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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

© Kay Nietfeld/dpa

Update

Ergebnis eines Stresstests: Habeck lässt zwei AKW als Notreserve laufen

Bis Mitte April 2023 sollen die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim als Reserve zur Verfügung stehen. Die Union kritisiert die Entscheidung scharf.

Von den drei verbliebenen Atomkraftwerken in Deutschland sollen zwei bis Mitte April als Notreserve dienen. Das erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Montag während der Vorstellung der Ergebnisse eines zweiten Netzstresstests.

„Die beiden AKW Isar 2 und Neckarwestheim sollen bis Mitte April 2023 noch zur Verfügung stehen, um falls nötig, über den Winter einen zusätzlichen Beitrag im Stromnetz in Süddeutschland 2022/23 leisten zu können“, wird der Grünen-Politiker in einer von seinem Ministerium verbreiteten Mitteilung zitiert.

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Der zweite Netzstresstest komme zu dem Ergebnis, „dass stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem im Winter 22/23 zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können“, hieß es in der Mitteilung. Das dritte verbliebene Kraftwerk Emsland soll wie geplant zum Jahresende vom Netz genommen werden.

Habeck will die beiden süddeutschen Atomkraftwerke im Fall einer Inanspruchnahme als Reservekraftwerke definitiv weiterlaufen lassen und erst Mitte April abschalten. „Wenn die Entscheidung getroffen wird, die Atomkraftwerke werden gebraucht, dann werden sie gebraucht“, sagte der Grünen-Politiker. Dann liefen sie so lange, bis die Brennelemente verbraucht seien oder bis das Enddatum erreicht sei. Das Wiederanfahren werde ungefähr eine Woche dauern.

Habeck äußerte sich auch dazu, warum er keine Überführung in die Netzreserve für das Atomkraftwerk Emsland des Betreibers RWE will. Dieses Atomkraftwerk könne zwar einen gewissen Beitrag leisten. „Aber dieser Beitrag ist gemessen an den beiden süddeutschen Kraftwerken zu gering.“

„Am Atomausstieg halten wir fest“

„Am Atomausstieg, wie er im Atomgesetz geregelt ist, halten wir fest“, sagte Habeck. Atomkraft bleibe eine Hochrisikotechnologie. „Und die hochradioaktiven Abfälle belasten zig nachfolgende Generationen. Mit der Atomkraft ist nicht zu spielen.“

Eine pauschale Laufzeitverlängerung wäre auch im Hinblick auf den Sicherheitszustand der Atomkraftwerke nicht vertretbar. „Mit der Einsatzreserve tragen wir den Risiken der Atom-Technologie und der Sondersituation im Winter 22/23 Rechnung.“

Weil Russland weniger Gas liefert und angesichts stark angestiegener Energiepreise wird in Deutschland seit Monaten über einen möglichen längeren Betrieb der drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland diskutiert. Eigentlich war vorgesehen, dass die drei verbliebenen Meiler zum Jahresende vom Netz gehen.

Szenarien für Stresstest wurden nachgeschärft

Habeck sieht für das deutsche Energiesystem grundsätzlich eine große Stabilität. „Wir haben eine hohe Versorgungssicherheit. Wir sind ein Stromexportland. Wir haben eine große Netzstabilität“, sagte Habeck. „Wir haben genug Energie in Deutschland und versorgen unsere europäischen Nachbarn mit dieser Energie mit.“

Die am 17. Juli übermittelten Szenarien für den Stresstest hätten nachgeschärft werden müssen. „Wir haben immer gedacht, 300 Euro pro Megawattstunde Gas ist ein extremes Szenario. Während der letzten Wochen wurde der Preis über 300 Euro noch erreicht und wir hatten zwischendurch Spitzen von 350 Euro“, sagte er.

Die Trockenheit habe nicht nur in Südeuropa, sondern auch Nordeuropa Auswirkungen. „Entsprechend die Situation an den Kohlekraftwerken, so dass wir oder die Übertragungsnetzbetreiber während der Arbeit gesagt haben, wir müssen die Szenarien nachschärfen und das wurde auch getan“, sagte Habeck.

Spahn kritisiert Habecks Entscheidung

Die Spitze der Unionsfraktion kritisiert die Entscheidung der Bundesregierung als fatalen Fehler und parteipolitisch motiviert. „Diese drei Kernkraftwerke könnten in dieser Krise sicher, verlässlich und bezahlbar Energie, Strom für Deutschland liefern. Und das sollten sie auch mindestens noch in den nächsten zwei Wintern tun“, sagte der stellvertretende Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) am Montag.

Spahn nannte es bemerkenswert, dass das Kernkraftwerk im niedersächsischen Emsland anscheinend für einen Weiterbetrieb gar nicht in Betracht gezogen werde, obwohl es das neueste aller noch in Deutschland laufenden Kernkraftwerke sei. In Niedersachsen sei am 9. Oktober Landtagswahl. Die Grünen „schalten lieber klimaneutrale Kernkraftwerke ab und lassen dafür den Klimakiller Kohle in Zweifel mehr laufen. Damit geht bei den Grünen die Ideologie der Partei vor den Interessen unseres Landes“.

