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Krieg in der Ukraine: Hoffen auf Evakuierungen in Mariupol, Sorge um Odessa – das geschah in der Nacht
Ein Sanitäter in Mariupol bittet die Türkei um Hilfe. Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert eine Art Marshall-Plan für die Ukraine. Ein Überblick.
Stand:
In der schwer zerstörten ukrainischen Hafenstadt Mariupol könnten am Freitag weitere Zivilisten aus dem umkämpften Werk Azovstal evakuiert werden. Das teilten sowohl UN-Generalsekretär António Guterres als auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstagabend mit. Einzelheiten wurden nicht genannt.
„Es ist unsere Politik, nicht über die Details zu sprechen, bevor sie abgeschlossen ist, um einen möglichen Erfolg nicht zu untergraben“, sagte Guterres. Nach ukrainischer Darstellung wurden bereits Busse in Richtung Mariupol in Marsch gesetzt.
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In dem Stahlwerk, der letzten Bastion der Verteidiger von Mariupol, warten nach ukrainischen Angaben noch rund 200 Zivilisten auf eine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. Bei zwei vorherigen Evakuierungen unter Vermittlung der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz wurden etwa 500 Menschen aus Mariupol und Umgebung auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet nach Saporischschja geholt.
Die Lage im Überblick:
- Ein Sanitäter aus dem Werk Azovstal bittet den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan um Unterstützung. „Beenden Sie diesen Alptraum“, bat der Mann, der sich als muslimischer Krim-Tatare mit dem Namen Hassan zu erkennen gab, in einer am Donnerstagabend veröffentlichten Videobotschaft. „Hier sterben Menschen, die einen durch Kugeln, die anderen vor Hunger, die Verwundeten aus Mangel an Medikamenten, unter schrecklichen Bedingungen.“ Er bat den türkischen Staatschef um Vermittlung in dem Konflikt, um Überwachung der Evakuierung der Menschen aus dem Werk, auch von ukrainischen Militärs.
- Russland will nach Einschätzung der ukrainischen Regierung das belagerte Stahlwerk bis Montag erobern. Präsident Selenskyjs Berater Olexij Arestowytsch sagte am Donnerstagabend, das Azovstal-Werk solle zum 77. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland am 9. Mai erobert werden. „Das schönste Geschenk an einen Herrscher ist der Kopf seines Gegners. Ich erkenne klar das Bestreben, Azovstal zu erobern und Putin zum 9. Mai den „Sieg“ zu schenken“, wurde er von der Agentur Unian zitiert. „Sie wollen das unbedingt, aber mal sehen, ob ihnen das gelingt“, sagte Arestowytsch. Die schweren Angriffe auf das Gelände des Stahlwerks ließen die Absichten des russischen Militärs klar erkennen. Zum Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs, der in Russland am 9. Mai gefeiert wird, ist in Moskau am Montag eine große Militärparade geplant. Für die Feier strebt Russland einen militärischen Erfolg in der Ukraine an.
- Geheimdienstinformationen der USA haben nach Medienberichten dem ukrainischen Militär dabei geholfen, das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, den Raketenkreuzer „Moskwa“ zu versenken. Die US-Regierung habe aber keine Kenntnis über die Pläne der Ukraine gehabt, berichteten mehrere US-Medien wie die „Washington Post“ oder die „New York Times“ am Donnerstagabend (Ortszeit) unter Berufung auf nicht namentlich genannte Personen, die mit der Angelegenheit vertraut seien. Die „New York Times“ hatte zuvor schon berichtet, dass sich die ukrainische Armee bei ihrem Widerstand gegen Russland teilweise auf Informationen aus den USA beruft. Die ukrainische Armee nimmt etwa für sich in Anspruch, seit Beginn des russischen Angriffs zwölf russische Generäle durch gezielten Beschuss getötet zu haben. Pentagon-Sprecher John Kirby dementierte diesen Bericht.
- Ungeachtet der massiven finanziellen Unterstützung des Westens für die Ukraine hält Präsident Selenskyj an seinen Gedanken über eine Art Marshall-Plan für sein Land nach dem Krieg fest. Die internationale Geberkonferenz in Warschau, die wenige Stunden zuvor etwas über sechs Milliarden Euro Unterstützung für Kiew zusammengebracht hatte, sei „ein Element unseres Schutzes, ein Element des Schutzes für ganz Europa“, sagte Selenskyj in einer Videoansprache. Das Schicksal der Ukraine und Europas entscheide sich „nicht nur auf dem Schlachtfeld“, sondern auch im wirtschaftlichen Bereich, beim Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg. Die in Warschau zugesagten Milliarden seien jedoch „nur ein Teil dessen, was wirklich notwendig ist, um das normale Leben in dem gesamten Gebiet wiederherzustellen“. „Deshalb brauchen wir ein modernes Analogon des Marshall-Plans für die Ukraine.“
- Die russische Armee hat in ihrem Krieg gegen die Ukraine nach den Worten von Präsident Selenskyj bisher 2014 Raketen gegen diverse Ziele eingesetzt. Darüber hinaus seien seit Beginn der Invasion der russischen Armee in die Ukraine am 24. Februar bereits 2682 Luftangriffe registriert worden.
Das ukrainische Militär hält eine russische Landungsoperation an der Schwarzmeerküste in der Umgebung der Hafenstadt Odessa für möglich.
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Nach einer Mitteilung der regionalen Militärführung werde das Gebiet verstärkt von russischen Aufklärungsdrohnen überflogen, berichtete die Zeitung „Ukrajinska Prawda“. Zudem sei die russische Marine vor dem von ukrainischer Seite kontrollierten Küstenabschnitt weiterhin stark präsent.
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Die Reiselust deutscher Politiker in Richtung Kiew nimmt Fahrt auf. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Donnerstagabend in Berlin an, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Kürze die ukrainische Hauptstadt besuchen wird. Ein Termin wurde vom Auswärtigen Amt nicht genannt. Am Wochenende wird bereits Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in der Ukraine erwartet. (dpa)
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