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Das Archivbild zeigt Boris  Pistorius beim Besuch des Panzerbataillons 203 in Augustdorf – Panzer spielen bei den Waffenlieferungen für die Ukraine eine kleinere Rolle als zu Beginn seiner Amtszeit.

© imago/Kirchner-Media/IMAGO/David Inderlied

Größter Unterstützer der Ukraine: Was liefert Deutschland eigentlich an Waffen?

Erstmals hat die Bundesregierung für sich reklamiert, die meiste Militärhilfe für Kiew zu stellen. Aber stimmt das, wo die Lieferungen doch geheim bleiben? Und wenn ja, ist das trotzdem genug?

Stand:

Eigentlich ist es nur eine logische Schlussfolgerung aus den politischen Verrenkungen der vergangenen Wochen und Monate. Weil der amerikanische Präsident Donald Trump kein Geld mehr für die Ukraine ausgeben will, kaufen die anderen Nato-Staaten dem größten Verbündeten mittlerweile Waffen für Kiew ab. Der Verteidigungsminister hat nun aber erstmals ausgesprochen, dass das Deutschland, die bisherige Nummer 2 der Lieferanten, zur neuen Nummer 1 macht.

„Wir sind die größten Unterstützer“, sagte der Sozialdemokrat Boris Pistorius am Mittwoch in der Bundestagsfragestunde für die Abgeordneten, „der Zusatz ,nach den USA‘ kann inzwischen wegfallen.“ Er verwies dabei auf die rund neun Milliarden Euro, die im aktuellen Haushaltsentwurf sowie in der Etatplanung auch für die kommenden Jahre verankert sind.

Ob und wie das Geld wirklich ausgegeben wird, ist für die Öffentlichkeit indes kaum mehr nachprüfbar. Mit Amtsantritt der neuen Bundesregierung wurde die zuvor minutiös gepflegte Internetseite mit einzeln aufgeführten Liefermengen für jedes Waffensystem und jeden Ausrüstungsgegenstand nicht weiter aktualisiert.

Aus „operativen Gründen“ schweigsamer als die Ampel

Wenige Tage nach seiner Wahl zum Kanzler hatte er in Kiew gesagt: „Unter meiner Führung wird die Debatte um Waffenlieferungen, Kaliber, Waffensysteme und, und, und aus der Öffentlichkeit herausgenommen.“ Hatte Merz als Oppositionsführer selbst noch öffentlich Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine gefordert, ließ er seinen Regierungssprecher Stefan Kornelius nun daran erinnern, dass die bisherige Informationspolitik auch das russische Regime informiere. 

„Die eingeschränkte öffentliche Kommunikation über Unterstützungsleistungen für die Ukraine erfolgt aus operativen Gründen und ist in der Bundesregierung abgestimmter Konsens“, heißt es analog dazu im Verteidigungsministerium zu den bisher damit gemachten Erfahrungen: „Sie dient dazu, die russische Aufklärung zu erschweren und trägt somit zur Stärkung der ukrainischen Verteidigung bei.“ 

Der Umfang der Unterstützungsleistungen ist zuletzt weiter bedeutend angewachsen.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums zur Ukraine-Militärhilfe

Trotzdem ist seither nicht mehr ersichtlich, ob etwa zu den 1050 bewaffneten HF-1-Drohnen oder zu den 330.000 Schuss Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard im vergangenen halben Jahr noch welche hinzugekommen sind.

Doch Minister und das Ministerium versichern, dass es mehr geworden ist. „Bei der Unterstützung der Ukraine lassen wir nicht nach – im Gegenteil“, sagte Pistorius im Bundestag, nachdem er am Dienstag am 30. Treffen der Ukraine Defence Contact Group in London teilgenommen hatte, die die Militärhilfe politisch koordiniert, die von einer Nato-Einheit in Wiesbaden logistisch organisiert wird. Konkret verwies er auf weitere Patriot-Raketenabwehr-Einheiten in den nächsten Wochen.

Der Schutz ukrainischer Städte und Infrastrukturen gegen russische Luftangriffe auch mit den Iris-T-Systemen steht schon länger im Mittelpunkt der Bemühungen. Im ersten Kriegsjahr zugesagte Lieferungen etwa von Panzern werden teils noch abgearbeitet, stehen aber mittlerweile weniger im Zentrum.

