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Regierung will Einbürgerungsgesetz verschärfen: Ist Antisemitismus schlimmer als Frauenhass?

Einige leichtere Straftaten sollen zukünftig Einbürgerung verhindern – ein politisches Minenfeld, das niemand betreten sollte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Es ist richtig, dass Staaten Regeln für die Einbürgerung festlegen: In Deutschland sind das schon eine ganze Menge, nämlich nachgewiesene Deutschkenntnisse, Bekenntnis zum Grundgesetz und seinen Werten, ein Wissenstest über Land und Kultur und keine Verurteilung wegen einer schweren Straftat.

Darüber hinaus die individuelle Moral zu testen, geht zu weit: In den Niederlanden mussten sich Anwärter zeitweilig einen Film ansehen, in dem sich ein homosexuelles Paar küsst – Wegschauen verboten.

In Deutschland wollen CDU und SPD laut Medienberichten nun auf anderem Weg eine neue Rangordnung von Werten einführen, die über die Einbürgerung eines Menschen entscheidet: Werden bisher richtigerweise Straftaten, die zu geringen Strafen führen – bis zu drei Monaten auf Bewährung oder Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen – bei der Einbürgerungsentscheidung ignoriert, soll sich das nun bei bestimmten Straftaten ändern - wenn sie im Zusammenhang mit Antisemitismus oder Rassismus stehen.

Dann sollen die sogenannte Bagatellschwelle der Strafhöhe nicht mehr gelten. Das ist eine direkte Reaktion auf die antisemitischen Parolen und Ausschreitungen, die es im Zuge der Demonstrationen während der jüngsten militärischen Auseinandersetzung in Nahost gab.

Die deutsche "Staatsraison" muss sich nicht im Einwanderungsrecht niederschlagen

Es ist nie eine gute Idee, in einer emotional aufgeheizten Lage Gesetze und Regeln zu ändern. Dies wäre auch keine Symbolpolitik, die niemandem weh tut, sondern eine Verschärfung des Einbürgerungsrechts, die folgenreich und willkürlich ist und den Staat noch in Teufels Küche bringen kann.

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Einmal könnte man mit gutem Recht fordern, dass auch geringfügige Verurteilungen wegen Beleidigung oder Körperverletzung aus Frauenfeindlichkeit oder Islamhass Ausschlusskriterien werden. Damit wären wir mitten in einer unguten Wertedebatte, was in Deutschland mehr zählt.

Und die andauernden Diskussionen über die unterschiedlichen Definitionen, was Antisemitismus und was Israelkritik ist, machen deutlich, dass dies ein Minenfeld ist. Und nein, es muss nicht im Einbürgerungsrecht erkennbar sein, dass die Existenz Israels deutsche Staatsräson ist, wie es der CDU-Politiker Mathias Middelberg fordert. Damit würde - diesmal von staatlicher Seite - Antisemitismus und Anfeindung des Staates Israels ungut vermischt. Außerdem: Sollten dann Beamte nicht auch in ihrem Eid schwören müssen, dass sie die Existenz Israels anerkennen?

Nein, keine gute Idee. Schwere Straftaten aus welchen Gründen auch immer, bleiben ein Ausschlusskriterium für Einbürgerung – und dabei soll es bleiben. Den Rest müssen Bildung und Integration leisten.

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