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Neonazis im Web: "Ich höre da gar nicht mehr hin"

Tagesspiegel Online sprach mit dem Rechtsextremismus-Experten Burkhard Schröder über Neonazis auf Youtube, hysterische Meldungen und den Sinn von Verboten.

Herr Schröder, Web 2.0 mit seinen Möglichkeiten ist auch Rechtsextremen nicht entgangen. Broadcast yourself, heißt es bei Youtube. Was auch jede Menge Neonazis tun. Wie bewerten Sie diese Aktivitäten?

Das ist nicht Neues, weil Rechtsextreme und verwandte Gruppen natürlich alle Medien nutzen. Youtube erreicht eine eher private Klientel, Leute, die - wie beim Fernsehen - herumzappen. Die knappen Botschaften, die dort zu sehen sind, entsprechen nicht dem, was politische Gruppen des rechten Spektrums tun: Wenn man Einstellungen verändern will, dann muss man die mit einem bestimmten Lebensgefühl unterfüttern. Das geht über Musik. Das könnte über Youtube geschehen, als Anreißer etwa. Die direkte politische Botschaft von Neonazis ist natürlich nicht so beliebt und spricht im Grunde genommen nur die an, die sowieso schon rechtsextrem sind. Alle anderen werden eher abgeschreckt. Wenn ich professionell eine bestimmte Meinung unterjubeln will, dann mache ich das etwas dezenter. Es ist bei Youtube so ähnlich wie auf den einschlägigen Websites. Ich glaube, die Strategie selbst ist eine "Normalität", aber kein professionelles Vorgehen. Nazis verhalten sich wie andere auch.

Neonazis haben schon immer auf ihren Websites ihre politischen Gegner oder die, die sie dafür halten, denunziert, zum Beispiel in Form von Fotos. Es kann für einen Jugendlichen in einer Kleinstadt unangenehm sein, wenn dieser etwas gegen Rechte macht und sich dann auf Video - vielleicht per Handy aufgenommen - bei Youtube wiederfindet. Das kann man nicht verhindern, allerdings ist das umgekehrt genauso möglich. Youtube behält sich wie jede US-amerikanische Firma vor, bestimmte "anstößige" Inhalte zu löschen. Extreme Politische Meinungen werden in den USA toleriert, mehr als zum Beispiel nackte Haut. Ich glaube, die Grundtendenz ist: Neonazis bei Youtube sind nicht Neues und auch nicht gefährlicher als sonst.

Also keine neue Strategie?

Nein, das Wort "neue Strategie" oder "neue Qualität" ist ein Textbaustein, den ich seit 15 Jahren in regelmäßigen konjunkturellen Zyklen höre, aus den immer gleichen Meldungen des Verfassungsschutzes: Neonazis werden immer böser, nutzen immer öfter das Internet... Ich höre da schon gar nicht mehr hin. Anfang der 90er Jahre wurde behauptet: Neue Qualität - Neonazis nutzen Mailboxen. Bombenbauanleitungen... Das war ja alles ganz fürchterlich. Später: Neonazis nutzen das Internet, und jetzt aufgesplittert: Neonazis nutzen Foren in den USA, jetzt nutzen Neonazis auch flickr.com, und jetzt nutzen Neonazis Web 2. Neonazis haben auch schon einen Laden in Second Life und verkaufen dort Zyklon B und Hitlerjungen in Avatar-Form. Man sieht aber dort im Kleingedruckten, wenn man die Propagandalisten durchgeht, Devotionalien aus dem Zweiten Weltkrieg, dass das Amerikaner sind, weil da solche Rechtschreibfehler drin sind, die nur jemand macht, der Englisch spricht.

Warum ist das so?

Weil die Botschaft sehr marginale Gruppen anspricht, und wenn sie direkt ist, und gleich erkannt wird, ändert sie keine Meinung. Dann könnte man sich auch auf der Website der NPD was anhören und ansehen. Wenn ich etwas darüber erfahren will, gehe ich zum Original und zappe nicht auf Youtube hin und her. Es ist nur eine Zielgruppe, die sich vielleicht zufällig dafür interessiert. Wenn ein Rechter jetzt eine ganz glasklare Botschaft hat, und die auch genau an die Kundschaft bringen will, die angesprochen werden soll, dann stellt er eben ein Video auf die Website der NPD oder sonst wo. Warum sollte man das denn per Video verstreuen, da die Wahrscheinlichkeit relativ klein ist, dass jemand sagt: "Aha, das wollte ich doch schon immer mal angucken."

Die Klientel, die sich im Internet politische Meinungen abholt, ist sehr heterogen. Jugendliche sind Internet-affiner und betrachten das Medium so selbstverständlich wie das Handy. Wenn die NPD ganz darauf verzichten würde oder andere ultrarechte Gruppen, dann würden sie gar keine Jugendlichen mehr ansprechen. Die haben ja schon große Probleme, das Wort Internet zu benutzen, weil es für sie "Weltnetz" heißt, und Handy ist ja auch kein altdeutsches Wort. Deswegen machen sie sich bei den Jugendlichen ein bisschen lächerlich, weil sie da hin- und herlavieren. Wer eine "Heimseite im Weltnetz" hat, der erscheint verschnarcht, und wer im Braunhemd als Avatar bei SecondLife auftaucht, erzeugt wahrscheinlich nur virtuelles Gelächter. Man kann nicht die Ikonographie des 21. Jahrhunderts mit einer Weltanschauung des 19. Jahrhunderts zusammenbringen. Die alarmistische Meldung "jetzt nutzen die Neonazis das auch" ist einfach fehl am Platz.

