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Kurt Beck (63) wird am Mittwoch nach 18 Jahren im Amt des Ministerpräsidenten (MP) von Rheinland-Pfalz zurücktreten, seine Nachfolgerin soll Sozialministerin Malu Dreyer werden. Beck ist seit 1979 Abgeordneter. 1994 beerbte er Rudolf Scharping als MP. Als Bundesvorsitzender der SPD von 2006 bis 2008 gilt er als gescheitert, in Rheinland-Pfalz setzte ihm vor allem die Nürburgring-Pleite zu.

© dapd

Interview: „In schwierigen Situationen ist man einsam“

Ministerpräsident Kurt Beck über den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, Glücksmomente mit Malu Dreyer und seinen Abschied als dienstältester Landeschef in Rheinland-Pfalz.

Mit welchem Gefühl haben Sie den Tag erlebt, an dem Sie Ihren Rücktritt bekannt gegeben haben?

Als ich vor die Presse trat, hatte ich ja schon meine Wunschnachfolgerin an meiner Seite. Malu Dreyer. Außerdem hatte ich mir den Schritt sehr gut überlegt. Deshalb war das Gefühl positiv. Melancholie, die nach 18 Jahren im Amt wohl normal ist, habe ich erst danach empfunden, bei den vielen Abschiedsterminen, die ich bis heute hatte.

Sie sind aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Wird Krankheit in der Politik nicht toleriert?

Ich fürchte: Nein. Wenn man mal ins Stolpern kommt, wird eher noch geschubst. Allerdings habe ich das persönlich in Rheinland-Pfalz nicht erlebt.

Matthias Platzeck war der erste Spitzenpolitiker, der sagte, ich schaffe das Amt des Bundesvorsitzenden körperlich nicht. Sie haben mit Malu Dreyer eine Person ausgewählt, von der viele dachten, sie könne das Amt aufgrund ihrer MS-Erkrankung nicht ausüben. Eine gefährliche Entscheidung?

Im letzten Sommer haben wir ein Gespräch unter Freunden geführt. Die Ärzte hatten ihr damals gesagt, ihr Zustand habe sich stabilisiert. Das hat mich persönlich unglaublich gefreut. Ich habe damals gedacht, wenn es soweit sein wird, dann ist sie erste Priorität. Ich hätte auch andere fähige Nachfolger nennen können. Aber sie ist die Beste, menschlich und fachlich.

Hätten Sie Malu Dreyer gefragt, wenn es den Politiker Wolfgang Schäuble im Rollstuhl nicht geben würde?

Ich will nicht oberflächlich erscheinen, aber ich denke schon, dass ich sie auch ohne Wolfgang Schäuble gefragt hätte. Aber natürlich hat sein Beispiel auch mich geprägt. Ich habe gelernt, dass man genauer hinschauen muss, dass man einen Menschen und sein Potenzial nicht einfach so abhaken darf, nur weil er vermeintlich körperlich geschwächt ist.

Waren die vielen positiven Reaktionen auf Malu Dreyer für Sie ein Glücksmoment?

Ja. Das waren Glücksgefühle. Man hat immer die Sorge, dass es Streit um die Nachfolge gibt und dass dann etwas zerstört wird, was man mit aufgebaut hat. Aber alles lief glatt. Und dass das möglich war, ist für mich ein großes Glück.

Wann weiß man als Politiker, dass der Moment zu gehen gekommen ist?

Vom ersten Tag an, wenn man es wissen will. Man muss Leute um sich scharen, die Potenzial und Talent haben, sie fördern und mitnehmen. Das habe ich immer gemacht. Ich habe Vorsorge für die Nachfolge getroffen.

Wir meinen es persönlicher.

Ich habe es mit den alten Römern gehalten, wo auf dem Triumphwagen stets einer mitfuhr, der warnte: Bedenke, dass du sterblich bist. Nicht nur vor dem morgendlichen Spiegel bemerkt man, dass die Kraft sich verbraucht. Die Spannung fehlt plötzlich, weil sich auch vieles wiederholt und abschleift. Man macht mehr Fehler. Als meine gesundheitlichen Probleme dazukamen, war für mich klar: Ich will mich nicht dahinschleppen, ich will einen ordentlichen Schlusspunkt setzen.

Was bedauern Sie im Rückblick?

Natürlich habe ich mich maßlos geärgert über die falsche politische Einschätzung am Nürburgring. Das Investment war zu groß. Das ärgert mich wie verrückt, weil es objektiv, für die Sache, um einer strukturschwachen Region zu helfen, nachvollziehbar war. Aber es war ein Fehler.

Nehmen Sie Probleme mit nach Hause?

Nicht mehr. Aber in der aktuellen Auseinandersetzung habe ich das immer mit nach Hause und in den Schlaf genommen. Ich konnte das nie abstreifen. Es hat mich belastet.

Macht Politik einsam?

In schwierigen Situationen ist man einsam, weil man nicht nach Hause gehen und es bei der Familie abladen kann. Und wenn Sie mit Freunden zusammen sind, erzählen Sie in dieser kostbaren Zeit auch nichts von Problemen, Sie wollen ja den Abend genießen. Es fehlt ein Ventil.

Ihr Genosse Klaus Wowereit hat gerade enorme Probleme wegen des Chaos am Großflughafen. Geben Sie ihm einen Rat?

Nein. Aber er weiß, dass ich mich in seine und in Matthias Platzecks Lage versetzen kann.

