar, sagte der BBC, er glaube, dass Ghappar festgenommen wurde, weil er Familie außerhalb Chinas habe, die politisch aktiv sei. „Er wurde inhaftiert, nur weil ich im Ausland bin und an Protesten gegen chinesische Menschenrechtsverletzungen teilnehme“, sagte er. Es gebe keine offiziellen Angaben zum Grund der Inhaftierung oder über seinen Aufenthaltsort.

Der Onkel, der der BBC zufolge heute in den Niederlanden lebt, hofft, dass das im Original 4:38 Minuten lange Video die öffentliche Meinung in der gleichen Weise mobilisieren könnte, wie das Filmmaterial über den tödlichen Einsatz der US-Polizei im Fall des Afroamerikaners George Floyd zu einem mächtigen Symbol der Rassendiskriminierung in den USA wurde. „Sie haben beide wegen ihrer Ethnie Brutalität erfahren“, sagte er. „Aber während in Amerika die Menschen ihre Stimme erheben, herrscht in unserem Fall Schweigen.“

Die Familie sei sich bewusst, so Abdulhakim Ghappar, dass die Veröffentlichung die Lage von Merdan Ghappar noch verschlechtern könne, aber es sei ihre letzte Hoffnung, sowohl auf seinen Fall als auch auf die Notlage der Uiguren im Allgemeinen aufmerksam zu machen. Der BBC zufolge haben die Nachrichten an die Familie nach einigen Tagen abrupt aufgehört – von Merdan Ghappar gebe es seit März kein Lebenszeichen mehr.

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