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Das Getreideabkommen aus dem vergangenen Jahr ermöglicht den Export von ukrainischem Getreide – bis jetzt.

© AFP/YASIN AKGUL

Hunger als Druckmittel: Deutsche Politiker warnen vor weltweitem Einfluss Russlands

Die Ernte in der Ukraine dürfte in diesem Jahr noch schlechter ausfallen. Auf den Weltmärkten bringt dies einen Vorteil für Russland. Besonders Afrika wird zum Kampfplatz.

Der Ukraine-Krieg geht ins zweite Jahr – und die Lage der Landwirtschaft in der Ukraine droht sich weiter zu verschlechtern. Das bringt einen handelspolitischen und diplomatischen Vorteil für Russland, nicht zuletzt in afrikanischen Ländern. Politiker in Deutschland fordern, dass Russland den Getreideexport nicht als Druckmittel benutzen dürfe.

Als der Ukraine-Krieg vor einem Jahr begann, bekamen das Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland vor allem in Form von drastisch gestiegenen Preisen für Sonnenblumenöl zu spüren. Inzwischen sind die Preise wieder gesunken, weil sich deutsche Importeure nach dem Wegfall zwischenzeitlich auf dem Weltmarkt anderswo mit Sonnenblumenöl eindeckten.

„Anders als im vergangenen Jahr hat sich die Situation durch global gestiegene Anbauflächen und Erträge entspannt, was kurzfristige Lieferengpässe und Preisexplosionen bei Ölsaaten derzeit unwahrscheinlich erscheinen lässt“, sagte Momme Matthiesen, Geschäftsführer des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland, dem Tagesspiegel.

64,8
Millionen Tonnen könnte die ukrainische Ernte von Getreide und Ölsaaten in diesem Jahr betragen.

Doch in der Ukraine ist die Lage in der Landwirtschaft prekär. Jüngst erklärte der ukrainische Getreideverband (UGA), dass die Ernte von Getreide und Ölsaaten in diesem Jahr voraussichtlich auf 64,8 Millionen Tonnen zurückgehen werde. Im Vorjahr waren es noch 72,7 Millionen Tonnen gewesen. Der Grund für den neuerlichen Rückgang: in der ukrainischen Landwirtschaft fehlt es an Personal, Geld, Energie und Saatgut.

Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums betonte, dass das Ministerium über die UN-Welternährungsorganisation FAO die Kleinbauern in den Kriegsgebieten bei der Finanzierung von Saatgut unterstütze. Mit einer Summe von neun Millionen Euro finanziert das Agrarministerium darüber hinaus auch Generatoren zur Stromversorgung landwirtschaftlicher Betriebe. 

Die Welternährungslage bleibt kritisch.

Matin Qaim, Agrarökonom

Im vergangenen Jahr war der westlichen Staatengemeinschaft schon wenige Wochen nach dem Beginn des russischen Überfalls klar geworden, dass Kremlchef Wladimir Putin den Hunger auch als Waffe einsetzt. Gezielt ließ er in der Ukraine auch landwirtschaftliche Betriebe zerstören. Auch in den Gebieten im Osten des Landes, die inzwischen von ukrainischen Truppen zurückerobert wurden, ist ein Anbau kaum möglich, weil die Kampfgebiete vermint sind.

Auf den Weltmärkten bringt dies einen Vorteil für Russland, das gemeinsam mit der Ukraine zu den größten Weizenexporteuren gehört. „Auf den Weltmärkten ist die Lage weiterhin angespannt, die Mengen sind knapp, die Preise sind in längerfristiger Betrachtung nach wie vor auf hohem Niveau und durch viel Unsicherheit und Volatilität geprägt“, sagte der Agrarökonom Matin Qaim. „Die Welternährungslage bleibt kritisch, und die Hungerzahlen sind höher als in den vergangenen Jahren.“

Besonders betroffen sind Staaten am Horn von Afrika, wo wegen des Klimawandels ohnehin schon Nahrungsmittelknappheit herrscht.

Inzwischen ist Afrika zu einem diplomatischen Kampfplatz zwischen dem Westen, Russland und China geworden. Im vergangenen November schlug Putin in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, russisches Getreide an Dschibuti, Somalia und Sudan zum Nulltarif zu liefern. Die Türkei überwacht das Getreideabkommen, das der Ukraine gegenwärtig die Ausfuhr von Getreide über das Schwarze Meer sichert, aber auch den Export russischer Güter erleichtert.

Anwohner im ukrainischen Charkiw versorgen sich mit Brot, das von einer Hilfsorganisation verteilt wird.
Anwohner im ukrainischen Charkiw versorgen sich mit Brot, das von einer Hilfsorganisation verteilt wird.

© AFP/SERGEY BOBOK

Nach Einschätzung von Susanne Mittag, der landwirtschaftlichen Sprecherin der SPD-Fraktion, ist es noch nicht ausgemacht, ob Russland seinerseits die Getreideexporte in afrikanische Länder steigern und damit auch politischen Einfluss in der Region nehmen werde.

„Russland hat selber Versorgungsprobleme im Lebensmittelbereich“, sagte sie. Dennoch müsse man die Versorgungslage etwa am Horn von Afrika genau beobachten. „Es geht in erster Linie darum, diese Länder bei der Selbstversorgung zu unterstützen“, sagte die SPD-Politikerin.

In Ländern wie Somalia ist die Versorgungslage besonders schlecht.
In Ländern wie Somalia ist die Versorgungslage besonders schlecht.

© AFP/MUSTAFA ABDI

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter erinnerte derweil daran, dass Putin in seiner Rede zur Lage der Nation jüngst eine deutliche Steigerung der russischen Getreideexporte angekündigt hat. „Dabei handelt es sich insbesondere um gestohlenes Getreide aus der Ukraine, welches Russland nutzt, um seinen weltweiten Einfluss auszubauen“, so Kiesewetter.

Zudem beschuldige Moskau den Westen, dass der Getreidemangel insbesondere in Afrika seinen Ursprung in den Sanktionen gegen Russland habe. „Wir müssen alles tun, um gegen dieses falsche Narrativ anzukämpfen“, sagte der CDU-Politiker weiter.

Damit dies gelinge, müsse die Versorgungssicherheit in den afrikanischen Ländern sichergestellt werden – „und zwar mit Getreide aus Staaten der regelbasierten Ordnung, nicht mit gestohlenem Getreide der Ukraine unter russischer Flagge“, so Kiesewetter. Ansonsten sei ein „Stimmungsumschwung in den Ländern unseres Nachbarkontinents zugunsten Russlands“ zu befürchten.

Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, hat Russlands Engagement in Afrika seit Beginn seines Angriffskrieges gegen die Ukraine deutlich zugenommen.

„Das Ziel ist klar: In einer Zeit, in der Russland international weitgehend isoliert ist, versucht es, afrikanische Staaten auf seine Seite zu ziehen und seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf dem Kontinent auszubauen“, sagte Roth. „Bei einigen afrikanischen Staaten wie Mali hat Russland damit leider Erfolg“, so das Fazit des SPD-Politikers. Bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung in dieser Woche fand sich Mali - anders als noch beim letzten Votum - an der Seite Russlands wieder.

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