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Jürgen Trittin spricht bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen im Frühjahr 2018.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

„Faktenfreies Gelaber“: Grüne weisen Thorsten Schäfer-Gümbel zurecht

Populistisch wie die AfD, keine Ideen bei der Sozialpolitik? Angriffe des SPD-Interimschef machen Grünen-Politiker fassungslos.

Der Grünen-Haushaltspolitiker Sven Christian Kindler kann kaum fassen, was er da über seine Partei liest. „Puh. Meine Güte SPD. Was geht denn bei euch?“ fragt er bei Twitter. Auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner zeigt sich ratlos. „Meinst du, so ein plumper Angriff hilft Euch weiter?“ fragt er.

Die Frage richtet sich an SPD-Interimschef Thorsten Schäfer-Gümbel, der im Interview mit dem Tagesspiegel ordentlich gegen die Grünen ausgeteilt hatte. Die soziale Frage sei ihnen "schnurzegal", sie spiele überhaupt keine Rolle in der Programmatik der Partei, warf der der Ökopartei vor.

Außerdem versuchten die Grünen im Moment, "alles Elend dieser Welt zu reduzieren auf die Frage des Klimawandels." Das sei genauso falsch wie die Politik der AfD, die die Migrationsfrage zum Übel der Welt erklärt habe. "Beides verkürzt Politik in grotesker Weise", kritisierte Schäfer-Gümbel.

Die Grünen finden den SPD-Angriff „merkwürdig“ und „verzweifelt“

Grotesk findet der Grüne Jürgen Trittin allerdings etwas anderes - nämlich die „verzweifelte Suche der SPD nach einem Ausweg aus der selbstverschuldeten Misere“. Nachdem die Grünen die SPD jahrelang beim Mindestlohn getrieben hätten, die Grundrente von Arbeitsminister Hubertus Heil vom grünen Konzept abgeschrieben worden sei und die Grünen gerade ein Konzept für die Kindergrundsicherung vorgelegt hätten, komme die SPD mit "faktenfreiem Gelaber" daher, sagte er dem Tagesspiegel.

"Wer als SPD eine stärkere Besteuerung von Großkonzernen in Europa verhindert, darf sich nicht wundern, wenn er nicht mehr als Kraft der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen wird", sagte der Ex-Fraktionschef.

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Der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Sven Lehmann, forderte die SPD auf, ihre eigene Programmatik zu überarbeiten. „Anstatt sich an den Grünen abzuarbeiten, sollte die SPD sich besser fragen, warum ihr eigenes soziales Profil so verblasst ist“, sagte er dem Tagesspiegel. „Im Gegensatz zur SPD wollen wir Hartz IV überwinden und eine würdevolle Garantiesicherung schaffen. Die SPD hingegen hält an Sanktionen und einer niedrigen Grundsicherung fest.“

Seit vielen Jahren arbeiteten die Grünen "für einen gerechten Arbeitsmarkt, gegen Armut, für Sicherheit bei Pflege, Gesundheit und Rente". Auch sein Fraktionskollege Kindler wies die Behauptung, die soziale Frage spiele in der Programmatik der Grünen keine Rolle, als „hardcore fake news“ zurück - und zählte etliche Projekte in der Sozialpolitik auf, für die die Grünen schon seit langem stritten: von der Bürgerversicherung bei Gesundheit, Rente, Pflege, der Widereinführung der Vermögensteuer, gleicher Bezahlung ("equal pay") ab dem ersten Beschäftigungstag für Leiharbeiter bis zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung oder mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau.

Der SPD wird mittlerweile weniger Kompetenz beim Sozialen zugeschrieben

Die SPD hatte zuletzt bei der Europawahl spürbar bei den Kompetenzzuschreibungen für ihr Kernthema - das Soziale - verloren, wie Analysen von Infratest Dimap zeigen. Bei der Europawahl 2014 hatten noch 41 Prozent der Befragten den Sozialdemokraten bescheinigt, das Thema besonders gut zu beackern, bei der aktuellen Europawahl waren es nur noch 29 Prozent. Viele Wähler sehen laut der Umfrage die Kompetenz zunehmend auch bei anderen Parteien.

