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Politik: Hilfe auf Umwegen

Trotz internationalen Boykotts der Hamas-Regierung erhielten die Palästinenser 2006 mehr Geld als zuvor

Stand:

Die internationale Hilfe für die Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland ist im abgelaufenen Jahr um über 20 Prozent gestiegen – von einer Milliarde US-Dollar im Jahr 2005 auf über 1,2 Milliarden. Und dies trotz des internationalen Boykotts der früheren Hamas-Regierung.

Wie das Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten der UN (OCHA) mitteilte, wuchs vor allem die Notfallhilfe aus Europa, von den UN und aus arabischen Staaten. Die Gelder gingen entweder direkt an regierungsunabhängige Organisationen und Projekte oder flossen durch Kanäle, die extra zur Umgehung der Regierung angelegt wurden und meist in die präsidialen Konten von Mahmud Abbas mündeten.

Wichtigster Geldspender war und ist die EU, die zur Umgehung der früheren Hamas-Regierung den „Temporären Internationalen Mechanismus“ (TIM) geschaffen hat. Durch diesen sind seit Juni 2006 bis zum Februar dieses Jahres 312 Millionen Dollar geflossen. Damit wurde der Unterhalt von Krankenhäusern ebenso bezahlt wie die Notfall-Energieversorgung nach dem israelischen Bombardement des Kraftwerkes von Gaza. Auch wurde mit dem Geld geholfen, den 77 000 öffentlichen Bediensteten zumindest Teile ihrer Gehälter auszuzahlen.

TIM half nach eigenen Angaben rund einer Million Menschen vor allem im Gazastreifen mit Direktzahlungen. Laut TIM-Chef Mario Mariani stiegen die europäischen Zahlungen im Jahr 2006 um mehr als 30 Prozent und beliefen sich auf rund 700 Millionen Dollar. Die UN wiederum planten Ausgaben in Höhe von 216 Millionen Dollar für die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und für soziale Dienstleistungen. Nachdem der Boykott in Kraft getreten war, erhöhten die UN ihre humanitäre Hilfe 2006 auf 384 Millionen Dollar. Für 2007 sind gar 454 Millionen Dollar geplant.

Die Summe der Hilfsgelder aus arabischen Staaten und dem Iran kann man nur schätzen. Sie dürfte im dreistelligen Millionenbereich liegen. Zwar versuchte Israel, diesen Geldfluss über arabische Banken zu unterbinden, doch es ist zu bezweifeln, dass das hundertprozentig gelungen ist. Nach den Aussagen des bisherigen Hamas-Finanzministers Samir Abu Eischa haben Ministerpräsident Ismail Hanija und andere Amtsträger rund 68 Millionen Dollar Bargeld in Koffern durch den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen gebracht.

Unter dieser Grenze wurden und werden in unzähligen Tunneln vor allem Waffen im Wert von vielen Millionen Dollar geschmuggelt. Experten meinen, dass zwar der Iran vieles gratis geliefert habe, dass sich dennoch die illegalen Rüstungsausgaben in absurden Höhen bewegen. Dies würde erklären, weshalb trotz der massiven Erhöhung der ausländischen Hilfsgelder und bei gleichzeitigem weiteren Rückgang der internen Einnahmen – etwa aus Steuern – das Bruttoinlandsprodukt um 6,6 Prozent im vergangenen Jahr gefallen ist.

Zu Recht beklagen die Palästinenser, dass Israel nach wie vor Riesensummen zurückhält, um sie politisch in die Knie zu zwingen. Zwar hat Jerusalem das Versprechen von Ministerpräsident Ehud Olmert eingehalten, das dieser Mahmud Abbas beim jüngsten Gipfel gegeben hatte: Überweisung von rund 100 Millionen Dollar zurückgehaltener Steuereinnahmen von Palästinensern und Zöllen. Doch der neue Informationsminister Mustafa Barghuti forderte schon in seinen ersten Erklärungen und Interviews weitere 600 Millionen Dollar, die den Palästinensern zustünden.

Finanzminister Salam Fayyad ist die entscheidende Figur in der neuen Regierung. Der international anerkannte Finanzfachmann genießt nicht nur höchstes Ansehen in den USA, wo er ausgebildet wurde. Er war in der letzten Fatah-Regierung als Finanzminister angetreten, um den Korruptionsstall auszumisten und tat dies mit erheblichem Erfolg. Nach den letzten Wahlen im Januar 2006 berief ihn Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zum präsidialen Finanzberater. In den nächsten Wochen wird er durch Europa reisen – mit guten Argumenten: Für die EU-Geldgeber ändere sich praktisch nichts. Er, der Saubermann, behalte die Kontrolle über die Millionenspenden – ob bisher als Finanzberater oder nun eben als Finanzminister.

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