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Ursula von der Leyen (53) ist Bundesministerin für Arbeit und Soziales. In ihrer Zeit als Familienministerin wurde 2007 das Elterngeld eingeführt. Seit Ende 2010 ist die Medizinerin und siebenfache Mutter stellvertretende CDU-Chefin.

© Mike Wolff

Ursula von der Leyen: "Im Schneckentempo können wir nicht weitermachen"

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sprach mit dem Tagesspiegel über eine Frauenquote und eine Datenbank für aufsichtsratstaugliche Kandidatinnen.

Frau von der Leyen, ist Quotenfrau für Sie eigentlich ein Schimpfwort?

Nein, überhaupt nicht. Der Begriff steht dafür, dass Frauen im Berufsleben an der Spitze ohne Grund unterrepräsentiert sind. Wir sollten den vielen qualifizierten Frauen mithilfe einer Quote dazu verhelfen, dass sie ihren Fähigkeiten gemäß arbeiten können.

Wann sind Sie zu der Überzeugung gekommen, dass es ohne eine gesetzliche Frauenquote in Deutschland nicht geht?
Als ich gemerkt habe, wie wenig die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft gebracht hat, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Ende 2010 haben wir nach zehn Jahren Bilanz gezogen. Ich habe meinen Augen nicht getraut. Die Politik hat in dieser Zeit geackert, um etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Wir haben das Elterngeld eingeführt, Ganztagsschulen und Krippenplätze ausgebaut. Doch in den großen Konzernen ist kaum etwas passiert: Der ohnehin indiskutabel geringe Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten ist gerade mal um ein bis zwei Prozent gestiegen. Heute sind in den Vorständen der großen Unternehmen drei Prozent Frauen, in den Aufsichtsräten zwölf Prozent. In dem Schneckentempo können wir nicht weitermachen.

Überfordert es die Unternehmen nicht, wenn sie 30 Prozent der Posten in Vorständen und Aufsichtsräten bis 2018 mit Frauen besetzen sollen?
Nein. Es gibt heute keine Ausrede mehr, warum ein Unternehmen mit einer solchen Quote überfordert sein sollte. Es gibt genügend qualifizierte Frauen, die auch die richtigen Fächer studiert haben. Der deutsche Mittelstand hat längst bewiesen, dass es geht. Dort sind inzwischen 30 Prozent Frauen in Führungspositionen. Ich fände es eine gute Idee, wenn wir jeden Dax-Konzern bitten, ein bis zwei Frauen zu benennen, die prinzipiell aufsichtsratstauglich wären. Bei Zehntausenden Angestellten sollte das möglich sein. Mit Genehmigung der Frauen könnten wir diese hochtalentierten Kandidatinnen in eine Datenbank einstellen. Damit hätten wir einen Pool von führungsfähigen Frauen, die für die anstehenden Aufsichtsratswahlen 2013 und 2018 zur Verfügung stehen.

Warum tut sich die Wirtschaft so schwer, Frauen in Spitzenpositionen zu berufen?
Heute sitzen fast nur Männer in Vorständen und Aufsichtsräten. Deshalb können sich viele schlicht nicht vorstellen, dass auch eine Frau das machen könnte. Hinter verschlossenen Türen fällt dann der Satz, den sich auch Angela Merkel vor ihrer Wahl zur Kanzlerin anhören musste: Kann die das? Solche Sätze hört man heute in der Politik nicht mehr, auch weil dort mittlerweile eine kritische Masse an Frauen auf der Top-Ebene angekommen ist. Die richtige Mischung macht’s. Studien belegen, dass gemischte Führungsgremien auch in der Wirtschaft bessere Erfolge erzielen als Monokulturen.

Im Januar haben die Siemens-Aktionäre auf einer Hauptversammlung mit 93 Prozent den Vorschlag abgeschmettert, im Aufsichtsrat eine Frauenquote von 30 Prozent einzuführen. Ein typisches Beispiel?
Ob es typisch ist, kann ich nicht beurteilen. Strategisch ist es für eine Firma fatal. Das Signal an die jungen Frauen ist doch: Hier nicht. Wir wollen ausdrücklich, dass alles beim Alten bleibt. Wer die Hälfte der Talente verschreckt, ist für die Zukunft schlecht aufgestellt.

In vielen Unternehmen werden 2013 die Aufsichtsräte neu gewählt. Sollte die Politik noch 2012 eine Quote beschließen?
Dass ich das für richtig halte, ist keine Neuigkeit. Neu ist, dass inzwischen Unternehmen ein Negativimage erwerben, wenn sie unfähig sind, gemischte Führungsgremien aufzustellen. Zu Recht. Denn das lässt dann auch auf mangelnde Durchlässigkeit, Transparenz und geringe Wandlungsbereitschaft im Wettbewerb schließen.

Wären Sie enttäuscht, wenn es mit dieser Bundesregierung keine Quote gibt?
Bei solchen Themen zählt der lange Atem. Und die Fähigkeit, Netzwerke zur Unterstützung zu knüpfen.

Die FDP ist dagegen. Und auch CSU-Chef Horst Seehofer hat gesagt, dass es mit seiner Partei keine Quote geben werde.
Das nehme ich zur Kenntnis. Ich beobachte aber auch, dass die Forderung nach einer Frauenquote kein Nischenthema mehr ist. Es gibt inzwischen ein breites überparteiliches Bündnis von Frauen, das sich unter anderem in der Berliner Erklärung für eine Quote einsetzt. Dazu gehören verschiedenste Frauenverbände, aber auch einflussreiche Einzelpersonen. Der Druck wächst. Jeder sollte sich den guten alten Merksatz zu Gemüte führen: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit – und die ändert sich gerade.

Auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU) will keine feste Quote. Zeigt sich da ein Generationenkonflikt?
Ich beobachte, dass ältere Frauen, die eine Führungsposition erreicht haben, häufiger eine Quote fordern. Sie haben an der eigenen Biografie erlebt, wie zäh die Dinge sind. Sie sehen von oben klarer, dass es kein Zufall ist, dass so wenig Frauen in Führungspositionen sind. Wir sind ungeduldig. Wir wollen nicht noch mal zehn oder zwanzig Jahre warten.

Frau Schröder fordert, dass sich die Dax- Konzerne eigene Quoten geben sollen. Sollte sie trotz des Widerstands der FDP einen Gesetzentwurf vorlegen?
Ich unterstütze sie dabei, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das eine klare Zielmarke und Zeitleisten setzt. Der Weg kann flexibel sein.

EU-Kommissarin Viviane Reding ist für eine EU-weite Frauenquote. Sie auch?
Es gibt handfeste betriebswirtschaftliche Gründe für einen angemessenen Anteil an Frauen in Führungspositionen. Im Fachkräftemangel kann sich Europa auch volkswirtschaftlich nicht mehr erlauben, auf das Potenzial der Frauen an der Spitze zu verzichten. Wenn unser Kontinent auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben soll, dann gilt auch hier: Nicht an den Langsamsten orientieren, sondern an den Schnellsten. Mehr Frauen in Führungspositionen finden sich vor allem in den Ländern, die gesetzliche Schritte unternommen haben. Insofern ist das Vorgehen von Frau Reding konsequent, jetzt das Tempo innerhalb Europas zu erhöhen und dabei die guten Erfahrungen der Länder mit Frauenquoten in den Blick zu nehmen.

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