Sind Großprojekte wie Nürburgring, Stuttgart 21 oder Berlins Flughafen am Industriestandort Deutschland gar nicht mehr umsetzbar?

Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Wir haben allein in Rheinland-Pfalz über 600 Konversionsprojekte gestemmt, ganze Städte sind ausgeblutet, als die Amerikaner gegangen sind. Wir mussten etwas tun, investieren, ins Risiko gehen. Und manchmal geht auch mal was daneben. Ich denke, man muss darüber nachdenken, ob man sich als Politiker in die erste Reihe stellen muss, etwa als Aufsichtsrat.

Trotzdem bedeuten solche Investitionen oft zeitlich unüberschaubare Schulden. Wie passt das zusammen mit einer verfassungsgemäßen Schuldenbremse?

Jedem privaten Investor geht das so. Das Dilemma ist nun mal da. Wir werden die Schuldenbremse hinkriegen, wenn auch mühsam.

Wäre ein Schuldentilgungsfonds, wie ihn Olaf Scholz vorschlägt, eine Lösung?

Ja. Ich habe auch ein Kernmodell im Kopf, aber darüber sollte man erst nach den Bundestagswahlen reden. Wir können die Neuverschuldung auf null halten bei den Ländern, aber dann haben wir immer noch die Altschulden. Deshalb brauchen wir einen Schuldentilgungsfonds.

Sie könnten ihn kurz skizzieren.

Wir müssen uns klarmachen, dass wir die Zinsen und die Tilgung vom Verursacher- und vom Solidarprinzip angehen müssen. Verursacherprinzip heißt, dass nicht derjenige seine Schulden von anderen bezahlt bekommt, der in den Tag hineinlebt. Und Solidarprinzip bedeutet, dass etwa Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit in den Schuldentilgungsfonds gehen, um die Chance auf Tilgung zu haben.

Sigmar Gabriel hat kürzlich gesagt, Ihr Scheitern als Parteivorsitzender sei eine Schande für die SPD. Was haben diese Worte in Ihnen ausgelöst?

Es hat mir gutgetan und mir Zufriedenheit gegeben, dass man es nicht nur von einer Seite beleuchtet. Ich habe ja auch eigene Fehler gemacht, ich suche die Schuld nicht nur bei anderen.

Müntefering, Steinmeier, Steinbrück. Sind Sie nachtragend?

Nein, das bin ich nicht. Ich habe die Erfahrung, die ich als Vorsitzender der Bundespartei gemacht habe, wirklich sehr intensiv für mich persönlich aufgearbeitet.

Hat das wehgetan?

Ja. Keine Frage. Ich habe mich aber entschieden, einen klaren Schnitt zu machen. Ich habe mit allen Genannten geredet, alle wissen, dass ich nicht nachtrete. Ich habe der SPD viel zu verdanken, ich glaube nicht, dass ich mit meiner Vita in einer anderen Partei eine ähnliche Chance bekommen hätte.

Sie haben gesagt, Sie haben das Geschehene bearbeitet. Es gibt drei Möglichkeiten: Alleine, mit professioneller Hilfe oder, sagen wir, mit Kardinal Lehmann, dem Sie doch sehr nahestehen.

Zu 99 Prozent für mich alleine. Ich habe es gemacht, wie man Trauerarbeit leisten würde. Damit meine ich, dass ich Gedanken nicht ausgewichen bin, sondern mich konfrontiert habe. Auch mit mir selbst. Ich hege keinen Groll.

Steinbrück – eine glückliche Wahl für die SPD?

Ich sage Ihnen, was im Moment abläuft, ist eine üble Kampagne. Wenn es anrüchig geworden sein sollte, dass man sich für vernünftige Energiepreise für die Industrie einsetzt, kann ich nur sagen: Das rot-grüne Rheinland-Pfalz hat sich im Bundesrat auch dafür eingesetzt. Ich bin in keinem Aufsichtsrat, aber ein leidenschaftlicher Anhänger einer Wirtschaft in Deutschland, die neben Dienstleistung und Handwerk auch auf einer gesunden Industrie basiert. Energiepreise sind für viele Industriebetriebe entscheidende Grundlage dafür, für welchen Standort sie sich weltweit entscheiden.

Vielleicht ist es die Häufung der unglücklichen Aussagen Steinbrücks …

Nein, nein. Auch die Verhältnismäßigkeit der Gehaltsfrage des Bundeskanzlers ist schon oft von anderen angesprochen worden. Außerdem: Ich bin Mitglied im Verwaltungsrat des ZDF und setze mich mit Leidenschaft für ein duales System von staatlichen und privaten Sendern ein – weil es meine Überzeugung ist, nicht weil ich gekauft worden bin. Das gilt auch für Peer Steinbrück. Es reicht jetzt wirklich. Ich kann nur sagen, auch an die Adresse meiner Partei: Jetzt erst recht mit und für Peer Steinbrück.

Was werden Sie am Abend des 16. Januar machen, wenn Malu Dreyer als Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz vereidigt worden ist?

Na ja, ich darf das ja so genau gar nicht wissen. Aber ich höre, die Bundeswehr wird eine Serenade spielen, es wird einen schönen Empfang geben mit vielen Gästen. Ich werde mich dann verabschieden und mit meiner Familie essen gehen. Der Tisch ist schon reserviert.

Sie könnten jetzt nach Berlin ziehen.

Ich bin mit den Berlinern glänzend zurechtgekommen. Berlin liegt mir schon. Da kann ich auch mal sagen, kommt, haltet mal das Maul!

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