Opposition bestätigt Aussage der Regierung

„Der Umfang der Unterstützungsleistungen ist zuletzt weiter bedeutend angewachsen“, teilt ein Sprecher seines Hauses auf Tagesspiegel-Anfrage mit: „Über den Sonderstab UKR im BMVg werden kontinuierlich eine Vielzahl militärischer Unterstützungsleistungen mit der Ukraine, den Partnern und der Industrie abgestimmt und umgesetzt.“ Die Lieferungen erreichten „regelmäßig, abseits der öffentlichen Wahrnehmung, die Ukraine“.

Der Oppositionspolitiker Sebastian Schäfer von den Grünen attestiert diesem Ukraine-Stab im Verteidigungsministerium aus seinen Erkenntnissen heraus, tatsächlich, „hervorragende Arbeit“ zu leisten: „Wir liefern substanzielle Unterstützung und haben auch zentrale Fragen wie die Ersatzteilversorgung mittlerweile deutlich verbessert.“ Die Militärhilfe wurde also nicht im Stillen zurückgefahren.

Insofern ist damit zu rechnen, dass wie bisher zu spät, zu wenig und dass bestimmte Dinge nicht geliefert werden, die zum Beispiel durch die SPD ausgeschlossen wurden.

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter zur Kontinuität der Regierungspolitik

Für Selbstzufriedenheit sieht er freilich keinerlei Anlass, weil die Lage der Ukraine militärisch zuletzt eher schwieriger geworden ist. „Minister Pistorius mag sich jetzt rühmen, der größte Unterstützter der Ukraine zu sein – das gilt aber nicht in Relation zu unserer Wirtschaftsstärke und auch nur wegen des Ausfalls der USA“, so der Haushaltspolitiker weiter: „Im europäischen Vergleich verharren wir bei ehrlicher Analyse im Mittelfeld.“ Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen vor allem die baltischen und die skandinavischen Staaten vor der Bundesrepublik.

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hält das für einen „strategischen Fehler“, den er der alten wie auch der neuen eigenen Regierung vorhält: „Die Bundesregierung hat ja von Beginn an klargestellt, dass sie bei der Unterstützung der Ukraine auf Kontinuität setzen wird“, so der Bundestagsabgeordnete: „Insofern ist damit zu rechnen, dass wie bisher zu spät, zu wenig und dass bestimmte Dinge nicht geliefert werden, die zum Beispiel durch die SPD ausgeschlossen wurden.“

Appell zur Nutzung der Schulden-Ausnahme

Speziell nach dem Drohnen-Abschuss über Polen in dieser Woche ärgert er sich über „die konsequenzlosen Betroffenheitsbekundungen und ausschließlich verbalen Verurteilungen aus westlichen Staaten“, über die „Russland nur lachen“ könne. Stattdessen müsse militärisch und finanziell mehr getan werden.

Im Bundeshaushalt, wo Politik real wird, ist davon nichts zu sehen.

Sebastian Schäfer (Grüne) zu den schwarz-roten Ukraine-Ankündigungen

Das wäre aus seiner Sicht wie auch aus der des Grünen Schäfer ein Einfaches. Schließlich sind die Kosten der militärischen Unterstützung für die Ukraine mit der jüngsten Grundgesetzänderung ausdrücklich von der Schuldenbremse ausgenommen worden. Zusätzliches Geld könnte, so Kiesewetter, „als finanzielle Unterstützung in die Rüstungsproduktion der Ukraine fließen“.

Teilweise wird das auch schon gemacht oder geplant – so etwa bei der Herstellung weitreichender Waffensysteme. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte das beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Ende Mai in Berlin angekündigt. Aus Schäfers Sicht wäre bei der Ankurbelung der Produktion vor Ort „viel mehr möglich“: „Es gibt in der ukrainischen Rüstungsindustrie nach wie vor ungenutzte Kapazitäten. Da mangelt es schlicht an Geld.“

Enttäuscht musste er zur Kenntnis nehmen, dass sein Antrag, 50 Prozent und damit 4,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung zu stellen, in den aktuellen Etatberatungen von der schwarz-roten Mehrheit abgelehnt wurde, während parallel die Fraktionschefs Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD) auf ihrer gemeinsamen Kiew-Reise in der vergangenen Woche umfassende Unterstützung versprachen: „Im Bundeshaushalt, wo Politik real wird, ist davon nichts zu sehen.“

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