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Der Vorsitzende der 5-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, trifft nach seinem Erfolg bei der italienischen Parlamentswahl zur Pressekonferenz ein.

© Reuters

Italien und Europa: Votum der Enttäuschten

Nach dem monatelangen Warten auf eine Regierung in Berlin kommt nun das Bangen, welche Parteien sich Italien mit welchen Zielen zusammen finden werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Wer nach einer Wahl wem gratuliert, ist auch auf der internationalen Ebene ein wichtiger Indikator für das, was von der künftigen politischen Entwicklung in einem Land zu erwarten ist. Wenn die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen nach der Schließung der italienischen Wahllokale also hämisch twittert, die Europäische Union würde nun wohl eine schlechte Nacht haben, wenn sich ihr niederländisches Pendant Geert Wilders begeistert äußert, dann ahnt man, dass künftig Reformen in der EU noch schwerer durchzusetzen sein werden. Reformen, ohne die das politische und wirtschaftliche Bündnis der bald nur noch 27 im globalen Konzert der Mächte kaum mitspielen kann. Dass dieses fatale Signal für Europa ausgerechnet aus Italien kommt, war nicht überraschend — schockierend ist es dennoch.

Die „Römischen Verträge“ vom März 1957 hatten das Fundament für eine beispiellose Erfolgsgeschichte in politischer und ökonomischer Hinsicht gelegt. Sie versöhnten Gegner und machten Kontrahenten zu Partnern. Italien als eine der sechs Gründernationen – die anderen waren Frankreich, Deutschland, Belgien, die Niederlande und Luxemburg - stand von Anfang an mit der größten Begeisterung für das Projekt ein. Der italienische Ministerpräsident Antoni Segni, der für sein Land unterschrieb, erhoffte sich vom Vertrag von Rom eine heilende Wirkung und eine allen Zwist überwölbende Ausstrahlung. Endlich sollte der Italien zerreißende Streit zwischen Kommunisten und Christdemokraten durch ein positives Thema abgelöst werden: Italiens wirtschaftliche Zukunft lag nun in Europa.

Italien ist die drittstärkste Industrieregion Kontinentaleuropas

Lange ging diese emotionale Rechnung auf. Italien ist bis heute die drittstärkste Industrienation Kontinentaleuropas. Aber weil von den traditionellen Parteien weder der Kampf gegen die Korruption entschlossen geführt noch die Eindämmung mafiotischer Strukturen konsequent angegangen wurde, kamen jene Rechtspopulisten hoch, die jetzt Wahlsieger sind. Und alle verfolgen sie, mehr oder minder entschlossen, einen politischen Weg, wie ihn Silvio Berlusconi, der Wiedergänger seiner selbst, gehen will: Weg von der wirtschaftlichen Stabilität, hin zu mehr Staatsverschuldung.

Das alles wird mit dem nur zu verständlichen Wunsch nach ökonomischem Aufschwung für den abgehängten Süden, mit Kampf gegen Korruption und für eine ihrer Chancen betrogene junge Generation begründet. Die wirtschaftliche Lage vieler Menschen in Italien ist deprimierend. Und leider ist auch wahr, dass Europa Italien mit seinen Sorgen, etwa wegen der vielen zehntausend Flüchtlinge, lange allein gelassen hat. Aber der nun erstarkte Populismus gefährdet die Zukunft des eigenen Landes und die der Europäischen Union. Ohne eine handlungsfähige Regierung in Rom können Frankreich und Deutschland die vor allem von Emmanuel Macron entwickelten Projekte für eine engere Kooperation nicht durchsetzen. Das Zeitfenster, in dem es überhaupt nur möglich ist, die Ziele und den Weg dahin zu definieren, ist klein. 2019 wird das Europäische Parlament neu gewählt, das Jahr steht also im Zeichen des Wahlkampfs. Es bleiben nur wenige Monate.

Nach dem monatelangen Warten auf eine Regierung in Berlin kommt nun das Bangen, welche Parteien sich in Rom mit welchen Zielen zusammen finden werden und ob ihnen das überhaupt gelingt. Und da hatte man gedacht, Schlimmeres als der Brexit könnte kaum kommen.

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