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Schwere Verkehrsunfälle gehören zum Alltag

© dpa / Marvin Riess

Harte Urteile gegen Raser: Die Tragik liegt woanders

Dass Justiz und Politik für Rennen im Straßenverkehr empfindlicher geworden sind, ist erfreulich. Aber es lenkt vom täglichen Tod ab, für den alle gemeinsam verantwortlich sind.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Sieben Jahre, drei Monate. Unmittelbar bevor das Bundesverfassungsgericht das Mord-Urteil gegen einen der Berliner Ku’damm-Raser bestätigte, hatte das Landgericht Neuruppin einen 24-Jährigen für seine Amokfahrt verurteilt. Weil er zeigen wollte, was sein 510-PS-Bolide drauf hat, starben zwei junge Frauen, mit einer von ihnen ein ungeborenes Kind. Zwei Begleiter des Prahlers wurden schwer verletzt.

Einmal Lebenslang für einen Toten, einmal sieben Jahre für zwei. Klar, eine gerechte Strafe lässt sich nicht mit den Grundrechenarten ermitteln. Ihr Maß richtet sich nach Umständen und Motiven in jedem Einzelfall. Bei den Ku’damm-Rasern erkannten die Gerichte darauf, dass die Männer, die gegeneinander „Stechen“ fuhren, am Steuer jede Tötungshemmung verloren hätten. So kam es zu den Urteilen wegen Mordes und Mordversuchs.

Auch in Neuruppin gab es zunächst eine Mordanklage, die dann aber fallen gelassen wurde. Der Täter muss, auch wenn es zynisch klingt, einen Tick besonnener gefahren sein. Sein Urteil erging wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge und fahrlässiger Körperverletzung.

Die Automobilität hat eine Parallelwelt entstehen lassen, in der Menschen offenbar Dinge tun, die sie bei nüchterner Gefahrenabwägung niemals tun würden.

Jost Müller-Neuhof, Rechtspolitischer Korrespondent

Das sind keine Widersprüche. Die Fälle weisen nur Spannbreiten in ihrer Bestrafung auf, von denen man sich fragen kann, ob die Situationen im Straßenverkehr und die psychischen Antriebskräfte in den Köpfen der Fahrzeuglenker ihnen wirklich entsprechen. Die Automobilität hat eine Parallelwelt entstehen lassen, in der Menschen offenbar Dinge tun, die sie bei nüchterner Gefahrenabwägung niemals tun würden. Zum Beispiel zu schnelles, leichtsinniges, nicht selten aggressives Fahren.

Politik und Justiz sind in den Raser-Fällen empfindlicher geworden. Das ist erfreulich. Weniger gut wäre, wenn dies dazu führte, die eigentliche Tragik - den täglichen Straßentod - auf diese Kategorie Täter abzuwälzen. Sollte nicht, wer haarscharf und mit Stinkwut im Bauch an ihn störenden Radfahrern vorbeirast, auch mit einem Urteil wegen Mord oder Totschlag rechnen müssen, wenn ihm einer unter die Reifen kommt? Dazu hat man bislang wenig gehört aus den Gerichtssälen. Da gibt es kaum Beweise, erst recht keine Geständnisse.

Harte Urteile gegen Raser verschaffen hier keine Entlastung. Es ist ein systemisches Versagen. Wir alle sind für beides verantwortlich: Die Toten und die Raser.

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