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Die Londoner City gehört zu den wichtigsten Finanzplätzen der Welt.

© REUTERS

Vor dem EU-Referendum: Im Auftrag der City

Der britische Premier Cameron will in der EU-Finanzpolitik mitreden. Dabei ist sein Land gar nicht Mitglied der Euro-Zone.

Normalerweise nutzen britische Regierungschefs einen Aufenthalt in Belgien gerne, um Grundsätzliches zum Thema Europa zu sagen. Unvergessen ist beispielsweise ein Auftritt der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher, die 1988 in Brügge erklärte, dass sie nichts von einem europäischen Superstaat hält. Ende der vergangenen Woche hatte David Cameron, der aktuelle Amtsinhaber in der Londoner Downing Street, beim EU-Gipfel in Brüssel hingegen keine Gelegenheit für eine ähnlich fulminante Rede. Nur ein paar Minuten gestand die Gipfel-Regie ihm zu, um über das bevorstehende EU-Referendum im Vereinigten Königreich und die britische Sicht auf die Europäische Union zu reden. Die Flüchtlingskrise war Europas Staatenlenkern wichtiger.

Beim nächsten EU-Gipfel im Dezember steht das EU-Referendum auf der Agenda

Beim nächsten EU-Gipfel im Dezember dürften das britische EU-Referendum und der drohende „Brexit“ hingegen größeren Raum einnehmen. Vorher soll Cameron auf Wunsch der europäischen Partner in einem Brief an den Gipfelchef Donald Tusk darlegen, in welchen Punkten es aus seiner Sicht konkrete EU-Reformen geben soll. Eine Erneuerung der Gemeinschaft gilt für Cameron als Bedingung, damit er beim EU-Referendum die Trommel für einen Verbleib seines Landes im Club der Europäer rühren kann. Allerdings ist der britische Premier bislang eine konkrete Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie er sich eine erneuerte EU genau vorstellt.

Dabei sondieren Camerons Berater schon seit Anfang Juli hinter den Kulissen in Brüssel mit Vertretern aus dem Stab von Tusk und Kommissionsleuten wie Martin Selmayr, dem Kabinettschef von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, das Terrain. Bei „technischen Gesprächen“ erörtern die Emissäre, an welchen Stellschrauben im EU-Räderwerk sich etwas im Sinne Großbritanniens drehen lässt. Weit oben auf der Liste stehen dabei die künftigen Beziehungen zwischen London und den 19 Ländern der Euro-Zone. Es ist ein Thema, das vor allem die Interessenvertreter in der Londoner City umtreibt, dem wichtigsten Finanzzentrum Europas.

Cameron will Ausbootung bei Finanzregulierung vermeiden

„Die Sorge in London besteht hauptsächlich darin, dass Großbritannien künftig in Fragen der Finanzmarktregulierung von den Ländern der Euro-Zone überstimmt werden könnte“, analysiert Raoul Ruparel von der Londoner Denkfabrik „Open Europe“. Wegen der Bedeutung des Londoner Finanzplatzes drängt Cameron nach den Worten von Ruparel mit Macht darauf, seinem Land in der EU in Fragen der Finanzregulierung ein Mitspracherecht zu erhalten, falls sich die Euro-Zone enger zusammenschließen sollte. Zu den sensiblen Bereichen zählen laut Ruparel Bankdienstleistungen für Privat- und Firmenkunden, die Vermögensverwaltung und die Steuerpolitik. „Es wird inzwischen akzeptiert, dass Großbritannien und andere Nicht-Euro-Staaten hier ihre Rechte zu einem Zeitpunkt gewahrt sehen möchten, zu dem sich die Euro-Zone weiterentwickelt“, findet Ruparel. Dies spiegele sich auch in den „technischen Gesprächen“ in Brüssel wider. Auch Raymond Frenken, Sprecher der europäischen Bankenvereinigung EBF, ist der Ansicht, dass der europäische Binnenmarkt, der die Regeln der Finanzmarktregulierung festlegt, „gut funktionieren“ müsse – und zwar ungeachtet der Aufteilung der EU in „Ins“ (also die Euro-Mitglieder) und „Outs“ (Länder wie Großbritannien oder Dänemark).

Die Sorge in der Londoner City, eines Tages keinen Einfluss mehr auf das EU-Geschehen zu haben, ist keinesfalls aus der Luft gegriffen. Dass die Staaten der Euro-Zone häufig den Ton angeben, zeigte sich vor zweieinhalb Jahren, als sich im Rat der EU-Finanzminister eine deutliche Mehrheit für eine Deckelung der Banker-Boni aussprach. Der britische Ressortchef George Osborne leistete zwar bis zum Schluss Widerstand gegen die Neuregelung. Der Schatzkanzler argumentierte, dass eine Deckelung der Boni zu einem Ausbluten des Finanzplatzes London führen könnte. Allerdings musste er am Ende klein beigeben.

Jahrelanger Rechtsstreit zwischen London und der EZB

Auch ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen der britischen Regierung und der Europäischen Zentralbank (EZB) nährte in London Befürchtungen, in der EU ausgebootet zu werden. In dem Streit ging es um Clearinghäuser, mit deren Hilfe Banken Kosten bei Aktiengeschäften reduzieren und die für die Londoner City wichtig sind. Die EZB hatte die Vorgabe gemacht, dass sich Clearinghäuser für Wertpapiergeschäfte, die in Euro abgewickelt werden, innerhalb der Euro-Zone befinden müssen. Diese Regelung brachte aber der Europäische Gerichtshof (EuGH) im vergangenen März zu Fall.

Nach Ansicht von Christian Odendahl, des Chefökonomen am Londoner Centre for European Reform, hat das Urteil der Europa-Richter Signalwirkung: „Es stellt sich die Frage, ob Cameron zur Wahrung der Interessen der Londoner City wirklich Neuverhandlungen im großen Stil in Angriff nehmen muss, weil der EuGH ohnehin schon die Regeln des gemeinsamen Marktes verteidigt.“

EU-Abgeordneter Jo Leinen: Großbritannien muss Nachteile in Kauf nehmen

Der Europaabgeordnete Jo Leinen glaubt hingegen, dass Großbritannien als Nicht-Euro-Mitglied künftig gelegentlich Nachteile in Kauf nehmen müsse. „Wenn man ein Omelett essen will, muss man auch bereit sein, das Ei zu zerschlagen“, sagt der SPD-Mann und umschreibt damit Camerons Dilemma: Wie alle seine Amtsvorgänger lehnt er einen Beitritt seines Landes zur Gemeinschaftswährung ab. Gleichzeitig will er aber Londons Einfluss auf die Euro-Zone wahren, die immer mehr zum Machtzentrum in der EU werden könnte.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 20. Oktober 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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