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Herero in Namibia beim Gedenken an im Völkermord getötete Vorfahren.

© picture alliance / dpa | Jürgen Bätz

Herero und Nama protestieren gegen Deutschland: Muss das Völkermord-Abkommen mit Namibia neu verhandelt werden?

Herero und Nama demonstrieren in Namibia gegen das „Aussöhnungsabkommen“ mit Deutschland. In beiden Ländern werden Forderungen nach Neuverhandlungen lauter.

Das Eisentor kann sie nicht lange aufhalten. Am Anfang sind es nur wenige Menschen, die über das mannshohe Gitter steigen. Doch schnell werden es mehr. Wie Videoaufnahmen vom Dienstag zeigen, drängen sich kurze Zeit später Hunderte Männer und Frauen vor den Stufen des Nationalparlaments in der namibischen Hauptstadt Windhuk. Manche haben Stöcke in der Hand, andere Trillerpfeifen im Mund. Sie sind gekommen, um ihrem Ärger Luft zu machen – ihrer Wut auf Deutschland. Mit dabei ist auch Esther Muinjangue, die Vize-Gesundheitsministerin des Landes. „Wir werden den Druck auf Deutschland aufrecht erhalten“, ruft sie.

Der Grund für den Ärger ist das „Aussöhnungsabkommen“, auf das sich die Bundesrepublik und Namibia im Mai geeinigt haben. Darin stellt Deutschland eine offizielle Entschuldigung für den Völkermord an rund 100.000 Herero und Nama in der einstigen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ sowie 1,1 Milliarden Euro „Wiederaufbauhilfe“ in Aussicht – was viele Nachfahren der Opfer als „Beleidigung“ ablehnen.

Die Demonstration in Windhuk ist die jüngste Eskalation im Genozid-Streit zwischen Deutschland und Namibia – und nährt die Sorgen, dass es doch nicht so schnell zu einer „Aussöhnung“ kommen könnte, wie man es sich in Berlin erhofft hatte. „Die Proteste zeigen die Verbitterung und die Spaltung in der namibischen Gesellschaft“, sagt der Hamburger Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer.

Eigentlich wollte Außenminister Heiko Maas (SPD) den Deal noch in dieser Wahlperiode unterschreiben. Anschließend sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem Parlament in Windhuk im Namen der Deutschen um Vergebung bitten.

„Unsere Regierung ist nicht zufrieden“

Doch ob daraus in absehbarer Zeit etwas wird, ist fraglich. In beiden Ländern wird inzwischen gefordert, den Deal neu aufzurollen. „Die Verhandlungen waren teilweise enttäuschend und unsere Regierung ist nicht zufrieden mit den angebotenen 1,1 Milliarden Euro“, sagt der namibische Verteidigungsminister Frans Kapofi. Seine Regierung stehe „in weiteren Verhandlungen mit Deutschland“. Ob das stimmt oder er nur Kritiker des Abkommens besänftigen will, ist unklar. Das Auswärtige Amt reagierte zunächst nicht auf eine Tagesspiegel-Anfrage.

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Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Ottmar von Holtz fordert, das Abkommen nachzuverhandeln. „Am besten so schnell wie möglich und unter Beteiligung aller Opfergruppen“. Fast sechs Jahre hatten Deutschland und Namibia über den Deal gestritten – stets begleitet von scharfer Kritik wichtiger Herero- und Nama-Verbände, die von den Gesprächen ausgeschlossen waren.

Dass die nun in Windhuk lautstark protestieren, sei zu erwarten gewesen, sagt der Ex-CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der als Sondergesandter der Bundesregierung für das Abkommen zuständig war. Die Verhandlungen seien aber abgeschlossen. Direkte Entschädigungszahlen an die Nachfahren der Genozid-Opfer, wie es die Demonstranten fordern, schließt die Bundesregierung aus. Es sei jedoch denkbar, „dass ein Teil des Geldes vorgezogen wird, damit das so schnell wie möglich eine Wirkung entfalten kann“, sagt Polenz. Von Holtz glaubt nicht daran. „Das Geld ist viel zu wenig.“

Steinmeier hofft auf schnelle Einigung

Die Mittel sollen in den kommenden 30 Jahren in den Gebieten der Herero und Nama in Bildung und Infrastruktur fließen. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es jedoch nicht. „Die Namibier haben also nichts in der Hand, um das Geld einzuklagen“, sagt Zimmerer. Viele Herero und Nama fürchten, dass die „Wiederaufbauhilfe“ nie bei ihnen ankommt. Sie vertrauen weder der eigenen noch der deutschen Regierung.

Dieses Vertrauen herzustellen, das schaffe das Abkommen nicht, meint Zimmerer. „Der Vertrag ist kein Versöhnungs-, sondern ein Spaltungsabkommen.“ Es habe Teile der Opfergruppen brüskiert. „Jetzt überlässt es die Bundesrepublik der namibischen Regierung, dieses Problem zu lösen.“ Die Regierung in Windhuk und ihr nahestehende Herero und Nama werben teils verzweifelt für den Deal. Sie wollen ihn schnell ratifizieren. Man könne ja später noch einmal verhandeln, heißt es. Doch ob sich Deutschland darauf einlassen würde?

Bundespräsident Steinmeier hofft auf einen baldigen „einvernehmlichen Abschluss“, wie er am Dienstag in Berlin sagte. Sollte sich sein Wunsch erfüllen, könnte er vielleicht doch bald nach Windhuk reisen. Dass die Herero und Nama dann wieder vor dem Parlament demonstrieren werden, gilt als sicher.

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