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Die Tagesspiegel Hauptstadtgespräche mit Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) finden am 29.9.2025 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin statt.

© Laurin Schmid für den Tagesspiegel

Vizekanzler stellt sich Fragen der Tagesspiegel-Leser : Klingbeil wirbt für weniger Blasen-Denken und „mehr Stammtisch“

Bei einer Veranstaltung im Deutschen Theater bringen Tagesspiegel-Leser den Finanzminister ins Schwitzen. Nicht nur mit Fragen zum Regierungshandwerk, sondern auch zu Olaf Scholz und Markus Söder.

Stand:

An einer Stelle stiehlt ein Fragesteller dem Finanzminister für einen kurzen Moment die Show. Ein Mann will wissen, warum der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schon alle seine Wahlversprechen erfüllt bekommen habe. „Ich wundere mich, dass man das als SPD so alles mitgetragen hat.“ Die über 200 Zuhörer im Saal applaudieren.

Lars Klingbeil verteidigt sich zunächst damit, dass die SPD bei den Wahlen im Februar nun einmal nicht die absolute Mehrheit geholt habe. Auch gibt er zu, dass Gastro-Steuersenkung, Mütterrente III und Agrardiesel-Rückerstattung für ihn zwar keine Priorität gehabt hätten. Und doch nimmt er Söder in Schutz. Man habe ein „belastbares Verhältnis“.

„Ich will nicht, dass wir in einem permanenten Wettbewerb in der Regierung sind“, sagt Klingbeil. Die SPD habe dafür das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen, die Sicherung der Rente und das Tariftreuegesetz erreicht. „Wenn Söder dafür diese SPD-Maßnahmen abnickt, schlage ich ein.“

Im Kammersaal des Deutschen Theaters in Berlin hatte Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar am Montagabend zunächst Klingbeil interviewt. Im Anschluss waren die Leserinnen und Leser am Zug.

Wir graben uns echt ein in so Blasen, wo wir nur noch mit Leuten diskutieren, die uns bestätigen, in dem, was wir machen.

Lars Klingbeil (SPD), Vizekanzler und Finanzminister

Über dreißig Minuten löcherten sie den Vizekanzler mit Fragen. Zu technischen Details im Sondervermögen, dem Sozialstaat sowie dem Erbschaftsteuerrecht. Seinen Vorgängern und deren Einfluss auf ihn. Aber auch zu großen, gesellschaftlichen Themen wie der Debattenkultur im Land.

Klingbeil fordert mehr Austausch

So stellt ein älterer Mann fest, dass Polemiken, Hass und Hetze in Diskussionen immer mehr Raum einnehmen würden. Etwas überspitzt sagt er, sein Eindruck sei gar, dass man nur noch unter Polizeischutz debattieren könne. „Wir können so nicht weitermachen.“

Klingbeil stimmt ihm in Teilen zu, kritisiert, dass man zu wenig miteinander im Austausch sei. „Wir graben uns echt ein in so Blasen, wo wir nur noch mit Leuten diskutieren, die uns bestätigen, in dem, was wir machen“, sagte er und fügte hinzu: „Ich wünsche mir mehr Stammtisch.“

Das Publikum stellt kritische Fragen.

© Laurin Schmid für den Tagesspiegel

Für ihn bedeutet das: mal einen ganzen Abend mit zehn, zwanzig Leuten bei einem gemeinsamen Bier zusammensitzen und „wie die Kesselflicker streiten“. Danach könne man sich schließlich wieder versöhnen. „Das hat Demokratie immer stark gemacht“, sagt Klingbeil und wirbt dafür, sich nicht nur mit Leuten zu umgeben, die genauso ticken würden, wie man selbst.

In der SPD – ob man sie noch als Volkspartei bezeichnet oder nicht – gibt es davon genug. Eine Frau möchte von Klingbeil wissen, ob er noch mit früheren SPD-Finanzministern im Austausch sei. Die Liste ist lang, schließlich war die SPD in den letzten Jahrzehnten fast immer an der Regierung beteiligt, häufiger als Juniorpartner.

Klingbeil will seinen eigenen Weg gehen, sagt er, und trotzdem zählt er sie alle auf: von Hans Eichel (unter Gerhard Schröder) über Peer Steinbrück und Olaf Scholz (unter Angela Merkel) bis Jörg Kukies (unter Olaf Scholz). Mit ihnen allen tausche er sich aus. Mit Steinbrück diese Woche, mit Scholz permanent. Für den früheren Bundeskanzler hat er an diesem Abend am meisten Lob übrig. „Ich erlebe, dass er bienenfleißig ist“, sagte Klingbeil. Scholz kümmere sich um jüngere Kollegen. Sei entspannt. Und vor allem erteile er ihm keine Ratschläge in Interviews, von denen es in der SPD viele gebe. „Das schätze ich.“

Ein flammender Appell für Europa und viel Beifall

Insgesamt sind die Fragen und das Publikum Klingbeil an diesem Abend überwiegend wohlwollend eingestellt. Keine bringt ihn aus der Ruhe. Nur wenige sind kritisch. Technische Fragen zur Verwendung der Infrastruktur-Milliarden und etwaige Verschiebungen aus dem Kernhaushalt pariert er unter Verweis auf die geltende Rechtslage. Das habe man „mit den grünen Freunden auf den Weg gebracht“, sagte Klingbeil unter Verweis auf die Grundgesetzänderungen im März. Bei einer Nachfrage zur Aktivrente bittet er um mehr Zeit, schließlich koordiniere man sich gerade noch innerhalb der Regierung.

„Ich habe vermisst, dass er sich als Soze nicht klar vor die Schwachen gestellt hat“, sagt eine junge Frau nach der Veranstaltung. Im Sozialen habe Klingbeil vor allem über Reformen auf der Ausgabenseite gesprochen. Aufstocker und Alleinerziehende seien unerwähnt geblieben. Auch seine Aussage, „meine Perspektive ist nicht die der Bürgergeld-Empfänger“, sei für sie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Das Thema Klimaschutz sei ebenfalls zu kurz gekommen. Allerdings wurde Klingbeil direkt dazu auch nichts gefragt.

Am meisten Beifall erhielt der Vizekanzler beim Thema Gerechtigkeit. Einerseits, als er forderte, dass Vermögende stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligt werden müssten. Andererseits, als er klarstellte, dass arbeiten müsse, wer könne.

Insgesamt zeigte sich das Gros der Anwesenden mit Klingbeils Auftreten und Antworten zufrieden. Er sei sympathisch, entspannt und überzeugend gewesen, sagten gleich mehrere Zuhörer auf Nachfrage. Auch Klingbeils Art zu sprechen kam offenbar gut an. „Er redet ruhig und polemisiert nicht“, sagte eine mittelalte Frau.

Mit einem flammenden Appell für ein starkes Europa und viel Beifall endet der Abend.

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