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„Im Gefängnis wird nur verwahrt“: Das Instrument der Ersatzfreiheitsstrafe bleibt
Der Bundesjustizminister spricht von einer historischen Reform des Sanktionenrechts. Kritikern geht diese nicht weit genug. Franziska Gitz vom Verein Freie Hilfe Berlin berichtet von ihrer Arbeit.
Stand:
Frau Gitz, Sie arbeiten bei der Freien Hilfe Berlin, einer Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe. Womit beschäftigen Sie sich in Ihrem Berufsalltag?
Im Großen und Ganzen helfen wir Menschen, die in eine Notlage geraten sind und ihr Leben nicht mehr alleine sortieren können. Wir kümmern uns um Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, helfen bei der Entlassungsvorbereitung und gehen in Haftanstalten, versuchen, Menschen in Projekte wie „Arbeit statt Strafe“ zu vermitteln, helfen bei der Wohnungssuche.
Gehören auch Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen, zu Ihrer Klientel?
Zu uns kommen viele Menschen, die die Ersatzfreiheitsstrafe vermeiden möchten. Vielen können wir helfen, viele kommen aber auch zu spät. Wer sich nicht rechtzeitig gegen den Strafbefehl wehrt, bekommt eine Ladung zum Haftantritt. Andere kommen wegen der „Nachsorge“, infolge ihrer Haft.
Wer kommt da zu Ihnen?
Etwa 80 Prozent der Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten müssen, sind wohnungslos, suchterkrankt oder psychisch krank. Nicht selten spielt alles zusammen. Natürlich sind die Leute betroffen, denen es ohnehin schon schlecht geht. Was sie in der Regel alle gemein haben: Sie sind arm.
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Wie kommen sie darauf, sich bei Ihnen Hilfe zu holen?
Teilweise werden wir von Wohnheimen oder Bekannten empfohlen, wir werden aber auch in den behördlichen Schreiben als Beratungsstelle angeführt. Man muss sich aber immer vor Augen halten: Die, die es zu uns schaffen, das sind die, die ihr Leben besser im Griff haben oder die gerade eine gute Phase haben. Deswegen arbeiten auch nicht mehr mit Terminen, viele Menschen überfordert das. Nicht selten kommen zu uns 30 Leute am Tag, die Hilfe suchen. Eine Sprechstunde gibt es nur noch für russischsprachige Menschen, das haben wir neu eingeführt.
Wegen welcher Delikte müssen Menschen, die den Strafbefehl nicht bezahlen können, eine Haft absitzen?
Das sind hauptsächlich Fahren ohne Fahrschein, Diebstahl, Körperverletzung, Beleidigung oder auch Sozialbetrug, etwa das unrechtmäßige Einbehalten von Sozialleistungen.
Sie sehen in der Praxis, wie sich die Ersatzfreiheitsstrafe konkret auf Menschen auswirkt. Halten Sie das Konzept für sinnvoll?
Es gibt sie, die Ausnahmen, die ganz seltenen Fälle, dass jemand aus der Haft kommt und geläutert ist, aber das ist sehr selten. Manchen tut so eine kurze Pause aus ihrem Alltag auch gut, ein bisschen Schlaf, endlich mal ein Dach über dem Kopf, das kann lebenserhaltend sein. Ich ertappe mich auch manchmal dabei, dass ich mich für Menschen freue, die einmal kurz den harten Alltag verlassen können. Aber die Realität ist: Wenn sie draußen sind, führt der erste Weg sie zum Dealer. Weil im Gefängnis eben nur verwahrt wird.
Abgesehen von dem Stigma, dass mit der Haftstrafe einhergeht, verschlechtert sie nicht selten die Situation der Betroffenen.
Franziska Gitz, Sozialarbeiterin bei Freie Hilfe e.V. Berlin.
Was bedeutet das?
Es gibt keinen Behandlungsplan, die Haft sieht das nicht vor, weder einen Entzug, noch eine Therapie. Einen Vollzugsplan, Entlassungsvorbereitung, all das gibt es nicht. Der Amtsarzt prüft, ob jemand haftfähig ist, nur in ganz seltenen Fällen wird er das verneinen. Dabei gehören viele der Menschen, die oft komplett verwahrlost sind, sicherlich eher in die Psychiatrie oder ins Haftkrankenhaus.
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Was für Folgen bringt die Ersatzfreiheitsstrafe mit sich?
Abgesehen von dem Stigma, das mit der Haftstrafe einhergeht, verschlechtert sie nicht selten die Situation der Betroffenen: Viele verlieren ihre Wohnung, den Job. Wer etwa drei Geldstrafen absitzen muss, bei dem kann sich die Strafe dann auch auf ein Jahr summieren. Wohnung und Job sind dann weg. Eine Wohnung kann man ein paar Monate behalten, wenn man einen Antrag auf Mietkostenübernahme stellt, länger nicht. Und dieser Bürokratie muss man ja überhaupt erstmal gewachsen sein.
Gibt es Fälle, die sie besonders berührt haben?
Schlimm ist, wenn Betroffene wegen der Haftstrafe ihre Kinder verlieren. Manchmal wird die Haft so kurzfristig vollstreckt, dass nicht einmal Zeit bleibt, sie bei Familie oder Freunden unterzubringen. Die werden dann von der Polizei abgeholt. Oder vor kurzem hatten wir einen Mann, der wegen Platzmangel in der JVA Tegel in Haus 5 untergebracht wurde, mit Mördern, wegen eines Bagatelldelikts. Das ist einfach falsch. Oder wir hatten mal einen jungen Mann, der psychotisch war. Er hat einen Gnadenantrag gestellt, aber die Psychose ist an sich kein Grund für eine Verschonung, die Geldstrafe zu erlassen, dabei hatte er die Straftaten ja im Rahmen seiner Erkrankung begangen. Für viele Menschen gibt es auch schlichtweg kein Gutachten, niemand weiß, ob sie nicht vielleicht beeinträchtigt sind. Und oft ist der Grad schmal zwischen einem niedrigen IQ und einer geistigen Beeinträchtigung, diese Menschen verstehen kognitiv gar nicht, was passiert.
Bundesjustizminister Buschmann will die Ersatzfreiheitsstrafe beibehalten, jedoch die Länge halbieren. Was wäre Ihr Alternativvorschlag dazu?
Darüber denke ich sehr oft nach. Arbeit statt Strafe, diese Projekte gibt es, aber wir haben viel schwieriges Klientel, das nicht vermittelbar ist. Wer morgens schon betrunken ist oder schwer depressiv, kann nicht morgens den Dienst in einer Werkstatt antreten. Wie gesagt, die Ersatzfreiheitsstrafe trifft fast immer arme, benachteiligte Menschen. Für sie würde ich mir Bildung statt einer Strafe wünschen. Alphabetisierungskurse, Deutschkurse – mit dem Zusatz: Wenn ihr das nicht macht, dann bekommt ihr die Strafe. Arbeiten, Lernen, Therapie, Entzug, das würde helfen. Niemandem ist damit geholfen, wenn Leute, die ohnehin schon krank sind, zusätzlich obdachlos werden. Am besten wäre Einzelfallhilfe, dass Personen jemanden an die Hand bekommen, aber das ist teuer. Andererseits: Auch die Haftstrafen kosten sehr viel Geld und hat sicherlich einen geringeren Effekt.
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