Spahns Amtskollege Steffen Bilger (CDU) ergänzte, die Entscheidung „ist unzureichend angesichts der explodierenden Strompreise und auch angesichts einer drohenden Stromlücke, die uns in Deutschland in diesem Winter, aber auch darüber hinaus vor erhebliche Probleme stellen kann“. Auch Europa erwarte etwas anderes von Deutschland.

CSU-Chef Markus Söder zeigt sich enttäuscht von den Ergebnissen des AKW-Stresstests. „Es ist eine Entscheidung gegen jede Vernunft und zum Schaden unseres Landes“, twitterte Bayerns Ministerpräsident am Montag. „Robert Habeck nimmt das Risiko eines Blackouts und weitere Anstiege beim Strompreis in Kauf“, kritisierte Söder. „Nach der Gasumlage der nächste schwere Fehler.“

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Zuvor hatte nicht nur die oppositionelle Union, sondern auch die an der Regierung beteiligte FDP für einen Fortbetrieb der Atomkraftwerke geworben. Die Union warnt seit Wochen vor möglichen Stromausfällen im Winter und fordert, auch drei weitere, im vergangenen Jahr abgeschaltete Atomkraftwerke, zu reaktivieren.

„Es macht keinen Sinn, jetzt über Reserve-, Stand-by-Betriebe oder etwas ähnliches zu reden“, sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der auch CDU-Vorsitzender ist, am Montag. Vielmehr müsse es jetzt heißen: „Volle Kraft voraus aller drei Kernkraftwerke. Einschließlich neuer Brennstäbe, so dass diese Kernkraftwerke noch möglicherweise drei bis vier Jahre am Netz bleiben können, bis wir diese Krise hinter uns haben.“

Merz verlangte von der Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD): „Bitte kein Flickwerk. Bitte keine Ausflüchte. Bitte keine Ideologie, sondern wirtschaftlich und energiepolitisch richtige Entscheidungen.“ Der Fraktionschef forderte: „Und die können nur lauten: Volle Leistung dieser Kraftwerke am Netz und im Markt.“

Auch die FDP ist unzufrieden damit, dass nur zwei von drei möglichen Atomkraftwerken als Reserve vorgehalten werden sollen. „Es ist eine Frage der Vernunft, jetzt jede klimaneutrale Kilowattstunde zu ermöglichen. Denn die Gaskraftwerke treiben die Preise“, schrieb FDP-Vize Johannes Vogel am Montag über Twitter. Vogel weiter: „Habecks Notreserve ist ein Schritt, aber erscheint auch als politischer Notausgang. Die FDP bleibt dran: Für den Weiterbetrieb der 3 Kernkraftwerke!“

Auch Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hatte am Montag unabhängig vom Ergebnis der von Habeck präsentierten Prüfung gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" einen Weiterbetrieb aller drei Atomkraftwerke gefordert.

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"In diesen Zeiten sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, den Strompreis für die Menschen und die Betriebe zu reduzieren. Das ist aus meiner Sicht ein wirtschaftspolitischer Stresstest, der neben dem energiepolitischen Stresstest auch eine Rolle spielen muss", sagte Lindner der "SZ". Es spreche allerdings auch "viel dafür, dass zur Netzstabilität die drei Atomkraftwerke weiterbetrieben werden sollten".

Man sollte nicht zu wählerisch sein, sondern alles ermöglichen, was physikalisch und ökonomisch das Leben leichter mache, forderte der FDP-Chef. Genutzt werden müsse "alles von der Exploration heimischer Öl- und Gasvorkommen, die inzwischen wirtschaftlich sind angesichts der Weltmarktpreise, den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke bis mindestens in das Jahr 2024 hinein über die Mobilisierung aller Kapazitäten bei der Kohle bis hin zu allen Farben des Wasserstoffes", erklärte er gegenüber der "SZ"

Christian Lindner bei einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Koalitions-Beratungen über finanzielle Entlastungen der Bürger in Deutschland im Bundeskanzleramt.
Christian Lindner bei einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Koalitions-Beratungen über finanzielle Entlastungen der Bürger in Deutschland im Bundeskanzleramt.

© IMAGO/Future Image

Bundesumweltministerin Steffi Lemke stellte sich hinter die Entscheidung, zwei der drei verbliebenen Atomkraftwerke als Notreserve vorzuhalten. „Ich habe immer gesagt, dass wir das Ergebnis des Stresstests nüchtern bewerten, wenn es vorliegt“, teilte die Ministerin am Montagabend mit.

„Angesichts der schwierigen Lage ist der Vorschlag Robert Habecks, eine Reservekapazität für den Notfallbetrieb vorzuhalten, vernünftig. Damit wird die Laufzeit der Atomkraftwerke nicht verlängert, und es würde gleichzeitig eine verantwortliche Lösung für die Gewährleistung der Energiesicherheit vorgenommen für ein Worst-Case-Szenario.“

Lemke erklärte weiter: „Für das Bundesumweltministerium als Bundesatomaufsicht hat auch für den Fall eines befristeten Notbetriebs nach dem 31.12.2022 die Gewährleistung der Sicherheit oberste Priorität.“

SPD-Chefin Saskia Esken bekräftigte am Montag, dass ihre Partei höchstens einem Streckbetrieb zustimmen würde. Zu einer mehrjährigen Laufzeitverlängerung oder gar einer Wiederinbetriebnahme alter Meiler sei die SPD "auf keinen Fall bereit", sagte sie in Berlin. (Tsp, dpa, AFP)

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