Mit Werten von acht Prozent bei der sozialen Gerechtigkeit kommen die Grünen zwar nach wie vor nicht an die SPD heran. Aber für die Grünen-Wähler spielte die soziale Sicherheit bei der Wahlentscheidung eine große Rolle - das zeigen auch Befragungen aus der Vergangenheit. Bei der Europawahl im Mai stand das Thema Klimaschutz mit 88 Prozent zwar mit deutlichem Abstand an erster Stelle, doch gleich an zweiter Stelle folgt die soziale Sicherheit mit 39 Prozent.

Vergleich mit der AfD „unterirdisch“

Den Vergleich mit der AfD bezeichnete Bundesgeschäftsführer Kellner als "unterirdisch". Auch sein Parteikollege Kindler warf die Frage auf, ob Schäfer-Gümbel ernsthaft den Kampf gegen die Klimakrise mit dem Rassismus der AfD bei der Flüchtlingspolitik vergleichen wolle.

Er wolle "wirklich, dass die SPD wieder auf die Beine kommt", sagte Kindler. Die Gesellschaft brauche eine aktive, lebendige Sozialdemokratie. "Nur machen mich solche Interviews ratlos. So was hilft doch nicht, im Zweifelsfall schadet es sogar", prognostizierte der Parteilinke.

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Schäfer-Gümbel selbst nahm am Vormittag einen Teil seiner Kritik zurück und stellte klar, dass die Grünen in seinen Augen "eine wichtige politische Kraft seien". Manchmal gebe man ein Interview und sei am nächsten Morgen erschrocken über die Überschrift und die Kritik daran, schrieb der SPD-Mann auf Twitter. Die Grünen seien "eine Stütze" der Demokratie, die den Staat durch "gute Vorschläge" bereicherten.

Die AfD sei das "absolute Gegenteil". Er habe zum Ausdruck bringen wollen, dass man nicht nur über den Klimawandel diskutieren könne, wenngleich die Rettung des Klimas zentrale Aufgabe sein müsse. Genauso wenig sei es klug gewesen, in den vergangenen Jahren nur über Migration zu diskutieren.

Thorsten Schäfer-Gümbel: „Sie liefern gar nichts“

Der kommissarische SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel hat die Grünen scharf angegriffen und ihnen wie der AfD eine Verkürzung von Politik vorgeworfen. „Die Grünen versuchen im Moment, alles Elend dieser Welt zu reduzieren auf die Frage des Klimawandels“, sagte Schäfer-Gümbel in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Das sei genauso falsch wie die Politik der AfD, die die Migrationsfrage zum Übel der Welt erklärt habe. „Beides verkürzt Politik in grotesker Weise.“

Den in Umfragen enteilten Grünen warf Schäfer-Gümbel vor, die soziale Frage in Deutschland sei ihnen „schnurzegal“. „Es gelingt ihnen, im Moment gar keine Position mehr zu vertreten und sich so zum Objekt politischer Heilserwartungen zu stilisieren“, kritisierte der SPD-Übergangschef. Er prophezeite ihnen eine schmerzhafte Landung: „Das wird spätestens dann klar werden, wenn die Grünen im Bund in politische Verantwortung kommen. Dann müssen sie konkret werden – und darauf sind sie nicht vorbereitet.“

Sie redeten etwa beim Kohleausstieg nur über Jahreszahlen. „Aber sie liefern gar nichts – nicht beim Netzausbau, nicht bei der Technologieentwicklung, nicht in der Industriepolitik.“ Der bisherige SPD-Vizechef führt die Partei nach dem Rücktritt von Andrea Nahles bis zur Wahl einer neuen Spitze mit den Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer und Manuela Schwesig.

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