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Stella Moris (M), Lebensgefährtin von Julian Assange, vor dem Royal Courts of Justice

© dpa

Vorletzte Chance für den Wikileaks-Gründer: Julian Assange ist kein Spion und darf nicht ausgeliefert werden

Politische und humanitäre westliche Werte sprechen gegen einen Spionageprozess in den USA. Alles andere wäre ein Skandal. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Die Causa Assange ist nichts für schwache Nerven. Aber die jüngste Nachricht aus London ist immerhin eine mittelgute. Für Julian Assange, für Whistleblower für die Pressefreiheit und für westliche Werte.

Der britische High Court hat dem Australier gestattet, sich an den Obersten Gerichtshof Großbritanniens zu wenden, um dort Berufung gegen seine Auslieferung an die USA einzulegen. Allerdings darf er nicht direkt in Berufung gehen, sondern das Oberste Gericht wird selbst entscheiden, ob es diese überhaupt zulässt. Diese Feinheiten sind für den Laien kaum nachvollziehbar, aber hier arbeitet der Rechtsstaat – und darüber kann man froh sein, gerade in diesem Fall.

Denn der Fall Assange ist komplex und gerade bei den angeblichen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden stellte sich ernsthaft die Frage, ob Polizei und Justiz nur langsam, aber gewissenhaft arbeiteten: Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, wirft den schwedischen Behörden die Manipulation von Aussagen vor und den Briten politische Einflussnahme vor.

Die Person Assange ist zudem schillernd – manche sagen größenwahnsinnig, streitsüchtig, egoistisch – und vielleicht nicht sympathisch. Doch das ist völlig unerheblich.

Ohne Plattformen und Whistleblower kämen Kriegsverbrechen kaum ans Licht

Julian Assange darf aus zwei Gründen nicht an die USA ausgeliefert werden – aus humanitären und aus politischen. Er hat dazu beigetragen, dass schwere Verbrechen der US-Armee im Irakkrieg – darunter die Folter im Gefängnis von Abu Ghraib und gezielte Luftangriffe auf Zivilisten – aufgedeckt wurden, woran die Weltöffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hatte. Ohne Whistleblower und Plattformen kämen solche Informationen nie ans Licht. Die Kontrolle der Mächtigen wäre deutlich eingeschränkt.

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Damit ist der Fall von „emblematischer Bedeutung für jeden Bürger eines Rechtsstaats" – wie es Melzer formuliert. Und ein Prozess gegen Assange wäre ein „gefährlicher Präzedenzfall für alle Journalistinnen und Journalisten, die geheime Informationen von öffentlichem Interesse publizieren“, warnen Reporter ohne Grenzen.

Ja, die Veröffentlichung staatlicher Geheim-Informationen darf keine Menschenleben gefährden – da hat Assange große Fehler gemacht bei den Afghanistan-Papieren. Aber die Anwendung des US-Spionageaktes auf Assange, bis zu 175 Jahre Haft, vorraussichtlich in Isolation, während die Täter der aufgedeckten Verbrechen nicht verfolgt werden – ist falsch.

Auf maximal abschreckende Wirkung bei Journalisten und Informanten zielen

Hier liegt der Verdacht nahe, dass auf maximal abschreckende Wirkung gezielt wird. Das ist einer reifen Demokratie unwürdig. US-Präsident Joe Biden sollte die Forderung nach Auslieferung fallen lassen.

Der britische Guardian, der mit Assange bei den Irak-Dokumenten kooperierte, bevor man sich überwarf, fürchtet eine Untergrabung von Demokratie und Pressefreiheit. Ex-Chefredakteur Alan Rusbridger fürchtet die Implikationen, wenn nationale Geheimhaltungsgesetze faktisch weltweit gelten: Ein Journalist in den den USA könnte demnach womöglich an Pakistan oder Israel ausgeliefert werden, weil er über deren geheime Atomprogramme schreibt?

Oder Joe Biden begnadigt den 50-Jährigen. Denn nach sieben Jahren Aufenthalt unter bizarren und menschenunwürdigen Umständen in der ecuadorianischen Botschaft und nun bald drei Jahren im britischen Gefängnis ist Assange körperlich und vor allem psychisch nach Expertenangaben schwer krank. Die Selbsttötungsgefahr unter harschen US-Gefängnisbedingungen in einem Spionageprozess war das Argument der Richter, die ursprünglich eine Auslieferung abgelehnt hatten. Die Werte westlicher Demokratien sprechen politisch und humanitär dafür, Assange nicht wegen Spionage-Vorwürfen an die USA auszuliefern.

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