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Die Hilfsorganisation "Medicines du Monde" behandelt die Ärmsten der Armen - normalerweise in Dritte Welt Ländern. Mittlerweile kommen aber auch immer mehr Angehörige der früheren griechischen Mittelschicht.

© dpa

Krise wird lebensbedrohlich: Griechenlands Ärzte arbeiten am Limit

Die Euro-Krise erreicht die Schwächsten in Griechenland – Kranke und Patienten in Krankenhäusern. In einigen Kliniken droht die Mangelversorgung bald Menschenleben zu kosten.

Seit vier Stunden steht Maria Karapanagioti an diesem Montagmorgen bei der staatlichen Krankenkasse IKA im Athener Küstenvorort Glyfada schon an, wird von einem Schalter zum anderen geschickt. Die 72-jährige Frau hält ein Rezept in der zittrigen Hand: Medikamente für ihren schwer kranken Mann. „320 Euro im Monat kosten die Mittel“, sagt die Frau. Bis vor kurzem ging sie mit den Rezepten in die Apotheke, die dann mit der Krankenkasse abrechnete. Aber weil die Kassen den Apotheken mittlerweile mehrere hundert Millionen Euro schulden, geben viele Apotheker Arzneimittel an die Versicherten nur noch gegen Barzahlung ab. „Woher soll ich das Geld nehmen?“, fragt Maria Karapanagioti verzweifelt. Im vergangenen Jahr wurde dem Ehepaar die Rente von 850 auf 690 Euro gekürzt.

Die griechische Finanzkrise erreicht jetzt auch die Schwächsten: In vielen staatlichen Kliniken warten Patienten auf lebensrettende Operationen, weil es an medizinischem Material fehlt. Selbst Spritzen, Tupfer für die Operationen und Gummihandschuhe für die Ärzte sind vielerorts Mangelware. In manchen Kliniken wurden sogar die Mahlzeiten für die Patienten rationiert. Der Grund für den akuten Geldmangel: Um wenigstens die Gehälter der Staatsbediensteten und die Renten zahlen zu können, hat der Staat fast alle anderen Ausgaben eingefroren – darunter auch die Zuschüsse an die Krankenhäuser und Versicherungskassen. Die Lieferanten sitzen mittlerweile auf unbezahlten Rechnungen von rund zwei Milliarden Euro und beliefern die staatlichen Kliniken nur noch gegen Barzahlung. Die Folge: Es gibt immer mehr Engpässe bei der Versorgung mit Material und Medikamenten.

Viele Arzneimittel sind in Griechenland ganz aus dem Sortiment der Apotheken verschwunden. Der Pillen-Notstand ist ein Vorgeschmack darauf, was dem Land drohen könnte, wenn sich bei der Wahl am kommenden Sonntag die Radikallinken durchsetzen und, wie angekündigt, die Kreditverträge mit der EU aufkündigen. Dann müsste Griechenland schon binnen weniger Wochen zur Drachme zurückkehren. Die meisten Importe kämen damit wohl zum Erliegen.

In vielen Kliniken fehlt es an fast allem.

In vielen Kliniken fehlt es inzwischen sogar an rudimentären Materialien. „Ich kaufe die Gummihandschuhe auf eigene Kosten in einer Apotheke gegenüber“, berichtet ein Arzt eines großen Athener Krankenhauses. Die Universitätsklinik von Heraklion auf Kreta meldet Engpässe bei Desinfektionsmitteln. Das staatliche Krankenhaus Attikon in Athen hat alle Herzoperationen eingestellt, weil es an Material für den Betrieb der Herz-Lungen- Maschinen fehlt: „Wir brauchen dafür 350 Euro, aber unsere Kassen sind leer“, erklärt der Chirurg Christos Rokkas der Zeitung „Ta Nea“.

Auch im nordgriechischen Thessaloniki fehlt es an Stents für Herzoperationen. Sauerstoffmasken und Insulinspritzen sind ebenfalls Mangelware. In wachsender Angst leben viele Dialysepatienten in Thessaloniki. In mindestens zwei staatlichen Kliniken gebe es bereits Engpässe bei der lebenswichtigen Blutwäsche für die Nierenkranken, weil es an Betriebsstoffen für die Dialysemaschinen fehle, berichten Betroffene.

Auf der Insel Limnos müssen die Patienten des örtlichen Krankenhauses auf Fleisch und Joghurt verzichten, weil die Klinikverwaltung kein Geld mehr hat. Im Inselkrankenhaus von Chios ist sogar der Gips ausgegangen. „Wenn jemand mit einem Knochenbruch eingeliefert wird, bitten wir die Angehörigen, den Gips aus der nächsten Apotheke selbst zu besorgen“, sagt der Orthopäde Vassilis Vassiliadis. Auf der Insel Rhodos müssen die Patienten in der Orthopädie wegen der Materialengpässe inzwischen rund ein Jahr auf einen Operationstermin warten – wenn es dann die Klinik noch gibt: Der frühere griechische Gesundheitsminister Andreas Loverdos rechnet damit, dass im kommenden Jahr ein Fünftel der staatlichen Kliniken komplett schließen muss.

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