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Freiwillige verteilen Atemmasken in einem Mailänder Sozialwohnungsviertel.

© Luca Bruno/dpa

„Das unendliche Desaster im Nordwesten“: Italiens Corona-Rätsel – warum die Lombardei weiter leidet

Italien diskutiert über die Phase 2, die Öffnung. In der Lombardei wütet Covid-19 unterdessen weiter – vor allem hat daran wohl die regionale Politik schuld.

Italien hat gleich nach Ostern angefangen, ganz sachte. Seit Dienstag dürfen ein paar Geschäfte wieder öffnen, Buchhandlungen, Schreibwaren- und Kinderbekleidungsgeschäfte, auch die Forstwirtschaft ist wieder in Gang.

Doch die Pläne für das, was Italien „la fase due“, die Phase zwei nennt, also das tatsächliche langsame Wiederanfahren von Wirtschaft und öffentlichem Leben, ist noch in Arbeit.

Beschäftigt damit ist ein Komitee unter dem früheren Vodafone-Manager Vittorio Colao, das allerdings von Premier Conte die Aufgabe bekam, sich mit seinem wissenschaftlichen Stab zu beraten. Und der dort versammelte Sachverstand sieht bisher keinen Grund, dem Drängen von Italiens Wirtschaft nachzugeben.

Dafür seien die Ansteckungen und die Zahl der Toten noch viel zu hoch. Bis 3. Mai bleibt die die harte Ausgangssperre ohnehin in Kraft. Sie erlaubt nur Besuche bei der Ärztin oder im Lebensmittelgeschäft, Sport und den unverzichtbaren Spaziergang mit dem Hund in Wohnungsnähe. Öffentliche Parks und Grünflächen bleiben abgesperrt.

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Weniger Intensivbetten, zu wenig Arztpraxen

Eine Mahnung , nicht zu rasch zum normalen Leben zurückzukehren, ist die Lombardei. Ausgerechnet dort, in einer der reichsten Regionen Europas und dem Herz von Italiens Wirtschaft, bleiben die Ansteckungsziffern hoch und der Tod durch Covid-19 richtet weiter Massaker vor allem unter den alten Menschen im Norden an.

„Das unendliche Desaster im Nordwesten“, wie „Il Fatto Quotidiano“ am Dienstag titelte, war am Dienstag das beherrschende Thema der nationalen Presse und verdrängte sogar die Hiobsbotschaft des Internationalen Währungsfonds.

Der prognostiziert Italien eine um 9,1 Prozentpunkte schrumpfende Wirtschaft durch Corona, den letzten Platz unter den Industrieländern.

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In der Lombardei habe sich Covid-19 „in Lichtgeschwindigkeit ausbreiten“ können, heißt es im „Corriere della sera“. In Mailand sterben täglich 90 Menschen, exakt dreimal so viele wie zur selben Zeit im letzten Jahr, in Brescia viermal und in Bergamo fünfmal so viele.

Keine Naturkatastrophe, resümieren die Autorinnen eines Dossiers „Viele Fragen an die Lombardei“ über die Katastrophe in der seit langem von der rechten Lega regierten Region: Nicht nur habe der reiche Norden weniger Intensivbetten als die Nachbarregionen Emilia-Romagna und Venetien.

Ein knappes Drittel davon gehöre Privatkliniken, mit denen man erst verhandeln muss, um sie zu bekommen. Überhaupt habe der private Sektor der Krankenhausversorgung in den letzten Jahren den gleichen Rang wie der öffentliche bekommen.

Angesichts der Pandemie sei dieses System praktisch „sofort in eine kritische Situation geraten“, schreiben Milena Gabanelli und Simona Ravizza, zwei Redakteurinnen des traditionell wirtschaftsfreundlichen Blatts.

Einst "Weg von Rom", jetzt wartet man auf Roms Anweisungen

Das Netz ärztlicher Basisversorgung sei dagegen jahrelang ausgedünnt worden, den wenigen Ärztinnen und Ärzten fehlte in der Krise zudem Schutzkleidung.

Von den nun aus dem Boden gestampften medizinischen Spezialeinheiten, die Covid-Kranke zu Hause beobachten und versorgen sollten, heißt es weiter, müssten nach dem Schlüssel von einer pro 50.000 Einwohner eigentlich 200 in der Lombardei unterwegs sein. „Bis heute arbeiten aber nur 37.“

Hinzu kamen drastische Fehlentscheidungen in den Altenheimen: Dorthin wurden leicht Erkrankte verlegt, das Besuchsverbot kam zu spät – laut „Repubblica“ starben im größten Seniorenheim Italiens, dem Mailänder „Pio Albergo Trivulzio“, in der Osterwoche täglich sechs Menschen.

Hintergründe zum Coronavirus

Hinzu kam eine merkwürdige Passivität in Regionalregierung, heißt es im Corriere – schließlich hieß der Schlachtruf der dort regierenden Lega, einst Lega Nord, jahrzehntelang „Weg von Rom!“.

Jetzt hätten Regionalpräsident Attilio Fontana und die Seinen „ganze Tage damit verbracht, die Regierung Conte vom Shutdown für Italien zu überzeugen“, statt das Ihre zu tun und die eigenen roten Zonen zu isolieren.

Die Aufzählung weiterer Versäumnisse und Fehler beenden die Autorinnen wahrnehmbar wütend: Die Lombardei sei nicht nur reich, sie verfüge auch über ausgezeichnete Universitäten und wissenschaftlichen Sachverstand, Stiftungen, Unternehmerinnen.

„Trommelt die besten Köpfe zusammen und lasst euch von ihnen helfen, einen Ausweg zu finden. Fangt an, etwas zu tun.“ Lia Quartapelle, Mailänder Abgeordnete des mitte-linken PD im Abgeordnetenhaus in Rom, will nicht einmal mehr ausschließen, dass die Region unter Zwangsverwaltung gestellt werden könne – was bisher vorzugsweise in mafiaunterwanderten Verwaltungen im Süden geschah.

Auf jeden Fall sehe man jetzt, „dass die berühmte Exzellenz der lombardischen Gesundheitsversorgung enge Grenzen hat“, sagte sie im Gespräch mit „La repubblica“.

Die Krise wird zur Krise der Regierung

In Rom droht trotz alledem eine Krise in der Krise, nämlich eine in der Regierung. Die Fünf Sterne und ihr Premier Giuseppe Conte sind mit dem Koalitionspartner PD überkreuz in der Frage der Nothilfen aus Brüssel.

Während Conte sich mit aller Kraft dagegen sträubt, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM zu nutzen, ist der PD dafür.

Beim letzten Treffen soll es laut geworden sein. „Der Showdown im Regierungslager hat schon begonnen“, resümiert der Corriere. Man warte nur noch auf das Ende der Verhandlungen in Brüssel, um ihn öffentlich zu machen.

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