Aus nicht so routinierter Sicht würden Leute argumentieren: Da werden welche gefährdet, die das sonst gar nicht abgekriegt hätten, die wissen gar nicht, wie sie damit umgehen sollen...

Es werden doch keine Leute gefährdet, weil sie zufällig auf Neonazi-Propaganda stoßen. So funktioniert das nicht. Dann könnte ich jetzt 85 linke Filme draufstellen, und dann hätten wir durch die schiere Masse eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Leute zu Linken würden. Es ist nicht so, dass Leute eine politische Meinung durch das Internet bekommen. Sie haben ein Lebensgefühl, zu dem eine politische Meinung passt und versuchen, ihre Einstellung zu verstärken. Jeder nimmt nur das wahr, was er hören will. Sonst könnte die Werbeindustrie ja jeden zwingen, eine politische Meinung zu übernehmen. Nach den heutigen Möglichkeiten des Web 2.0 erscheint es mir als eine ziemlich primitive Methode, nach Leuten zu fischen, die noch nie was davon gehört haben.

Wenn es eine Strategie gäbe - ich will ja jetzt keinen Rezepte verraten für Neonazis - müsste man wie eine Werbeagentur vorgehen: Eine Marke bauen, die Marke sozusagen mit virtuellen Loyalitäten umgeben, damit sich eine Online-Community bildet. Das geschieht aber alles nicht. Es ist völlig schlecht gemacht, es ist auch nicht zielgruppengerecht. Ich sag das als jemand, der überhaupt kein Rechter ist. Aber das spricht noch nicht einmal die eigene Klientel an.

Sie betrachten die schiere Menge der Videos als zu vernachlässigen?

Wir haben ja schon eine dreistellige Millionenzahl von Webseiten, es sind im Vergleich zu vor zehn Jahren extrem viele. Wenn man die Zahl der eindeutig als rechtsextrem identifizierbaren Websites nimmt, dann ist das einfach ein Bonsai im Vergleich zum Amazonas-Urwald. Bei Youtube müsste es inzwischen eine sieben- oder zumindest sechsstellige Anzahl von Videos geben. Wie viele davon sind als eindeutig als antisemitisch oder neonazistisch anzusehen? Viel eher denke ich mir, dass diese Art von Propaganda von amerikanischen Neonazis, auch von religiösen Rechtsextremen, viel weiter verbreitet ist.

Würden Verbote etwas bringen?

Ich halte überhaupt nichts von Verboten. Verbote sind eine pädagogische Bankrotterklärung, eine spezielle Eigenart des deutschen Obrigkeitsstaates, der immer sagt: Ich nehme das Ernst, es ist supergefährlich, und jetzt muss ich es verbieten. Das heißt: man hat keine Ahnung, wie damit umzugehen wäre. Man kann gegen politische Meinungen nur politisch vorgehen. Jedes Verbot macht eine Meinung attraktiv, und sei sie noch so abstoßend. Das muss man wissen, aber so muss man auch handeln. Außerdem: Alle Seiten und alles Dienste des Internet sind international. Die deutsche Strategie "Keine Nazis auf deutschen Rechnern" ist zwar moralisch hochwertig, aber letztlich absurd.

Wie würde die Gegenstrategie lauten - auch über solche Foren?

Es gibt seit sechs Jahren einen regierungsamtlichen Kampf gegen Rechts. Ich kenne jedoch niemanden, der da eine Idee hat, wie man gegen Antisemitismus vorgehen soll. Die Leute, die das Geld von Civitas und Entimon kriegen, die müssen doch nach sechs Jahren langsam mal wissen, wie kommt Antisemitismus in einen Kopf hinein - und wie kriege ich ihn wieder hinaus? Lichterketten gegen Rechts? Man muss dann eben sehen, ob und wie man die Botschaft, die man da hat, auch in Form von Videos einstellt. Ich bin dafür nicht zuständig. Ich kann nur sagen, dieser Alarmismus und Verbote sind für mich ein Zeichen dafür , dass der so genannte Kampf gegen Rechts gescheitert ist, so wie er geführt wird. Wenn er erfolgreich wäre, brauchte man ja keine Programme mehr. Das ist jetzt sehr defätistisch, aber ich habe auch keine Lust, die sattsam bekannten Textbausteine abzusondern.

Ich habe meine eigene Theorie. Wenn man rechte Musik nicht mag oder wenn man die Lieblingsmusik Hitlers nicht mag, dann muss man nicht das Festspielhaus in Bayreuth abfackeln. Man muss bessere Musik machen, aber eine Musik, die genau die Zielgruppe anspricht, die man meint. Und die Zielgruppe sind nicht orientierungslose, arbeitslose Jugendliche. Die größte Affinität zu Antisemitismus und Rechtsextremismus in jedem Land Europas ist bei denjenigen, die glauben, etwas gewinnen zu können damit, indem sie andere ausgrenzen - oder die etwas haben und glauben, es zu verlieren. Größte Affinität zu rassistischen Ideen haben, sage ich mal ganz polemisch, zum Beispiel die Mitglieder der IG Metall, männliche Facharbeiter. Dann muss man fragen: "Welche Botschaft ist dort, und welche Botschaft habe ich selbst?" Wenn ich sage, ein Nazi wie Frank Rennicke oder sonst ein Klampfenmann aus der rechten Szene, der gefällt mir nicht, dann hilft es gar nicht zu sagen: Ich höre Karl Moik. Das ist nicht unbedingt eine alternative Strategie.

Der Journalist Burkhard Schröder ist beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Netzkultur. Er verfolgt seit den frühen Neunzigern, wie Neonazis das Internet für ihre Zwecke nutzen. Auf Schröders Website findet sich ein der umfangreichsten Linksammlungen zum Thema.

(Das Interview führte Michael Hörz)

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